Türkei-Wahl: Das vielsagende Schweigen der EUropäer
Ukraine-Krieg, Nato-Erweiterung, EU-Beitritt: Die Wahl in der Türkei ist auch für EUropa wichtig. Doch Brüssel schweigt – und sagt damit viel über sich selbst.
Es ist schon fast vergessen : Bis zum Ukraine-Krieg kam die größte Gefahr für die EU aus der Türkei.
Sultan Erdogan mischte sich in die inneren Angelegenheiten Deutschlands ein, er bedrohte Griechenland, schickte hunderttausende Migranten und erpresste im “Flüchtlingsdeal” eine Art Schutzgeld.
Doch nicht nur Ex-Kanzlerin Merkel machte gute Miene zum bösen Spiel. Auch die EU nickte alles ab. Nicht mal sein völkerrechtswidriger Einmarsch in Syrien und seine Intervention in Libyen führten zu hörbarem Protest.
Schließlich ist die Türkei ein Nato-Mitglied und ein EU-Anwärter. Da drückt man schon ‘mal ein Auge zu. Wertegebundene oder gar feministische Außenpolitik? Kein Thema, Außenministerin Baerbock legt sich lieber mit China an!
Doch nun hat die Türkei die Wahl: Zwischen Erdogan und seinem autoritären AKP-Regime – und dem sozialdemokratischen CHP-Spitzenkandidaten Kemal Kilicdaroglu und der Rückkehr zur Demokratie.
Da sollte die Entscheidung nicht schwerfallen. Die EU gibt zwar keine Wahlempfehlungen ab – doch EU-Politiker versäumen es eigentlich nie, sich gegen Populisten, Nationalisten und Autokraten zu positionieren.
Doch in der Türkei sagen sie – nichts. Nicht einmal das sonst übliche Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaat ist aus Brüssel zu hören, niemand mahnt eine ordnungsgemäße Wahl an.
Wird der Sultan noch gebraucht?
Warum? Hat man Angst vor Erdogan? Fürchtet man, jedes kritische Wort könne die Wahl zu seinen Gunsten entscheiden? Oder wird der Sultan am Ende noch gebraucht – gegen Russland?
Wir wissen es nicht. Klar ist nur eins: Mit ihrem Schweigen sagen die EU-Politiker viel über sich selbst. Verdammt viel. Zum Beispiel, dass sie es immer noch nicht wagen, mit Erdogan und seinen Anhängern Klartext zu reden – trotz des angeblichen Systemkonflikts “Demokraten gegen Autokraten”.
Oder auch, dass sie Geopolitik im Zweifel wichtiger nehmen als Demokratie. Oder zweifelt irgend jemand daran, dass EU und Nato weiter mit der Türkei zusammenarbeiten werden, wenn sich Erdogan an der Macht hält? Der Sultan sitzt am längeren Hebel, die EUropäer sind schwach…
KK
14. Mai 2023 @ 14:44
@ Renz:
„Erdogan ist auch das einzige NATO – Land…“
Noch ist Erdogan ja nicht das Land… ausserdem dürfte Erdogan auch sterblich sein, was seine Amtszeit automatisch begrenzt.
Arthur Dent
14. Mai 2023 @ 12:05
In der Türkei ist Erdogan für alles verantwortlich, auch für Erdbeben, in der EU und insbesondere in Deutschland ist dank Föderalismus kein Politiker für irgendetwas mehr verantwortlich. Es liegen noch rund 189 Mio. Euro an Spendengeldern auf den Konten der Hilfsorganisationen für die Flutopfer im Ahrtal. Soviel zu unbürokratisch und schnelle Hilfe.
renz
13. Mai 2023 @ 15:29
Erdogan ist auch das einzige NATO – Land, das Waffen /Drohnen an alle verkauft; auch an Russland. Und auch einzig in der NATO das Waffen aus Russland kauft. FlaRak.
