Isch over
Er wurde 1997 auf deutschen Druck eingeführt und schon fünf Jahre später gebrochen – auch von Deutschland. Nun wird der Stabilitätspakt ausgemustert: Das Coronavirus hat ihn dahingerafft.
Endlich mal eine gute Nachricht: Die EU hat den Stabilitätspakt für den Euro ausgesetzt. Damit fallen die strikten Budgetregeln, die Italien, Spanien, Griechenland und andere Krisenländer am Geldausgeben gehindert haben.
Die Eurostaaten können sich nun unbegrenzt verschulden, bis das COVID-19 besiegt ist. Das “3,0 ist 3,0” eines Theo Waigel gilt nicht mehr, die Austeritätspolitik ist vorerst beendet.
Doch rechte Freude will über diese Entscheidung nicht aufkommen. Schließlich kommt sie reichlich spät. Der „dumme deutsche Pakt“, wie ihn der frühere Kommissionspräsident Romano Prodi nannte, hätte schon zu Beginn der Corona-Krise ausgesetzt werden müssen.
Und nun sollte man ihn am besten gleich ganz abschaffen.
Denn für Stabilität haben die Regeln nie gesorgt. Griechenland kam in den Euro, obwohl es die Vorgaben von Anfang an brach. Spanien schlitterte in die Krise, obwohl es die Regeln befolgte.
Das Problem war nicht die öffentliche Verschuldung, die die EU begrenzt, sondern die private Überschuldung – bei den Banken. Die Gefahr ging also nicht von den Staatsschulden aus, vor denen deutsche Ideologen immer warn(t)en.
Das hat die EU-Politiker jedoch nicht gehindert, das Regelwerk in der Eurokrise weiter aufzurüsten und auszubauen. Es wurde zu einem bürokratischen Monstrum, das niemand mehr versteht – nicht einmal die Ökonomen.
Sie haben von Anfang an am Sinn der Drei-Prozent-Grenze für das Budgetdefizit gezweifelt und immer wieder Reformen gefordert.
Doch Deutschland hielt eisern an „seinen“ Regeln fest. Das führte zu massiven wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen, vor allem in Griechenland und Italien.
Aber auch andere Länder blieben nicht verschont, wenn die EU-Kommission Kürzungen im Gesundheitssektor und Privatisierungen von Krankenhäusern forderte.
Nicht weniger als 63-mal hat Brüssel solche Empfehlungen in den letzten Jahren ausgesprochen – immer im Namen des Stabilitätspaktes und der neoliberalen Ideologie, die auch im Dogma der „Wettbewerbsfähigkeit“ verankert ist.
Selbst jetzt noch verspricht die EU, den Stabilitätspakt hochzuhalten – für die Zeit nach der Krise. Die Finanzminister betonen, sie blieben “der Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts uneingeschränkt verpflichtet“.
Dabei werden die Regeln der 90er Jahre nach der kommenden Rezession noch absurder wirken. Denn die Verschuldung wird in den 20ern weit über den EU-Grenzen liegen, auch in Deutschland.
