Was bleibt von Köln?
Was bewegte EUropa vor einem Jahr – und wo stehen wir heute? Darum geht es in einer neuen Artikelserie, die den europapolitischen Hintergrund der Bundestagswahl ausleuchten soll. Sie beginnt mit der Silvesternacht in Köln und ihren Folgen.
Die Kölner Übergriffe der Silvesternacht wirken wie ein Brandbeschleuniger in ganz Europa. Die Stimmung kippt. Die EU hält dennoch an ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik fest.
Mit diesen Worten begann am 17. Januar 2016 der Blogpost “Köln soll nichts ändern”. Und so ging es weiter:
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“Wir wollen nicht zurück ins Mittelalter.“ Mit diesen Worten reagierte F. Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission, auf die sexuellen Übergriffe auf Frauen in Köln. Das klang entschlossen, zumal Timmermans auf Nachfrage auch das nach Köln verschärfte deutsche Ausländerrecht guthieß.
Doch es waren nur nette Worte eines Niederländers, der viel Verständnis für die deutsche Politik hat, mehr nicht. Wer glaubte, dass Köln auch zu einer Wende in der EU-Flüchtlingspolitik führen würde, sieht sich getäuscht. Der Schock aus Köln ist in Brüssel nicht angekommen.
Und wie sieht es ein Jahr später aus? Köln ist dann doch als Wendemarke in Erinnerung geblieben. Seither wurde die EU-Flüchtlingspolitik systematisch verschärft.
Wende um 180 Grad, aber dieselbe Rhetorik
Es geschah also genau das, was Kanzlerin Merkel, Timmermans & Co. vehement bestritten haben. Die EU legte eine 180-Grad-Wende hin. Doch die Rhetorik wurde nicht angepasst.
Berlin und Brüssel tun immer noch so, als ob die Krise 2015 die EU nicht in ihren Grundfesten erschüttert hätte. Merkel behauptet gar, dass sie alles genauso wieder tun würde.
Dabei hat ihr Alleingang alls geändert. Der Politikwissenschaftler I. Krastev vergleicht den Herbst 2015 sogar mit dem 9. September 2001. Genau wie die USA werde auch die EU nie mehr dieselbe sein…
Teil 2 folgt am Mittwoch
Man soll weder den Herbst 2015 noch 9/11 überschätzen. Genau so gut hätte man die Finanzkrise 2007/2008 hinzufügen können. Es sind im Unterschied zum weltpolitischen Bruch, dem Untergang des realen Sozialismus, keine systembewegenden Ereignisse. Der Beitritt Osteuropas zur EU als Spätfolge dieses Untergangs hat strukturell die EU mehr verändert als der Herbst 2015. Zwei unterschiedliche europäische, historisch gewachsene, gesellschaftliche Identitäten sind mehr oder minder über Nacht zusammen gekommen. Der Herbst 2015 hat bloß an der Oberfläche sichtbar werden lassen, was längst, von vielen unbemerkt, sich dynamisch aufgebaut hat. Bereits bis zum Sommer 2015 waren hunderttausende Flüchtlinge aus dem Mittleren Osten gekommen, damals noch nicht erkannte Vorboten einer größeren Migrationswelle aus Afrika. Gut (schlecht?) ding braucht Weile. Das wenig menschenfreundliche Arrangement mit libyschen Gruppen wäre vor 2 Jahren im politischen Mainstream nicht diskursfähig gewesen. Die Notwendigkeit einer Afrikapolitik wurde zwar von den Eliten erkannt, ist aber in der Gesellschaft noch nicht angekommen. Mit den für Entwicklungsprojekte von den EU-Mitgliedern zugesagten und bisher zurückgehaltenen Euro 44 Milliarden lassen sich in den Mitgliedsstaaten derzeit keine Wahlen gewinnen. Die Krise der amerikanischen Gesellschaft und das Ende der pax americana haben lange vor Trump begonnen, sind aber erst durch ihn ins europäische Bewusstsein getreten.