Unsere Schuldenkolonie
“Zum ersten Mal seit 2010 steht Griechenland wieder auf eigenen Beinen.” Das behauptet der Chef des Euro-Rettungsfonds ESM, K. Regling, zum Abschied aus dem 3. Hilfsprogramm. Doch die Wahrheit sieht anders aus – ein Faktencheck.
Richtig ist, dass ab sofort keine weiteren Hilfskredite mehr gezahlt werden. Nach Zahlungen von insgesamt 273 Mrd. Euro soll Schluß sein – Griechenland soll sich wieder selbst an den Märkten refinanzieren.
Doch ob das klappt, weiß niemand. Die Regierung in Athen hat zwar schon wieder erfolgreich Anleihen platziert. Doch angesichts der neuen Markt-Turbulenzen (Türkei, Italien…) könnte es schnell wieder eng werden.
Selbst die Gläubiger zweifeln. Das zeigt sich daran, dass sie Griechenland einem strikten Kontrollprogramm unterworfen haben – und ein “Sicherheitsnetz” aufspannen, um die alten Schulden zu bedienen.
So startet Griechenland mit einem Finanzpolster von 24 Mrd. Euro, womit der Schuldendienst in jedem Fall für 22 Monate gesichert ist. Kritiker sagen, so solle Zeit gekauft werden – bis zur nächsten Bundestagswahl.
Fest steht, dass Griechenland mit einer Gesamtverschuldung von fast 180 Prozent des BIP heute wesentlich schlechter dasteht als zu Beginn der Krise – 2009 waren es noch vergleichsweise harmlose 120 Prozent.
95 Prozent gingen in den Schuldendienst
Die “Hilfsprogramme” haben die Schuldenlast nicht gesenkt, sondern erhöht. Denn das Geld floß nicht in den griechischen Haushalt; dort kamen gerade ‘mal fünf Prozent an. 95 Prozent gingen in den Schuldendienst.
Am Anfang wurden mit dem Geld deutsche und französische Banken schadlos gehalten, die sich verzockt hatten. Nun sind es die Gläubigerstaaten, die sich nicht eingestehen wollen, dass ihre “Hilfe” völlig verfehlt war.
Griechenland ist zur Schuldenkolonie der EU geworden, und Deutschland ist der Oberaufseher – mit ESM-Chef Regling als Zahlmeister und dem Bundestag als letzter Kontrollinstanz (das Europaparlament hat nichts zu melden).
Mindestens bis 2060 soll das noch so gehen. Bis dahin soll Griechenland nicht nur sparen und kürzen (2019 kommt der nächste Kahlschlag bei den Renten), sondern sogar Budgetüberschüsse erwirtschaften.
Das hat noch kein Land der Welt geschafft
In dem jetzt vereinbarten Paket wird bis 2022 ein Primärüberschuss (vor Schuldendienst) von jährlich 3,5 Prozent angenommen und dann bis 2060 jährlich 2,2 Prozent. Das hat noch kein Land der Welt geschafft.
Doch Finanzminister Scholz traut unserer Schuldenkolonie offenbar fast alles zu. Auf die Frage, ob die Ziele denn realistisch seien, sagte der SPD-Politiker: “Ich glaube, dass das Anstrengungen zur Folge hat.”
Sein Amtsvorgänger Schäuble hätte es nicht “besser” sagen können…
P.S. Übrigens ist eine solche Schuldenkolonie durchaus lukrativ. Deutschland kassierte 2,9 Mrd. Euro aus Zinseinnahmen auf griechische Staatsanleihen. Gleichzeitig musste Schäuble dank der Krise viel weniger Zinsen für deutsche Anleihen zahlen…
Siehe auch “Historisch – wie Versailles?” und “Was wir über die Euro-“Retter” gelernt haben”
Peter Nemschak
22. August 2018 @ 14:19
@Solveig Weise Entscheidend ist nicht die Herkunft der Abgeordneten, die Sie kritisieren, sondern ihr Abstimmungsverhalten nach Fraktionen. Die relativ geringere Legitimität gegenüber nationalen Parlamenten rührt daher, das es keine echten europäischen Parteien mit einer europäischen Agenda gibt, da die Abgeordneten des Europaparlaments von den nationalen Parteien zur Wahl aufgestellt werden. Was die Fraktionen im Europaparlament betrifft, sind diese ideologisch sehr heterogen, je nachdem woher die Abgeordneten kommen.
