Rutte schickt den Super-Geizhals
In Brüssel bahnt sich Streit über den Nachfolger von Klimakommissar Timmermans an. Der niederländische Noch-Premier Rutte hat einen finanzpolitischen Hardliner nominiert, im Parlament regt sich Widerstand.
Außenminister Wopke Hoekstra soll nach Ruttes Willen nach Brüssel wechseln. Die niederländische Regierung nominierte den Christdemokraten offiziell am Freitag. Der 47-Jährige war seit 2022 Außenminister und Vizepremier und zuvor Finanzminister.
Als Finanzminister stemmte er sich gegen den schuldenfinanzierten Corona-Aufbaufonds. Hoekstra war sogar Drahtzieher bei den “Frugal four”, also der Vierergruppe der Geizhälse, die der EU mitten in der Krise frisches Geld verweigern wollten.
Wäre es nach ihm gegangen, wäre die Union womöglich 2020 zerbrochen. Auf jeden Fall wäre sie heute schon pleite – denn selbst mit Corona-Fonds reicht das Geld hinten und vorne nicht. Und ausgerechnet diesen Super-Geizhals schickt Rutte nun nach Brüssel!
Im Europaparlament, das der Nominierung zustimmen muß, regt sich bereits Widerstand. Grüne und Sozialdemokraten haben angekündigt, dass sie Hoekstra im bevorstehenden Parlaments-Hearing hart rannehmen wollen. Auch die Liberalen sind nicht begeistert.
Es könnte also spannend werden. Doch zunächst muß Kommissionschefin von der Leyen die Nominierung bestätigen und dem Niederländer einen Posten zuweisen. Das muß nicht unbedingt das Klimaressort sein. Erst danach kann das “grillen” beginnen…
Helmut Höft
29. August 2023 @ 10:06
Ja, Hoekstra ist fatal! In der EU (noch interessanter EWU) können sich die Kons und Neocons und Neolibs usw. schön austoben. Wie Thomas Damrau schön am Beispiel beschreibt: Der Friedens-Nobelpreisträger hat unnötige (seltsame, undemokratische) Regeln, an Stellen wo keine gebraucht werden und an den Stellen, wo man klare und demokratische Regeln braucht, gibt es keine. *hicks*
Jetzt Hoekstra: Die EWU-Länder nutzen eine Fremdwährung die sie selbst nicht beeinflussnen können, den €uro, wären die EWU-Länder währungssouverän, sähe die Sache anders aus.
Kleopatra
29. August 2023 @ 08:21
Art. 246 AEUV sieht für ein Kommissionsmitglied, das während der Legislaturperiode für ein ausscheidendes Kommissionsmitglied nachbestellt wird, lediglich eine Anhörung des Parlaments vor, also kein Zustimmungsvotum. Die Ernennung erfolgt durch den “Rat mit Zustimmung des Präsidenten der Kommission nach Anhörung des EP” (also vdL muss zustimmen, dass Parlament nicht unbedingt). Damit ist auch die Frage beantwortet, was passiert, wenn das Parlament nicht einverstanden ist.
Dass der Nachfolger dieselbe Staatsangehörigkeit haben muss, steht ebenfalls in Art 246 AEUV. Die Regierung bzw. der Regierungschef hat hingegen nicht das Recht, ihn zu bestimmen; der Rat könnte grundsätzlich jeden anderen niederländischen Staatsangehörigen ernennen, er würde so etwas aber nur tun, wenn derVorschlag der NL absolut inakzeptabel erschiene.
KK
29. August 2023 @ 00:21
@ ebo:
„Allerdings darf aus jedem Land nur ein Kommissar kommen. Wenn Rutte übernimmt, muß Hoekstra also wieder gehen…“
Berichten Sie hier (und Herr Sonneborn, MdEP, an anderer Stelle) nicht regelmässig, was alles an „darf eigentlich“ und „darf eigentlich nicht“ in den letzten Jahren von der EUCO mit willfähriger Unterstützung das Rates und auch der Parlamentsmehrheit schon eingerissen worden ist? Lässt sich da nicht rückfolgern, dass der Lissabon-Vertrag in vielen Punkten eigentlich das Papier – auch zu den alten, deutlich niedrigeren Papierpreisen – nicht mehr wert ist?
Und da glauben Sie ernsthaft noch, dass nicht auch dieser Grundsatz „ein Land – ein Kommissar“ kippen könnte? Und das schon alles ausgekungelt sein könnte? (wie wärs mit dem Szenario, dass Ungarn als Strafe für den eigenen Kopf in Sachen Russland – und nicht etwa wegen der Probleme bei Demokratie und Rechtsstaat – einer weggenommen wird, und dafür das Land des EUCO-Präsidenten einen zweiten schicken darf?)
Ganz ehrlich: Ich trau denen inzwischen alles zu. Wirklich alles!
Thomas Damrau
28. August 2023 @ 19:59
Mal wieder ein schönes Beispiel für die Demokratie-Simulation in Brüssel. Man stelle sich mal kurz vor, Robert Habeck würde zurücktreten und der Minister-Präsident von Schleswig-Holstein würde den Nachfolger bestimmen, weil Habeck dort seinen Wohnsitz hat. Oder: Der Secretary of Sonst-Noch-Was in den Vereinigten Staaten von Amerika (die ja gerne als Inspiration für die „Vereinigten Staaten von Europa“ genannt werden) muss ersetzt werden und der Governeur von Alaska bestimmt den Nachfolger, weil der Amtsinhaber aus Alaska kam. Beides undenkbar.
Wohlgemerkt: Ich spreche mich nicht gegen einen gewissen regionalen Proporz aus. Aber, dass EU-Kommissare von den Regierungs-Chefs der Länder eingesetzt werden, zeigt die Machtverhältnisse in der EU ziemlich brutal.
Man darf gespannt sein, was passiert, wenn das EU-Parlament Hoekstra nicht möchte. Vermutlich dasselbe, was passiert ist, als von den Laien am Parlament vorbei als Chefin ausgekungelt wurde.
Parlament friss – oder schluck’s halt runter.
KK
28. August 2023 @ 18:57
Nach von der Leyen kommt jetzt der nächste Nagel im Sarg der EU aus den Niederlanden?
Oder installiert Rutte einfach schon mal seinen Vize, bevor er selber kommt – quasi als niederländische Nagelpistole?
ebo
28. August 2023 @ 19:29
Das hatte ich auch erst gedacht. Allerdings darf aus jedem Land nur ein Kommissar kommen. Wenn Rutte übernimmt, muß Hoekstra also wieder gehen…