Ukraine am Limit, Parlament vor Umbruch – und Europas “digitale DNA”

Die Watchlist EUropa vom 16. Dezember 2022 – Heute mit dem Streit über die Ukraine-Politik beim EU-Gipfel in Brüssel, neuen Forderungen von Präsident Selenskyj, neuen Versprechen von Parlamentschefin Metsola – und einem EU-Manifest zur “digitalen DNA”.

Auf den ersten Blick ist die EU gut für einen langen Krieg in der Ukraine aufgestellt: Die Mitgliedsländer haben sich auf einen 18 Milliarden Euro schweren, zinsvergünstigten Hilfskredit geeinigt, der den Finanzbedarf der Regierung in Kiew im gesamten Jahr 2023 abdecken soll. Zudem wurde die so genannte Friedensfazilität um 2 Milliarden Euro aufgestockt – sie dient als Kriegskasse für die Beschaffung von Waffen. Klingt toll, wurde beim EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel auch ausgiebig gefeiert.

Doch hinter den Kulissen bröckelt die Solidarität. So hat Ungarn die Finanzierung der Ukraine-Hilfe aus dem EU-Budget infrage gestellt; erst in letzter Minute und unter erheblichen Druck lenkte die Regierung von Viktor Orban ein.

Beim Gipfel war es dann Polen, das Probleme bereitete. Warschau stellte den Ungarn-Deal, zu dem auch die Ukraine-Kredite gehören, infrage. Außerdem forderte Regierungschef Mateusz Morawiecki, das neunte Sanktionspaket nachzuschärfen.

Man dürfe nicht auf den russischen Wunsch eingehen, die bestehenden Sanktionen zu ändern, um russische Getreide- und Düngermittelexporte zu erleichtern. Dafür hatte sich unter anderem Deutschland stark gemacht.

Insgesamt sechs EU-Ländern fordern, Anpassungen vorzunehmen. Es gehe darum, Rechtssicherheit für den Export russischer Agrarprodukten und Düngemittel in Schwellenländer herzustellen, hieß es. Das hatte auch die Afrikanische Union gefordert. Andere Länder sehen Berichte über angeblich durch Sanktionen behinderte Agrarexporte hingegen als russische Propaganda.

Probleme bei der Umsetzung

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Das Gezerre um die Sanktionen zeigt, dass die EU an ihre Grenzen stößt. Kanzler Olaf Scholz hat in seiner Regierungserklärung vor dem EU-Gipfel zwar weitere Strafmaßnahmen angekündigt. Im Entwurf für die Gipfelerklärung steht die Ukraine an erster Stelle, wie in vielen EU-Beschlüssen.

Doch wenn es konkret wird, häufen sich die Bedenken. Auch die Umsetzung macht Probleme.

So hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj einen wesentlich strikteren Ölpreisdeckel von der EU gefordert – vergeblich. Die erst vor zwei Wochen beschlossene Maßnahme, die die Kriegskasse Russlands schmälern soll, hat bisher keine erkennbare Wirkung gezeigt.

Selenskyj will (deutsche) Panzer

Beim Gipfeltreffen in Brüssel legte Selenskyj, der per Video zugeschaltet war, noch einmal nach. Die EU-Staaten müssten so schnell wie möglich moderne Panzer liefern, so Selenskyj:

“Ich bitte Sie darum, Führung zu zeigen. Derjenige, der als erster moderne Panzer liefert, eröffnet die Möglichkeit für Lieferungen aus der ganzen Welt und wird als einer der größten Verteidiger der Freiheit im Gedächtnis bleiben.

Angesprochen fühlen dürfte sich vor allem Deutschland. In Berlin wird seit Wochen über die Lieferung deutscher Kampfpanzer vom Typ Leopard-2 gestritten – bisher ohne Ergebnis…

Mehr zum Ukraine-Krieg hier

Watchlist

Steht das Europaparlament vor einem Umbruch? Das versprechen die Abgeordneten und ihre Chefin Metsola nach dem Korruptionsskandal, in den die Straßburger Kammer verwickelt ist. Wegen des Korruptionsskandals um die ehemalige Vizepräsidentin Eva Kaili will das Parlament sein Lobbyregister ausbauen und die bisherig Arbeit zu Katar einstellen. Wenn die strafrechtlichen Ermittlungen vorbei sind, soll auch ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden, hieß es in einer am Donnerstag in Straßburg verabschiedeten Resolution. – Siehe auch “Katargate: Verdächtige Eile im Europaparlament”

Was fehlt

Europas “digitale DNA” So nennen die EU-Granden ihr Manifest, das sie am Donnerstag im Schatten des Korruptionsskandals und des EU-Gipfels vorgelegt haben. “Die Erklärung zeigt den Bürgerinnen und Bürgern, dass die europäischen Werte sowie die im Rechtsrahmen der EU verankerten Rechte und Freiheiten online wie offline geachtet werden müssen”, heißt es im Pressetext der EU-Kommission. Wie schön! “Der Mensch steht im Mittelpunkt”, lautet der erste Grundsatz. Kurz zuvor hatte dieselbe EU-Kommission erklärt, dass der Datenschutz in den USA genauso gut ist wie auf dem alten Kontinent… – Mehr zur Digitalpolitik hier

Dies war die letzte Watchlist Europa für dieses Jahr. Wir machen nun Weihnachtspause. Der Blog läuft wie gewohnt weiter!