Peter Nemschak
22. August 2018 @ 10:41
@ebo auch beim Europaparlament zeigt sich, dass Machtpolitik über Sachpolitik geht, sonst hätte es Macrons Vorschlag zugestimmt. Dort ist der Skandal zu verorten. Berechtigtes Misstrauen des Bürgers ist auch beim Europaparlament angesagt. Man hätte auch eine Regelung finden können, dass nur jene Europaabgeordneten in Sachen Euro stimmberechtigt sind, die ein Euroland vertreten. Unter diesen Umständen schadet ein weniger Demokratie pur nicht.
ebo
22. August 2018 @ 10:54
Falsch, es war Merkel, die den Vorschlag abgeblockt hat. Sie will weder Euro-Parlament noch Euro-Budget oder Euro-Finanzminister – dabei braucht man all das (und noch mehr), um eine vollständige, integrierte und legitimierte Währungsunion zu schaffen…
Peter Nemschak
22. August 2018 @ 11:43
Welche gesetzlichen Regelungen (nationale verfassungsrechtliche und Änderungen im Primärrecht der EU) sind dafür erforderlich, und wie groß ist die Chance die notwendigen Mehrheiten in einer EU, in der der nationale Wind spürbar weht, zu bekommen?
Dixie Chique
21. August 2018 @ 10:00
@ebo Danke für die zutreffende Zusammenfassung.
Baer
21. August 2018 @ 07:47
Je größer der Laden ,um so größer die Inkompetenz und Korruption.
Demokratie bedeutet im Kleinen regelnund nicht das Gegenteil.
Das gesamte EU Projekt ist schon explodiert,nur man will den Knall nicht hören.
Wo sind Menschen mit Chatakter und Sachverstand?
Wer nur auf seinen eigenen Vorteil schielt,verliert den Gesamtblick, und das zeigt sich täglich aufs Neue.
Solveig Weise
20. August 2018 @ 12:55
Nachtrag:
“Griechenland ist zur Schuldenkolonie der EU geworden, und Deutschland ist der Oberaufseher – mit ESM-Chef Regling als Zahlmeister und dem Bundestag als letzter Kontrollinstanz (das Europaparlament hat nichts zu melden).”
Die Tatsache, dass das EU Parlament nichts zu melden hat ist absolut zu begrüßen. Wieso? Weil es kein demokratisch zusammengesetzes Parlament ist. Es spricht grundlegenden Prinzipien der Demokratie (“one man, one vote”) Hohn.
ebo
20. August 2018 @ 22:35
Das EU-Parlament will auch das Parlament der Euroländer sein. Dass sich diese allein durch die Eurogruppe repräsentieren lassen, obwohl die noch nicht einmal im EU-Vertrag vorgesehen ist und keine klaren Regeln hat, ist ein institutioneller und demokratischer Skandal. Derzeit wird Kontrolle nur durch den Bundestag ausgeübt – auch dies spricht den Prinzipien der Demokratie Hohn.
Peter Nemschak
22. August 2018 @ 09:28
Warum sollen EU-Abgeordnete von außerhalb der Eurozone in Fragen des EURO mitentscheiden ? Sie haben kein Interesse und können politisch weder gewinnen noch verlieren. Ihre Wählerschaft trägt kein finanzielles Risiko hinsichtlich des EURO. Wo ist dabei der Skandal ?
ebo
22. August 2018 @ 10:14
Da haben Sie wohl eine Debatte verpasst. Macron hat Ihre Position vertreten und die Schaffung eines eigenen Euro-Parlaments gefordert. Das wurde vom Europaparlament zurückgewiesen – man vertrete alle EU- und damit auch alle Euroländer. Am skandalösen, vordemokratischen Zustand, dass die Abgeordneten bei der Euro-“Rettung” nicht mitreden dürfen, hat das alles nichts geändert.
Solveig Weise
22. August 2018 @ 11:57
@ebo: Völlig falsch, Sie scheinen noch nie etwas von der sog. „degressiven Proportionalität“ gehört zu haben. Dieses perverse System bedeutet, dass die Wählerstimmen bei der Europawahl nicht gleichberechtigt sind. Ich als Bürger Europas habe aber ein Recht darauf, dass meine Stimme exakt soviel Wert hat wie die eines anderen EU-Bürgers. Alles andere widerspricht demokratischen Grundregeln.
Dixie Chique
21. August 2018 @ 10:14
Berlin spielt also die Flöte, und ganz GR macht den Tanzbär. Bis 2060.
So geht Weise Demokratie!
(Und wer weiß schon so genau, wer hinter Berlin steckt.. Was wir aber gesichert feststellen können, ist, daß es kaum irgendwo demokratisch sauberer zugeht als in Berlin!)
Wie stünde es eigentlich um Ihre hehren Grundprinzipien (one man, one vote) , wäre die Türkei im Club?
Solveig Weise
22. August 2018 @ 12:01
@ Dixie Chique: Wäre die Türkei Mitglied der EU wäre natürlich das gleiche Prinzip anzuwenden. Welches denn sonst? Aber ich kann Sie berühigen. Die Türkei wird niemals Mitglied der Europäischen Union, da muss auch Claudia Roth ganz tapfer sein.
Peter Nemschak
20. August 2018 @ 12:13
Ein Default samt Euroaustritt war offenbar bisher die weniger attraktive Alternative für Griechenland als die jetzige Lösung. Was nicht ist, kann in den nächsten Jahren noch kommen.