Rettung mit Fragezeichen

Das Bundesverfassungsgericht hat den ESM-Vertrag durchgewunken. Allerdings wir die deutsche Haftung auf 190 Mrd. Euro begrenzt. Außerdem muss der Bundestag umfassend unterrichtet werden. Sollten diese Vorbehalte unwirksam sein, wäre Deutschland nicht an ESM-Vertrag gebunden, sagte Gerichtspräsident Voßkuhle. Die große Frage ist nun, ob und wie die Bundesregierung diese Bedingungen auf EU-Ebene durchsetzen kann.

Das Gericht berief sich auf zwei besondere Umstände: Die Ratifikation von völkerrechtlichen Verträgen bindet Deutschland, und die wirtschaftlichen und politischen Folgen einer Verzögerung wären “kaum verlässlich abschätzbar”. Der Senat sah sich daher gezwungen, vom normalem Verfahren abzuweichen und eine “summarische Prüfung” vorzunehmen. Das Ergebnis: Die deutsche Verfassung wird durch den ESM  “mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht verletzt”. Allerdings sei Auslegung der ESM-Regeln “mit einigen Unsicherheiten behaftet”.  

Die große Frage ist nun, ob die von Karlsruhe geforderte Klarstellung mit dem aktuellen ESM-Vertrag vereinbar ist, oder ob eine Nachverhandlung nötig wird. Dies könnte zu erheblichen Verzögerungen und Turbulenzen führen, wie auch G. Wolff vom Brüsseler Thinktank Bruegel fürchtet. Offen bleibt zudem, ob der ESM tatsächlich geeignet ist, den Euro zu “retten”. Dies habe das Verfassungsgericht nicht beurteilen können, hieß es heute in Karlsruhe. Vielmehr sei es Aufgabe der Politik, den Kurs vorzugeben.

Doch die Politik weiß selbst nicht, wohin sie steuert. Als der erste Rettungsschirm EFSF hochgezogen wurde, galt er als “provisorisch” und befristet. Neben Griechenland werde es keine weiteren Rettungskandidaten geben, glaubte selbst EFSF-Chef Regling. Als dann der ESM konzipiert wurde, ging man davon aus, dass sich die Krise auf kleine Länder wie Irland oder Portugal begrenzen ließe. Von großen Brocken wie Spanien oder Italien war damals noch keine Rede…

Deshalb braucht der ESM nun schon wieder eine neue Krücke, das Anleiheprogramm der EZB. Eine Deckelung des deutschen Beitrags auf 190 Mrd. Euro erscheint vor diesem Hintergrund ziemlich weltfremd. Die Euro-“Retter” denken längst über den ESM hinaus. Die Märkte übrigens auch: sie rechnen fest mit einem neuen Hilfsprogramm für Spanien. Heute freuen sie sich noch über das Karlsruher Urteil, doch schon morgen könnte die Stimmung wieder kippen…

…insbesondere dann, wenn die Karlsruher Richter sich die Rolle der EZB vornehmen. Das wollen sie nämlich in der noch ausstehenden Hauptversammlung tun. Sollte das Verfassungsgericht zu dem Urteil kommen, dass die EZB mit ihrem Anleiheprogramm ihre Kompetenzen überschritten hat, wäre die ganze Euro-“Rettung” schon wieder in Frage gestellt!

Siehe zu diesem Thema auch meinen aktuellen Kommentar auf Cicero online