“Strategischer Kompass”: Sie reden von Autonomie – und planen Aufrüstung

Die EU hat “strategische Autonomie” zum Ziel erklärt. Was das bedeutet, ist unklar, Paris und Berlin streiten um den richtigen Kurs. Derweil planen die Verteidigungs-Minister weitere Aufrüstung – mit einem geheimen strategischen “Kompass”.

Es war eine peinliche Panne: Ausgerechnet bei einer vertraulichen Videokonferenz der EU-Verteidigungsminister gelang es einem niederländischen Journalisten, sich in das System zu “hacken”. Über den Scoop lachte ganz Brüssel, denn das Passwort wurde per Twitter verbreitet: Ein krasser Anfängerfehler.

Zum Glück wurden keine vertraulichen Dokumente veröffentlicht, beruhigten sich die Minister. Der neue strategische “Kompass”, über den sie sprachen, blieb wie geplant geheim. Doch nun sind erste Details durchgesickert. Sie lassen nichts Gutes ahnen – die EU plant Aufrüstung an allen Fronten.

Der “Kompass” , der auf Berichten mehrerer Geheimdienste beruht, beschränkt sich nämlich nicht auf ein Ziel. Er nennt gleich vier Bereiche, in denen die EU besser werden soll: Das Krisenmanagement, die “Resilienz” (also Widerstandsfähigkeit), die Kapazitäten (nicht nur militärische) und die Partnerschaften.

Zudem handelt er nicht nur von militärischen Bedrohungen, sondern auch von Gefahren für die Globalisierung, von der zunehmenden Weltmacht-Konkurrenz, dem Kampf ums Wasser, der Klimakrise und der Lebensmittel-Sicherheit. COVID-19 und andere Pandemien dürfen natürlich auch nicht fehlen.

Und dann wären da noch “hybride” Bedrohungen (vor allem im Internet), neue regionale Akteure (wie die Türkei), ein angeblich allgegenwärtiger Infokrieg (vornehmlich aus Russland und China), der Terrorismus und die äußere Einmischung. Das sind jedenfalls die Punkte, die “Le Monde” hervorhebt.

Nimmt man noch den “Coordinated Annual Review on Defence (CARD)” hinzu, über den “EurActiv” berichtet, so fehlt es an allen Ecken und Enden, um die hochfliegenden Ziele der EU zu erreichen. Nur 60 Prozent der Truppen seien einsatzfähig, die “strategische Autonomie” sei längst nicht gesichert.

Um diese zu erreichen, wurden sechs vorrangige Rüstungsprojekte identifiziert – darunter ein neuer Kampfpanzer, aber auch Systeme zur Drohnenabwehr und zur “Verteidigung” im Weltraum.

Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, die auf die USA setzt und das transatlantische Band beschwört. Es ist aber auch eine willkommene Argumentationshilfe für Frankreichs Präsident Macron, der die “strategische Autonomie” erfunden hat und nun mehr Anstrengungen fordert.

Nur die Bürger ziehen mal wieder den Kürzeren. Sie sollen die Rechnung bezahlen – dürfen aber nicht einmal wissen, wer denn nun eigentlich unsere neuen Feinde (die Chinesen?), unsere hybriden Gegner (die Trolls?) und unsere unzuverlässlichen Partner (die Türkei?) sein sollen. Denn der strategische Kompaß bleibt geheim, trotz der Panne…

Dieser Beitrag erschien zuerst in unserem Newsletter “Watchlist EUropa”. Alle Newsletter (und ein Bestellformular) hier