Tajanis lustloser Brief – Erdogans dreiste Forderung
Zwei Wochen nach dem Votum, mit dem das EU-Parlament ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn ausgelöst hat, hat Parlamentspräsident Tajani einen Brief an den EU-Vorsitz geschrieben. Dies ist nötig, damit die EU gegen Ungarn vorgehen kann. Doch das Schreiben ist ausgesprochen lustlos.
Es enthält nur drei Sätze und endet mit dem Hinweis darauf, welche „Bedeutung das Parlament dieser wichtigen Angelegenheit“ beimisst. Tajani vermeidet es jedoch, sich auch persönlich für das EU-Verfahren einzusetzen und Druck zu machen.
Dabei geht es hier um eine historische Premiere: Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat das Europaparlament für das so genannte Artikel-7-Verfahren gestimmt – und den Ministerrat aufgefordert, sich der Sache anzunehmen.
Damit wollen die Abgeordneten gegen eine “systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte“ in Ungarn vorgehen. Zugrunde lag ein Bericht der grünen Europaabgeordneten Sargentini.
Die niederländische Politikerin wird seit dem Parlamentsbeschluss immer wieder von Orban-Anhängern bedrängt. Tajani hätte Sargentini unterstützen müssen, meint nun der grüne Europaabgeordnete S. Giegold.
Außerdem müsse sich der konservative Italiener, der zu den engsten Vertrauten des früheren Premiers Berlusconi zählt, offensiv für das EU-Verfahren einsetzen. Bisher verteidige Tajani die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn „nur halbherzig“.
Kritik kommt auch von den Sozialdemokraten. Tajani müsse energischer für das Verfahren eintreten und beim Ministerrat auf eine rasche Befassung drängen, sagte der Vorsitzende der deutschen Gruppe in der S&D-Fraktion, J. Geier.
„Fire and forget – das kann es nicht gewesen sein“, so Geier. Auch die Europäische Volkspartei EVP müsse sich klar positionieren und Orbans Fidesz-Partei zu Reformen drängen – oder aus der Fraktion ausschließen.
Doch EVP-Fraktionschef Weber (CSU) denkt gar nicht daran. Der designierte Spitzenkandidat will weiter “vertrauensvoll” mit Fidesz zusammenarbeiten – genau wie Tajani zeigt er keinen großen Drang, Orban wirklich Beine zu machen…
Siehe dazu auch meinen Kommentar in der taz: “Doppeltes Spiel”
WATCHLIST:
- Pünktlich zu seinem Staatsbesuch in Deutschland hat der türkische Sultan Erdogan mehr Geld für den Flüchtlingsdeal gefordert, den er mit Kanzlerin Merkel geschlossen hatte. “Die EU muss zahlen”, forderte er kurz vor seiner Abreise nach Berlin. Die vereinbarten zwei mal drei Mrd. Euro reichten nicht aus. Ob er bei Merkel auf offene Ohren trifft?
WAS FEHLT:
- Der absolute Wille zur Austerität in Italien. Statt eisern zu sparen, wie dies Berlin und Brüssel fordern, hat sich die italienische Regierung offenbar darauf geeinigt, mehr Schulden zu machen. Es werde mit einer Neuverschuldung von 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung geplant, erklärten die Vizepremierminister Di Maio und Salvini. Das könnte Ärger geben…
Peter Nemschak
28. September 2018 @ 10:15
Das Beispiel Italien zeigt, dass eine Euro-reform notwendig ist und zwar dergestalt, dass Länder welche glauben, ihre Bevölkerungen mit hohen Staatsschulden kaufen zu müssen, die Eurozone verlassen, jedenfalls aber ohne Schaden für die anderen Euromitglieder pleite gehen können. Es braucht die Macht der Finanzmärkte, für erhöhtes Risiko entsprechend hohe Zinsen durchsetzen zu können. Das würde die Ausgabenfreude mancher Regierungen im Zaum halten. Transnationale Solidarität bewirkt das Gegenteil.
Georg Soltau
28. September 2018 @ 13:58
Wir brauchen nicht die Macht, oder besser gesagt die Gier der Finanzmärkte, die haben schon 2008 gezeigt was sie wirklich leisten. Wir brauchen endlich eine Politik ohne die “Beratung” der Pharisäern wie z.B. Goldman Sachs
Holly01
30. September 2018 @ 09:43
Die “Reichen” erlassen sich per Einflußnahme selbst die Steuern.
Der unterfinanzierte Staat spart an den Ausgaben, natürlich nicht an den Subventionen oder den Militärausgabe, aber Sozialleistungen kann man ja gerne kürzen.
Dazu führt die Politik dann Deckel ein, mit denen die Beteiligung der “Reichen” minimiert wird.
Und dann kommt jemand wie Sie daher und erzählt von der Unfinanzierbarkeit des Sozialsystems.
Lernen Sie erst einmal einen Teil der Lasten zu tragen, dann dürfen Sie über die Verwendung lamentieren.
So lange in Deutschland weder Firmen noch Reiche irgend einen Anteil am Sozialsystem mittragen, tut dem Reist einen Gefallen: “Einfach mal den Mund halten”.
vlg
Georg Soltau
30. September 2018 @ 16:31
@ Holly, Recht haben Sie, aber ich glaube der Peter wird darauf nicht antworten, da wird er mal den Mund halten…..mangels Argumenten.
Peter Nemschak
28. September 2018 @ 08:57
Wahrscheinlich hätte Orban nichts gegen den Ausschluss aus der EVP nachdem er Anführer der Rechten werden möchte. Es wäre an der Zeit, ernsthaft zu untersuchen wieviel Geld er über Korruptionsbroker bereits an andere führende Politiker von rechtspopulistischen Parteien in der EU gezahlt hat. Überall dort, wo eine rechtspopulistische Partei in Europa Einfluss in einer Koalitionsregierung hat, unterliegt sie dem Generalverdacht der Korruption. Weltfremd scheinen die Abgeordneten im Europaparlament zu sein. Das Thema Korruption bei den Rechten hat noch niemand ernsthaft angegriffen, nicht einmal jene Medien, welche die Demokratie in Gefahr sehen.