Der nächste Deal von Merdogan – Wahlfarce in Mazedonien
War was? Zwei Tage nach dem missglückten Staatsbesuch des türkischen Sultans Erdogan herrscht in Berlin und Brüssel schon wieder Business as usual. Dabei dürfte dieser Besuch Folgen haben – für Deutschland und ganz EUropa.
In Deutschland wird man sich die Frage stellen müssen, ob Erdogan einen Staat im Staate installiert hat – mit eigener Religionsaufsicht, eigenem Geheimdienst, eigenen Moscheen – und sogar gefügigen Fußballspielern.
Für EUropa dürfte wichtiger sein, was auf Erdogans Besuch bei Kanzlerin Merkel folgt. Was haben die beiden beim gemeinsamen Frühstück am Freitag ausgehandelt? Wollen “Merdogan” die EU wieder ganz neu aufstellen?
Mit dem umstrittenen Flüchtlingsdeal Anfang 2016 ist dies ja schon einmal gelungen. Damals setzte sich Merkel nach einem Blitzbesuch bei Erdogan über die gesamte EU-Spitze hinweg, Ratspräsident Tusk eingeschlossen.
Diesmal dürfte es erneut um die Flüchtlinge gehen – Erdogan hat ja bereits mehr Geld gefordert. Aber auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit war ein Thema – Merkel soll die Türkei vor dem Absturz bewahren.
Wird in Brüssel also bald doch wieder über eine Reform der Zollunion verhandelt? Findet Merkel einen Weg, dass die EU für das marode “Partner”land zahlt? Wird der Euro-Rettungsfonds ESM angezapft?
All dies sind naheliegende Fragen – erstaunlich, dass sie in Berlin niemand stellt. Erstaunlich auch, wie Wirtschaftsminister Altmaier die Türkei verherrlicht – und so tut, also seien Schland und die Türkei schon eins:
Deutschland/Türkei sind Freunde & Verbündete. Wir arbeiten für Freiheit, Glück, Wohlstand & Frieden für 160 Mio Menschen & für ganz Europa.
— Peter Altmaier (@peteraltmaier) September 27, 2018
“Freiheit, Glück, Wohlstand & Frieden” – mit Bundeswehr-Panzern in Syrien? Mit einem Sultan, der massive Säuberungen befiehlt und Zehntausende einbuchtet? Und was will uns Altmaier mit seiner bizarren Volkszählung sagen?
160 Mio Menschen – das wären mehr als Frankreich, Italien und die Niederlande zusammen. Nicht auszudenken, wenn die Türkei eines Tages der EU beiträte – oder Berlin und Ankara gemeinsame Sache machten, wie vor 100 Jahren…
Siehe auch Armenien: Die Türkei war nicht allein
WATCHLIST:
- Hochspannung beim Parteitag der britischen Tories in Birmingham: Ex-Außenminister Johnson hat den Brexit-Plan von Premierministerin May “absurd” genannt und sogar eine Alternative vorgelegt, die auf ein Freihandelsabkommen à la Kanada hinausläuft. Am Montag reden mehrere Minister – werden sie May verteidigen und die Stimmung drehen?
- Beim Treffen der Eurogruppe in Luxemburg dürfte es um die Schuldenkrise in Italien gehen. Kommissionsvize Dombrovskis, ein Hardliner, hat die Pläne aus Rom bereits als Verstoß gegen die EU-Regeln gebrandmarkt, Finanzminister Scholz duckt sich weg (er reist gar nicht erst an). Offenbar hofft man auf eine harte Reaktion der Märkte…
WAS FEHLT:
- Ein EU-Erfolg auf dem Balkan. Beim Referendum in (Nord-)Mazedonien wurde das nötige Quorum von 50 Prozent verfehlt – dabei hatten die EU-Granden, Merkel eingeschlossen, von einer Abstimmung über EUropa (und die Nato) gesprochen. Zieht die Regierung die Namensänderung trotz dieses Debakels durch? Es sieht ganz so aus…
Referendum in 🇲🇰: I congratulate those citizens who voted in today’s consultative referendum and made use of their democratic freedoms. With the very significant “yes” vote, there is broad support support to the #Prespa Agreement + to the country’s #Euroatlantic path. 1/2
— Johannes Hahn (@JHahnEU) September 30, 2018
Siehe auch “Wahleinmischung, aber richtig”
Oudejans
1. Oktober 2018 @ 12:48
>>”In Deutschland wird man sich die Frage stellen müssen, ob Erdogan einen Staat im Staate installiert hat – mit eigener Religionsaufsicht, eigenem Geheimdienst, eigenen Moscheen – und sogar gefügigen Fußballspielern.”
Exakt. Wie viele Jahrzehnte hat man argwöhnisch auf eine angebliche Fünfte Kolonne Moskaus gestarrt, die Deutschland zu überrennen drohe, während dieser Staat im Staate unter aller Augen heranwuchs. Es kommt immer anders, als man denkt.
Der Terminus MERDOGAN bringt es auf den traurigen Punkt.
Wölfe und AfD werden sich gut verstehen, wie schon in der Vergangenheit, sie wissen es nur noch nicht.
Peter Nemschak
1. Oktober 2018 @ 08:57
Leistung und Gegenleistung muss das Verhältnis Türkei EU bestimmen. In Deutschland ist der Rechtsstaat durchzusetzen. Finanzierung muslimischer Religionsstätten aus dem Ausland ist zu unterbinden, ebenso demokratie- und verfassungsfeindliche Umtriebe im Inland, egal aus welcher Ecke sie kommen. Ein liberaler Islam in der EU ist zu fördern inklusive Ausbildung von Imamen. Hassprediger sind auszuweisen. Panik ist aber nicht angebracht, sehr wohl aber die konsequente Durchsetzung von Gesetzen.
Athanasios Papapostolou
1. Oktober 2018 @ 08:05
Von einem (vermeintlich) linken Journalisten erwarte ich mehr Sachlichkeit und Aufklärung (der Begriff ist Ihnen sicher bekannt). Das absurde Wortspiel “Merdogan” ist polemisch und spielt letztendlich nur dem AfD-Mob in die Hände. Auch das angebliche Debakel in Mazedonien sollte besser erklärt werden. Es waren nur ca.70% der Wahlbevölkerung zugelassen. Dass dann das Quorum nicht erreicht wurde, wurde fast schon erwartet. Immerhin haben dann über 90% der Stimmen mit “Ja” gewählt. Wo Sie ein “Debakel” sehen, ist mir schleierhaft.
ebo
1. Oktober 2018 @ 09:12
@A.P. “Merdogan” ist eine Anspielung auf “Merkozy”, das alte Bündnis zwischen Merkel und Sarkozy. Was Mazedonien betrifft, so schauen Sie doch bitte einmal, was die “Tagesschau” schreibt: “Referendum in Mazedonien gescheitert”.
Peter Nemschak
1. Oktober 2018 @ 11:23
Von einer reifen liberalen Demokratie ist Mazedonien jedenfalls noch weit entfernt. Dennoch wäre sein Beitritt aus geopolitischen Gründen wünschenswert. Es wird Zeit, dass die EU ihren Wertekatalog, auf den sie so stolz ist, der neuen historischen Situation anpasst. Seit den Römischen Verträgen sind mehr als 60 Jahre vergangen, aus 6 westeuropäischen Gründungsmitgliedern sind 28 heterogene Staaten, viele davon unter jahrelanger kommunistischer Herrschaft, “Bruderstaaten” der Sowjetunion, dazugekommen. Von derlei brüderlicher Solidarität wollen diese Staaten verständlicherweise nichts wissen.