Merkel muß nachsitzen, von der Leyen muß nachbestellen – und Kommerz mit Daten

Die Watchlist EUropa vom 25. November 2020 –

Wer hätte das gedacht? Während die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Frankreich rückläufig ist und Präsident Macron erste Lockerungen ankündigen kann (so dürfen ab Samstag wieder die Geschäfte öffnen), muß Kanzlerin Merkel nachsitzen.

Bei einer Krisensitzung mit den deutschen Länderfürsten am Mittwoch in Berlin dürfte sie eine Verlängerung des “Lockdown light” bis zum 20. Dezember ankündigen. Zudem, so viel sickerte schon durch, werden wohl die Weihnachtsferien vorgezogen.

Was sich vernünftig anhört, ist doch auch ein Eingeständnis des Scheiterns. Der deutsche “Wellenbrecher”, der die Infektionen binnen eines Monats drastisch drücken sollte, hat nicht richtig gewirkt – die Zahlen verharren auf einem hohen, zu hohen Niveau.

Deutschland ist kein Vorbild mehr, sondern hinkt nun anderen EU-Ländern hinterher, die – wie Frankreich – erste Lockerungsübungen machen. In Spanien haben sogar Restaurants und Cafés wieder geöffnet, die harten Maßnahmen haben sich wohl ausgezahlt.

Was lernen wir daraus? Deutschland hat zu spät und zu zaghaft reagiert. Merkel und die Landesfürsten haben sich zu lange auf ihren vermeintlichen Lorbeeren ausgeruht – in der Hoffnung, dass das deutsche Gesundheitssystem allen anderen überlegen sei.

Das ist es aber nicht. Schon gar nicht, wenn sich das Virus gleichmäßig über ganz EUropa verteilt, wie in der zweiten Welle. Dann werden plötzlich auch deutsche Schwächen sichtbar – wie der Mangel an Pflegekräften, der sogar “Le Monde” einen Beitrag wert ist.

Deutlich wird auch, dass das Zahlenwerk, auf dem die deutschen Maßnahmen beruhen, trügerisch ist. Die Inzidenz von 50 hat dem exponentiellen Wachstum nicht standgehalten, der R-Wert wurde wochenlang falsch berechnet, die Welle immer wieder unterschätzt.

Doch ausgerechnet auf diesem fragwürdigen Zahlenwerk beruht nicht nur die deutsche, sondern zunehmend auch die europäische Gesundheitspolitik. Die Inzidenz 50 gilt als Maß aller Dinge – und nicht etwa die Zahl der Krankenhausbetten oder der Toten.

Merkel brüstet sich sogar damit, die “50” in ihrer gesundheitspolitisch enttäuschenden “Corona-Präsidentschaft” EU-weit durchgesetzt zu haben. Bleibt zu hoffen, dass Macron & Co. ihr nicht sklavisch folgen. Denn wie sich nun in Deutschland zeigt, ersetzen Zahlen keine Strategie…

Siehe auch “Der Wellenbrecher wirkt nicht – oder doch?” und “Mit überholten Zahlen zu roten Zonen”

Watchlist

Werden unsere Gesundheitsdaten demnächst meistbietend verkauft? Diese Frage wirft die “Datenstrategie” auf, die die EU-Kommission am Mittwoch vorlegen will. Die Brüsseler Behörde will “anonymisierte” und akkumulierte Daten aus der Medizin, dem Verkehr und der Finanzwelt europäischen Unternehmen zugänglich machen – und so Forschung und Innovation fördern. Doch damit sticht sie in ein Wespennest. Was ist mit dem Datenschutz? Wer soll die Daten feilbieten? Und warum nur für europäische Firmen? – Mehr hier

Was fehlt

Das jüngste Eigenlob von Kommissionschefin von der Leyen. In einer eigens einberufenen Pressepräsentation kündigte die CDU-Politikerin den Vertragsschluß mit dem Pharmalabor Moderna an. Die EU sei sich mit dem US-Konzern über den Erwerb von bis zu 160 Millionen Impfdosen einig geworden, so von der Leyen. Was wie eine Erfolgsmeldung klingen sollte, ist in Wahrheit ein Nachzieher – die EU ist spät dran, genau wie beim Deal mit Pfizer/Biontech. Teuer wird es zudem – die Rede ist von 25 und 37 Dollar pro Dosis. – Mehr hier

Das Letzte

Das Europaparlament will sein marodes Gebäude in Brüssel sanieren – und löst damit Protest in Straßburg aus. Regionalpräsident Jean Rottner schrieb auf Twitter: “Warum über 500 Millionen Euro in Brüssel ausgeben? Alles ist in Straßburg verfügbar. Ich lehne es ab, dass Straßburg ein zusätzlicher und ein Zweitsitz wird.” Laut EU-Vertrag ist nämlich Straßburg die Nummer eins. Doch die Abgeordneten lehnen es unter Verweis auf die Coronakrise ab, ihren Hauptsitz in Anspruch zu nehmen – angeblich sind Reisen zu riskant…

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Todesstoß oder heilsamer Schock?

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