Der Stabipakt ist tot, man darf es nur noch nicht laut sagen. Deshalb formulieren wir es mit einem geflügelten Wort des beliebtesten deutschen Politikers: “Isch over”…
Siehe auch “Die Wirtschaft stürzt ab” sowie den Gastbeitrag “Vier Vorschläge für eine europäische Corona-Wirtschaft”
P.S. Die Eurogruppe konnte sich am Dienstagabend nicht auf gemeinsame Finanz-Instrumente wie Corona-Bonds oder neue Kreditlinien einigen. Damit droht sich das Versagen in der Eurokrise zu wiederholen, wie damals scheint nur die EZB handlungsfähig…
Lothar Schnitzler
25. März 2020 @ 20:33
Da werden sich Etatisten und Colbertisten aber freuen. Und die Regierungen der failing states am Mittelmeerrand auch. Sie hoffen, nach dem vertrauten Muster weitermachen zu können: Reichlich Korruption, aufgeblähte Bürokratien, mangelhaft funktionierende Institutionen und eine Politik, die von Klientelinteressen und der damit einhergehenden hohen Verschuldung geprägt ist. Die Corona-Krise zeigt (zum Leidwesen der betroffenen Menschen), welche Politik tragfähiger ist und welche Finanzpolitik auf Katastrophen besser vorbereitet. Man stelle sich die Bewertung der Euroländer durch die Märkte ohne die viel kritisierte Stabilitätstradition der nördlichen Länder vor. Eine andere Frage ist, ob die nördlichen Länder angesichts dieser furchtbaren Heimsuchung nicht mehr Solidarität und Mitgefühl hätten zeigen müssen. Und selbstverständlich müssen Regierungen in Krisenzeiten Ersparnisse abbauen oder – wenn in den Jahren davor nicht angespart wurde – Schulden machen. Das sollte aber kein Anlass sein, die (angestrebte) Solidität der Staatsfinanzen für alle Zeiten aufzugeben.
Holly01
26. März 2020 @ 07:33
Hallo Herr Schnitzler,
da weiß ich gar nicht wo ich anfangen soll. Sie dreschen so viele der Stereotype die unsere Medien gerne benutzen und die völlig falsch sind oder genauso für uns gelten und die alle tausend Mal wiederlegt wurden, das es mir Angst macht.
Ich spare mir eine Antwort und nehme nur einen Satz heraus:
“ Das sollte aber kein Anlass sein, die (angestrebte) Solidität der Staatsfinanzen für alle Zeiten aufzugeben. “
Sie sollten wissen, dass Deutschland mit seinen ach so soliden Finanzen, den mit Abstand schlechtesten Vermögensaufbau in der Bevölkerung erreicht hat.
Rechnet man Rentenansprüche, Sozialleistungen, privates Eigentum zusammen liegt Deutschland weit abgeschlagen hinter den Staaten, denen Sie hier ihr Verhalten vorwerfen.
Immer schön daran denken. Die Summe von Geld ist immer Null, das heißt, wo Geldvermögen sind, da sind im selben Wert auch Schuldner.
Der deutsche Schuldner heißt USA.
Kurzer Blick über den Atlantik. Sie müssen Sich keine Sorgen machen, das Geld ist weg und kommt nie wieder. Die können nicht einmal mehr die Zinsen erwirtschaften (vor Corona).
Damit bleiben Ihnen (und mir) als Deutschen nur Trümmer und Abschreibungen.
Die südliche EU hat zumindest selbst genutztes Eigentum.
Die Österreicher erhalten bei vergleichbarer Produktivität die doppelte Rente.
Aber, wir haben ja unseren Stolz, den kann uns keiner nehmen (ja, danke auch dafür).
Sie sind inhaltlich extrem schlecht informiert, Sie sollten sich dringend andere Informationsquellen suchen.
vlg
ebo
26. März 2020 @ 08:55
Dies ist weder die Stunde der Etatisten noch die der Ordoliberalen. Es ist eine völlig neue Situation, wir sind in den 20er Jahren des 21. Jahrunderts und sollten nicht mit Begriffen aus den 70ern des letzten Jahrhunderts jonglieren. Solide Staatsfinanzen wird es nach dieser Krise (wenn wir sie überstehen, was nicht sicher ist) nur noch gemeinsam geben – z.B. über Coronabonds, ESM-Hilfen oder ein massiv ausgeweitetes EU-Budget – oder gar nicht mehr.
Holly01
25. März 2020 @ 12:45
Es ist kein anderer Punkt, nur ein zusätzlicher:
Das europäische Machtgefüge war über Jahrhunderte instabil. Das UK hat von Aussen das Zünglein an der Waage gespielt und damit entschieden, wie der Hase in Europa zu Laufen hatte.
Nach 1815 war das nicht mehr funktional. Der Großdeutsche Bund war (in Europa) stärker als das UK.
