Sturmwarnung für Brüssel, Scholz flirtet mit Meloni – und Baerbocks Waffen
Die Watchlist EUropa vom 23. November 2023 –
Mehr Geld für die Ukraine, grünes Licht für Beitrittsgespräche und vage Worte zur Flüchtlingskrise: So hatte sich Ratspräsident Michel den nächsten EU-Gipfel im Dezember vorgestellt. Doch nun wankt seine Agenda. Eine Sturmwarnung erschüttert Brüssel.
Sie kommt aus den Niederlanden, wo der rechte EU-Gegner G. Wilders offenbar die Parlamentswahl gewonnen hat. Wilders hat sich gegen den früheren EU-Klimakommissar Timmermans durchgesetzt und mit einem Anti-Asyl- und Flüchtlings-Programm gepunktet.
Selbst wenn Wilders wohl nicht (gleich) Regierungschef wird – die EU kann diesen Wahlschock nicht ignorieren. Michel & Co. müssen endlich zur Kenntnis nehmen, dass die europäische Flüchtlings- und Klimapolitik nicht die versprochene Wirkung zeigen – und viele Bürger “aussteigen”.
Eine Warnung kommt auch aus Berlin. Die Bundesregierung stützt zwar Michels Agenda. Sie will mehr für die Ukraine tun – allerdings nicht das EU-Budget aufstocken, wie dies Brüssel bisher plant. Die deutsche Haushaltskrise macht nun alles noch schlimmer. Rien ne va plus, cher Charles!
News & Updates
- Europaparlament kippt Pestizid-Gesetz. Neuer Rückschlag für die europäische Umweltpolitik: Das Europaparlament hat ein Gesetz zur Einschränkung von Pestiziden gekippt. Die Abgeordneten stimmten am Mittwoch in Straßburg mehrheitlich gegen den Vorschlag der EU-Kommission, die Nutzung von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 um die Hälfte zu senken. Weitere Verhandlungen lehnte das Parlament mit knapper Mehrheit ab. Damit wird die Umweltgesetzgebung bereits zum zweiten Male ausgebremst. Im Sommer hat das Parlament eine Verordnung zur Renaturierung verwässert.- Mein Bericht in der “taz”
- Scholz flirtet mit Meloni. Kanzler Scholz hat die postfaschistische italienische Regierungschefin Melon und ihr halbes Kabinett in Berlin empfangen. Meloni sprach von einem “historischen Moment”. Vereinbart wurden engere Konsultationen in den Bereichen Außen-, Rüstungs-, Migrations- und Energiepolitik. – Die deutsche “Fortschritts-Koalition” macht gemeinsame Sache mit der postfaschistischen Regierung in Rom – echt jetzt?
- Finnland macht Grenze zu Russland dicht. Jahrzehntelang war Ruhe. Doch nun, kurz nach dem Nato-Beitritt Finnlands, wachsen die Spannungen. Ab Mitternacht am Freitag würden drei der vier verbleibenden Übergänge geschlossen und nur der nördlichste Raja-Jooseppi offen gelassen, kündigte die Regierung an. Der Grund: Seit Anfang des Monats sind mehr als 600 Menschen ohne gültige Papiere nach Finnland gekommen. – Über solche Zahlen kann Deutschland nur lachen…
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Sturmwarnung für Brüssel (Fortsetzung)
Das dritte Problem heißt Orban. Der ungarische Regierungschef will alle Gipfelbeschlüsse blockieren, wenn die EU-Chefs nicht zuvor eine Bilanz ihrer Ukraine/Russland-Politik ziehen und eine Strategie formulieren. Wenn Orban sein berüchtigtes Veto einlegt, geht im Dezember gar nichts.
Michel arbeite bereits an einem “Plan B”, heißt es in Brüssel. Das grüne Licht für die Beitrittsverhandlungen werde möglicherweise auf März verschoben, wenn die EU-Kommission einen neuen Bericht vorlegen will. Auch die geplanten neuen Finanzhilfen für Kiew könnten überarbeitet werden.
