Macrons Europa-Bilanz, Gesetz über digitale Dienste – und Türkei kritisiert Alliierte

Die Watchlist EUropa vom 22. April 2022 –

Vor fünf Jahren soll sich Russland in die französische Präsidentschaftswahl eingemischt haben – Emmanuel Macron gewann trotzdem. Diesmal kommt die Einmischung aus dem Westen. Kanzler Scholz, der Spanier Sanchez und der Portugiese Costa haben in einem Gastbeitrag für “Le Monde” zur Wiederwahl Macrons aufgerufen. Nur so lasse sich die EU vor dem Nationalismus à la Le Pen oder Orban retten, meinen die drei Sozialdemokraten.

Ob es hilft? Oder eher nach hinten losgeht? Das müssen die Franzosen am Sonntag entscheiden. Bei der TV-Debatte am Mittwochabend spielte die Europapolitik keine zentrale Rolle, die Inflation und Russland erhitzten die Gemüter mehr als Macrons Großtaten in Brüssel.

Dabei versuchte der (neo-)liberale Franzose alles, um seine Erfolgsbilanz herauszustellen. Er habe die “europäische Souveränität” gefördert, die gemeinsame Verteidigungspolitik vorangebracht und die größte Finanzkrise aller Zeiten abgewendet – mit dem schuldenfinanzierten Corona-Aufbaufonds.

Tatsächlich hat Macron viel bewegt. Allerdings erst sehr spät. Erst drei Jahre nach seiner berühmten Sorbonne-Rede konnte er Ex-Kanzlerin Merkel dazu bringen, auf seine Vorschläge einzugehen und die deutschen Dogmen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik vorübergehend außer Kraft zu setzen.

Erst ab Mitte 2020 kam der “deutsch-französische Motor” in Schwung. Doch jetzt, mit Kanzler Scholz, hat er schon wieder an Zugkraft verloren. In der Ukraine- und Russland-Politik geben nicht Paris und Berlin, sondern Kiew und Warschau den Ton an, gemeinsam mit Washington.

Auch die “europäische Souveränität” klingt nicht mehr so richtig überzeugend. Scholz kauft die neuen deutschen Kampfjets lieber in den USA, nicht in Frankreich oder in der EU. Auch der Ersatz für Öl und Gas aus Russland wird in Amerika oder in Katar gesucht, nicht in Europa.

Nie war die EU so abhängig von den USA

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Nie war die EU so abhängig von den USA wie heute. In Afghanistan und im Indopazifik hat US-Präsident Biden den Europäern gezeigt, wo der Hammer hängt. Derweil verliert Frankreich in Afrika immer mehr an Einfluß, der Rückzug aus Mali ist eine Blamage für Macron.

Und was ist eigentlich aus der EU-Reform geworden? Nach dem Brexit wollte Macron den europäischen Club runderneuern und demokratisieren. Sechs Jahre später darf man schon froh sein, wenn die Bürgerkonferenz zur Zukunft der EU überhaupt ein Ergebnis bringt.

Die größte Niederlage hat Macron aber im eigenen Land erlitten. Er wollte den Nationalisten und den Populisten den Kampf ansagen – doch heute ist Le Pen stärker denn je zuvor. Und mit E. Zemmour ist der rechtsextreme Rand sogar noch stärker geworden.

Macrons Wiederwahl hängt von Linken ab

Macrons Wiederwahl wird nicht nur von der Stärke der Rechten, sondern auch von der Mobilisierung der Linken abhängigen. Nur wenn die Anhänger von J-L. Mélenchon am Sonntag zur Wahl gehen und für ihn stimmen, ist ihm der Sieg sicher.

Ohne die EU-kritischen Linken und Linkspopulisten, die im 1. Wahlgang immerhin 22 Prozent der Stimmen holten, könnte die EU-feindliche Nationalistin Le Pen (23 Prozent) siegen. Auch das zeigt, wie mager die Europa-Bilanz ausfällt.

Die EU-Politiker sind voll des Lobes. Doch die Franzosen hat sie nicht wirklich überzeugt…

Siehe auch “EU zittert um Frankreich” und “Macron schwächelt, EU-Gegner legen zu”

Watchlist

Das EU-Gesetz über digitale Dienste (DSA) kommt. Am Freitag soll der letzte Trilog (Verhandlungsrunde mit dem EU-Parlament) abgeschlossen werden. Mit den verschärften Regeln will die EU große Onlinekonzerne wie Facebook und Google stärker regulieren. Außerdem greift sie in die Inhalte ein. Neben Hassrede soll auch sog. Desinformation geblockt werden – also unbequeme News vor allem aus Russland. Bei Verstößen werden bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes fällig. – Mehr zu Desinformation hier

Was fehlt

Die kaum verhohlene Kritik der Türkei an den USA und anderen Nato-Alliierten. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu warf ihnen vor, einen anhaltenden Krieg in der Ukraine anzustreben, um eine “Schwächung Russlands” zu erreichen. “Es gibt Länder in der NATO, die wollen, dass der Krieg weitergeht. Die Situation in der Ukraine interessiert sie nicht besonders”, sagte Çavuşoğlu. Ankara bemüht sich, zwischen Moskau und Kiew zu vermitteln. Doch neuerdings stehen vor allem die USA auf der Bremse…