Daraus resultierten allerlei Bündnisse. Nicht jeder wollte eine deutsche Hegemonie. Eigentlich wollte keiner eine deutsche Hegemonie.
Die Gemeinschaftswährung und der deutsch französische Motor waren die Antwort.
Deutschland ohne „eigene“ Währung sollte keine Machtambitionen aufbauen und Frankreich war der Garant für ein „geerdetes“ Deutschland.
Was wir heute haben ist eine gescheiterte Politik des Einbettens von Deutschland in der EU.
Dieses Scheitern auf der einen Seite und das zersetzen der US Hegemonie auf der anderen Seite stellt die Gesamteuropäische Frage.
Die USA „kacken ab“, wollen aber nicht gehen. Genau genommen kann niemand denken das die USA noch eine Beistandsmacht wären. Wer das denkt ist Stroh doof.
Es gibt aber auch keinen Gegenvorschlag.
Deutschland als Hegemon will niemand.
Russland als Ankermacht ist zu schwach und das will auch .. niemand.
So ist die Gemeinschaftswährung sinnfrei.
Die NATO ist sinnfrei.
Deutschland aus dem einen oder anderen zu entlassen wäre aber fatal.
Deutschland müsste sich erklären, also definieren. (Da können die Nachbarn lange drauf warten, das wird nicht passieren).
Deutschland hängt sich aber an den Status quo und versteckt sich hinter den USA.
So geht alles den Bach runter. Der Niedergang der USA wird zum Niedergang der EU und Europas (nein, das ist nicht das Selbe).
Da sind wir bei Corona. Dieser Virus trifft nun eine Entscheidung. Die USA werden für die EU wegbrechen.
Schon nach 2007/8 war es lächerlich die USA als Welthegemon einzusortieren. Nach Corona wird man den Verfall nicht mehr wegreden können.
Nun schauen sich in der EU alle gegenseitig an und fangen an zu lauern. Das ist Mikado.
Wer zuerst blinzelt wird zerpflückt.
Helfen könnte nur ein großer Wurf. Der Vertrag von Aachen war so ein Wurf.
Leider ist Merkel keine große Werferin. Was andere mühsam aufbauen wirft die mit dem Hintern direkt wieder um.
Merkel steht für die Atlantik Brücke und blockiert und düpiert so gut sie kann.
Was es bräuchte wäre ein deutsch/französische Initiative.
Gut wäre es mit Spanien und oder Polen dabei.
Wenn die USA nicht wären …….. die würden in Lichtgeschwindigkeit dagegen arbeiten und Steuern, Intermare, das UK und sonst noch etwas in Stellung bringen.
Quasi ein Krieg, wie er gegen den Russland, Iran, Venezuela, Kuba und Syrien bereits geführt wird.
Es wird so lange dauern, bis Deutschland Blut schwitzt (also richtig Exportmärkte und Geld verliert), bevor Deutschland nachgibt und auf Frankreich zugeht.
Ich habe keine Ahnung was dann passieren wird. Ich glaube nicht, das Frankreich mit Macron wirklich dazu bereit sind das zu tun, was nötig wäre.
Also wird vorher eine Zerreissprobe für die EU und den Euro auf dem Programm stehen.