Doch nun stellt sich auch noch das Europaparlament quer. Es will die Erweiterung nicht einfach abnicken, sondern fordert einen Reform-Konvent und neue Rechte. Das wiederum lehnt nicht nur Orban, sondern sicherlich auch Wilders ab. “Mehr Europa” ist den Rechten ein Horror.
Wie man das alles unter einen Hut bringen kann, weiß Ratspräsident Michel wahrscheinlich selbst noch nicht. Vier Wochen vor dem EU-Gipfel und sieben Monate vor der Europawahl gilt eine Sturmwarnung für Brüssel – der (Gegen-)Wind kommt aus allen Richtungen…
Siehe auch “Orban mahnt Ukraine-Strategie an” sowie meine Analyse zur EU-Reform bei Europe.Table
P.S. Orban hat Wilders bereits zum Wahlsieg gratuliert. “The winds of change are here!“, schrieb er auf Twitter / X. Auf Gratulationen aus Brüssel wird man wohl lange warten…
Das Letzte
Baerbock merkwürdiges Verhältnis zu Waffen. Wie sieht Außenministerin Baerbock die Waffenruhe in Gaza? Offenbar mit großen Vorbehalten. “Die Waffen sollen schweigen zu sagen, ist nicht die Aufgabe von Politik”, erklärte sie in einem Interview mit der “Deutschen Welle”. Es gehe darum, humanitäre Hilfe zu leisten, fügte sie hinzu. Doch dieser Fauxpas lässt sich nicht schönreden. Schließlich ist bekannt, dass Baerbock bis zuletzt gegen eine längere Waffenruhe war – und alles tat, um diese Forderung auf EU-Ebene zu verhindern. Dabei reicht die nun vereinbarte Kampfpause nach Angaben von Hilfsorganisationen nicht aus. Solche Feuerpausen könnten nur ein “erster Schritt” sein, seien aber “einfach nicht genug”, sagte die Vorsitzende des UN-Kinderhilfswerks Unicef vor dem UN-Sicherheitsrat in New York. Es brauche dringend einen kompletten Waffenstillstand. – Siehe auch “EU begrüßt Waffenruhe in Gaza – und vergisst 10.000 tote Palästinenser”
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Helmut Höft
24. November 2023 @ 11:33
Es bleibt einem nix anderes als bissiger Spott: Umwelt wird überschätzt, kann weg; was gebraucht wird sind Arbeitsplätze um die Rentiers zu nähren!
KK
23. November 2023 @ 14:13
„Die Waffen sollen schweigen zu sagen, ist nicht die Aufgabe von Politik“
So spricht eine Kriegshetzerin. Jetzt wissen wir endlich, was die Frau unter “feministischer Aussenpolitik” versteht: Krieg, Vernichtung und Völkermord!
KK
23. November 2023 @ 14:09
“Die deutsche „Fortschritts-Koalition“ macht gemeinsame Sache mit der postfaschistischen Regierung in Rom – echt jetzt?”
Die “Achse Berlin-Rom” ist halt zurück! Nach Rückkehr des Militarismus und Unterstützung ukrainischer Nazis nicht wirklich verwunderlich.
ebo
23. November 2023 @ 14:30
Derweil lahmt die “Achse Berin-Paris”. In dieser Lage auch nicht wirklich verwunderlich, aber traurig…
Monika
23. November 2023 @ 11:04
Macht kaputt, was euch kaputt macht… aber statt den Kampf strikt gegen die globale Finanzoligarchie zu richten, werden überall die Teufel mittels Beelzebuben und -mädels ausgetrieben. Argentinien versucht es gerade wieder mit einem Anarchokapitalisten von gnadenloser politischer Ahnungslosigkeit und Ignoranz. Dass sowas funktionieren kann mit dieser Finanzoligarchie im Rücken, beweist uns Trump 2024 sicherlich aufs Neue. In vielen westlichen Ländern reüssieren in Wahlen die rechten Maulaufreisser, mit dem entsprechenden finanziellen Backup ist das aber nirgendwo “ein Problem”. Gnadenlose Ignoranz der sozialen Frage gegenüber ist einziges Kriterium dieses Kapitals.