Helmut Höft
13. Mai 2023 @ 11:10
Also doch! 😉
Helmut Höft
13. Mai 2023 @ 10:41
Doch nicht nur Ex-Kanzlerin Merkel machte gute Miene zum bösen Spiel. Das Spiel nennt sich Realpolitik! *ächz*
ebo
13. Mai 2023 @ 10:50
Nicht ganz. Merkel ist damals im Alleingang auf Erdogan zugegangen, ohne die EU-Spitze zu involvieren. Danach brauchte es zwei EU-Gipfel, bis sie alle anderen zu ihrem schmutzigen Flüchtlingsdeal überredet hatte. Die EU zahlt noch heute dafür…
KK
12. Mai 2023 @ 17:49
“…trotz des angeblichen Systemkonflikts „Demokraten gegen Autokraten“.”
Wo, zum Henker, gibt es denn in EUropa/USA noch Demokraten?
Das sind doch inzwischen allesamt selbst autokratische Systeme, die andere Meinungen unterdrücken, die ganze Volkswirtschaften vor die Wand fahren – und sich um Recht und Gesetz einen feuchten Kehricht scheren, wenn es ihnen in die Quere kommt. Siehe Assange und die US-Kriegsverbrechen (mit NAhTOd-Mithilfe), siehe von-der-Leyens verbotene EU-Rüstungsfinanzierung, siehe die terroristische Sprengung von wichtiger internationaler Infrastruktur (um nur einige Beispiele zu nennen – können gerne ergänzt werden).
Monika
12. Mai 2023 @ 12:31
Ohne türkische Bereitschaft mit Merkel diesen dauerhaften „Flüchtlingsdeal“ zu schließen, wäre 2015 Merkels „Wir schaffen das“ damals (heute noch genauso) ganz gewaltig in die Hose gegangen. Wie die „Dankbarkeit“ der deutschen Moralapostel aussieht? Mit dem bösen Zeigefinger (…“wir wurden erpresst“… ) wird auf den „Dealer und Hehler -und überhaupt- Bösewicht Türkei gezeigt.
Die EU sollte dankbar die Klappe halten und stringent daran arbeiten, Ihre wachsenden Flüchtlingsprobleme auf grundgesetzliche Weise in den Griff zu kriegen.
Das kann, ob der zu erwartenden Masse Geflüchteter, jedoch nicht realisiert werden. Wir wollen aber weiterhin als die Guten gelten, die „Werte“, die längst obsolet sind zumindest medial noch hochhalten. Was auskommt: eine verlogene Politik, an die kein „Volk“ mehr glaubt. Die offen Nichmehrgläubigen werden als rechtsaußen „verortet“, obwohl der politische Kampf schon längst die Kategorien rechts-links verlassen hat und es nur noch um reich-arm geht. Nicht nur zwischen den Blöcken, Nationen, what ever, sondern die Bruchlinie eint gerade das „Volk“ was vorher so fein aufgedröselt war inProleten, Facharbeiter, Mittelstand, akademisches Bürgertum … mal sehen wie lange diese Suppe noch kontolliert am Köcheln gehalten werden kann.
WBD
12. Mai 2023 @ 07:22
„Oder wird der Sultan am Ende noch gebraucht – gegen Russland?“ Ja, schon, aber nicht ‚gegen‘, sondern als Mittler!
Meines Wissens ist die Türkei das einzige NATO-Land, welches mit Russland spricht (siehe Getreidedeal), und der vielleicht auch schon an irgendeinem weiteren Deal zwischen Russland und der Ukraine bastelt…?!?
Natürlich stimmt alles, was über Erdogans autoritäre und undemokratische Haltung geschrieben steht, aber für mich wäre die Rolle der Türkei als Mittler ein wichtiges Argument! Die EU hat sich ja komplett der Einseitigkeit verschrieben…
ebo
12. Mai 2023 @ 09:26
Das stimmt, Erdogan hat ja auch bereits vermittelt, sogar recht erfolgreich. Doch auf eigene Kappe. Die EU scheint bisher nicht an Vermittlung interessiert!