vlg
Kleopatra
25. März 2020 @ 08:35
Ich meine, dass die Währungsunionund der Stabilitätspakt zwei Probleme hatten: einerseits wurden sie den unterschiedlichen Nationen von vornherein mit unterschiedlichen Versprechungen schmackhaft gemacht, andererseits setzt die weitgehende Koppelung aneinander ein hohes Maß an Vertrauen und Einigkeit über Ziele und Werte voraus, das in diesem Grad nicht vorhanden war. Die unterschiedlichen Versprechungen haben den Spielraum der Regierungen eingeengt: z.B. konnte keine deutsche Regierung von dem Versprechen abrücken, dass deutsche Gelder nie zur Deckung der Schulden anderer Staaten verwendet werden würden. Wegen der Uneinigkeit und des fehlenden Vertrauens hat man deutscherseits bei der Aushandlung auf strikten Regeln bestanden, die man nun wegen eben dieses fehlenden Vertrauens nicht einvernehmlich ändern kann, ohne zugeben zu müssen, dass man im Namen “Europas” seinen Wählern unhaltbare Versprechungen gemacht hat, d.h. ohne die EU ein Stück weit zu desavouieren. Die in Deutschland beliebte Vorstellung, dass man für die internationale Zusammenarbeit Regeln ausarbeiten könne, die für jeden Fall passen, ist abenteuerlich. Ich würde das allerdings nicht nur der seinerzeitigen deutschen Regierung vorwerfen; immerhin haben alle anderen Teilnehmer der Währungsunion diesen Regelungen auch zugestimmt, was sie nicht hätten tun müssen.
Faktisch haben sich also mehrere aneinandergekettet, ohne sich wirklich einig zu sein. Die Folge ist, dass jetzt der Stärkste brutal durchsetzen kann, wo es hingeht (jedenfalls solange, bis alle zusammen stolpern).
ebo
25. März 2020 @ 09:14
So krass würde ich es nicht formulieren. In den 90ern ging es darum, die Währungsunion einzuführen, es war nicht zuletzt eine französische Initiative. Damals betrat man Neuland und brauchte irgendwelche Regeln oder Institutionen. Die EZB war eine gute Wahl, der Stabilitätspakt nicht. Was nicht überraschend ist, denn der Pakt schreibt einfach nur die – ziemlich willkürlichen – Konvergenzkriterien für den Euro auf Dauer fest. Dabei hätte nach der Konvergenz die Währungsunion und danach die Politische Union kommen müssen. So haben es Mitterrand, Kohl und Tietmeyer auch immer gesagt. Doch dann kamen Schröder und Merkel – und die wollten sich an nichs erinnern und auch nichts mehr ändern. Die Eurokrise hat aus der Währungsunion dann eine deutsche Union gemacht, die politische Union wurde fallen gelassen…
Kleopatra
25. März 2020 @ 12:09
Wenn die Währungsunion ohne politische Union nicht funktioniert und man sich dessen auch bewusst war, warum hat man dann die Währungsunion überhaupt gemacht? Dass sie sehr umstritten war, hat nicht nur die Ablehnung in Dänemark gezeigt, sondern auch die etrem knappe Annahme im französischen Referendum. Die Regeln in den Verträgen sind bei wörtlicher Lesart so strikt formuliert, dass sie selbst freiwillige gegenseitige Unterstützung verbieten. Ich habe den Verdacht, dass die französische Seite davon ausgegangen ist, dass nichts so heiß gegessen wie gekocht wird und man im Fall eine Falles immer noch von den Regeln abweichen kann, während die deutsche Seite die Regeln bitter ernst gemeint hat. Die fehlende politische Union ist nicht allein deutscher Zurückhaltung zuzuschreiben, denn die Referenden, in denen der Verfassungsvertrag abgelehnt wurde, fanden schließlich nicht in Deutschland statt. Wenn jemand mit der Währungsunion einen Sachzwang für eine politische Union schaffen wollte, haben solche Akteure fahrlässig eine Bindung geschaffen, die nach meinem Eindruck eher die Wut aufeinander als die Einigkeit fördert.
ebo
25. März 2020 @ 12:16
Ganz einfach: In den 90ern gab es noch einen deutsch-französischen “Motor” und die gemeinsame Überzeugung, dass die EU sich graduell weiterentwickeln soll – Schritt für Schritt vom gemeinsamen Markt über die Wirtschafts- und Währungsunion bis hin zur Politischen Union. Deutschland wollte sogar einen europäischen Bundestaat! Doch das ist alles weit weg, die EWWU steht auf tönernen Füssen. Wenn wir nicht verdammt aufpassen, bricht sie in den nächsten Wochen zusammen. Der italienische Patient ist das “ideale” Opfer für spekulative Attacken…