Wieso die Wähler*innen sich dermaßen geschlossen für ihren eigenen Untergang entscheiden? Jetzt steht ihnen das Wasser erst knapp bis zum Hals, die Kapitalanarchisten werden sie in den Gully der Weltgeschichte spülen. Mit wehenden Fahnen zurück in übelst-feudale Zustände. Aber vielleicht wollen sie mit dem Wählen dieser Maulaufreisser nur den Druck im Kessel so erhöhen, so, dass der erwartete Wumms “das Ganze System wegsprengt”? Sie vergessen leider, dass die Herren über diverse Ventile garantiert nicht die Bevölkerungen sind!
Thomas Damrau
23. November 2023 @ 13:39
@Monika
Sicher richtig.
Auf der anderen Seite, steht nicht jeder Politiker in Berlin oder Brüssel auf der Gehaltsliste von Rheinmetall & Co. Aber Alternativen zum Business-as-Usual höre ich nirgendwo – auch nicht in den diversen Partei-News-Lettern, die mir zugeschickt werden.
Stattdessen „Eisberg voraus“ -> „Dann werf‘ noch ‚mal vorsichtshalber eine Schippe Kohlen in den Kessel.“
Der Bundestag und das Europa-Parlament ein Übungsgelände für Lemminge?
Monika
23. November 2023 @ 16:38
@Thomas
das Schlimme ist ja gerade, dass die wenigsten wirklich auf der Gehaltsliste stehen! Die meisten der Politiker wollen einfach nur ganz “unkorrumpiert” bei den “höherwertigen” Herrschaften “gut angesehen” sein! Im Endeffekt für Nichts als ein vermeintlich wohlwollendes Schultertätscheln: im Sinne von “bist ein ganz ein Guter, brav, mach weiter so!” Das genügt denen schon, wie im Übrigen den meisten Schreiberlingen. Dies vermeintliche “Dazugehören” ist “mehr Wert” als mehrheitliche Bevölkerungsschichten ins Elend zu schicken und dort ihrem Schicksal zu überlassen.
Karl
23. November 2023 @ 10:23
>> Wilders hätte im Zweifelsfall (genauso wie Meloni) Probleme, doppelt so hart gegen Flüchtlinge vorzugehen
Es geht um Rassismus und Sklaverei. Die Arbeitskräfte werden gebraucht, aber sie sollen nicht mehr in kapitalistischen Arbeitsverhältnissen ausgebeutet werden: Re-Feudalisierung.
— Die AfD-Wähler unter meinen Arbeitskollegen befürworten, dass Arbeiten an Migranten abgegeben oder nach Indien outgesourced werden, solange sie selbst durch eine komfortable Stellung oder sogar direkt als Anweiser und Aufseher profitieren.
— Die PiS-Regierung in Polen holte fast 400.000 Migranten, überwiegend aus islamischen und asiatischen Ländern, während sie gleichzeitig gegen sie hetzte und hetzt. Es werden Containerdörfer für sie gebaut.
— In Nazi-Deutschland mussten fast 10 Millionen “Fremdarbeiter” Zwangsarbeit leisten und in Baracken wohnen.
Es geht darum, dass der Kapitalismus in einen primitiveren Zustand der Barbarei zurückfällt (ähnlich wie der Feudalismus) – und die Wähler:innen haben tatsächlich wenig Alternativen!
Eine wirksame Antwort der Gewerkschaften fehlt nicht nur, sondern ist – wegen ihrer sehr brav in Kapital und Regierung eingebundenen Hauptamtlichen – auch nicht zu erwarten: sehr traurig!
Thomas Damrau
23. November 2023 @ 09:20
Zu den Niederlanden.
Willkommen im neuen Normal. Die 35-37 Sitze von Wilders entsprechen ungefähr 23%-25%. (Wenn ich das niederländische Wahlrecht richtig verstehe, entsprechen sich Stimmenanteil und Sitzanteil ziemlich genau.) In Deutschland liegt die AfD in Umfragen bei 21% – und wenn die AfD eine Rampensau wie Wilders hätte, wäre die Zustimmung noch viel höher. Den großen Unterschied zwischen Unterschied zwischen den Niederlanden und Deutschland bezüglich der Zustimmung zu Rechts-Außen sehe ich nicht.
Bemerkenswerter finde ich:
– Timmermanns (“SPD und Grüne” zusammen) kommen auf nicht einmal 17%
– Die PVV (“CDU”) verliert massiv.
– Die Liste “Omtzigt macht alles besser” kommt aus dem Stand auf über 13%
Das ist das eigentlich Erschreckende: Die Wähler sind immer mehr bereit, ihre Stimme Parteien zu geben, die einfach eine andere Politik versprechen, ohne dass es so genau darauf ankommt, was das Neue an der neuen Politik ist. Wilders hätte im Zweifelsfall (genauso wie Meloni) Probleme, doppelt so hart gegen Flüchtlinge vorzugehen wie die etabliert Parteien: Auch die sind ja bereits auf “Grenzen dicht und abschieben” eingeschwenkt – da ist gar nicht mehr so viel Luft für Härte.
Inhaltliche Details werden immer unwichtiger. Was zählt, sind Emotionen:
– Die Welt ändert sich im Augenblick massiv.
– Das schafft Ängste.
– Wer am besten mit diesen Ängsten spielt, kann punkten.
– Wenn dann auch noch die etablierten Parteien achselzuckend durch die Gegend eiern, muss man sich über die entsprechenden Wahlergebnisse nicht wundern.
Zum Thema “durch die Gegend eiern”: Wir müssen uns ja nur die Reaktionen hier in Deutschland auf das Urteil des Verfassungsgerichts zum Thema Staatsverschuldung ansehen:
– Die CDU freut sich wie Bolle über das Chaos und suggeriert, dass man das fehlende Geld durch Rücknahme einiger Entscheidungen der letzten zwei Jahre (und “weniger Bürokratie”) locker reinholen könne.
– Die FDP freut sich, dass sie sich als hardcore-wirtschaftsliberal profilieren kann.
– Die Grünen sind beleidigt.
– Die SPD bietet Lösungen an, die unter den augenblicklichen Mehrheitsverhältnissen nicht umsetzbar sind.
Die Wähler stehen geplättet am Spielfeldrand – und suchen verzweifelt nach einer Partei, bei der sie das nächste Mal ihr Kreuz machen können.
ebo
23. November 2023 @ 10:53
Offenbar stand am Ende des Wahlkampfs in den Niederlanden nicht mehr die Migration oder das Klima im Mittelpunkt, sondern die hohen Lebenshaltungskosten. Energie, Lebensmittel, Mieten – das ist auch in anderen Ländern ein explosives Thema. Die Mischung aus Inflation und Migration birgt Sprengstoff, auch in Deutschland!
Thomas Damrau
23. November 2023 @ 12:46
@ebo
Danke für den Hinweis.
Da ich Wilders Wahlprogramm nicht im Detail kenne, kann ich nicht beurteilen, ob er schlüssige Konzepte gegen „… die hohen Lebenshaltungskosten. Energie, Lebensmittel, Mieten …“ hat – außer „Ausländer raus“, „Scheiß Klimaschutz“ und „billiges Gas von Putin“.
Normalerweise ist es mit der sozialen Ader der Neuen Rechten soweit nicht her.