Macron schwächelt, EU-Gegner legen zu
Der erste Durchgang der Präsidentschaftswahl in Frankreich hat einige Überraschungen gebracht. Europafan Macron schwächelt, EU-Gegner legen zu – und der Abstand Le Pen-Mélenchon schrumpft.
Macron kam laut „Le Monde“ auf 28 Prozent der Stimmen, die Nationalistin Le Pen auf 23, der Linke Mélenchon auf 21 und der Rechtsradikale Zemmour auf 7. Alle anderen Kandidaten – darunter Grüne, Sozialisten und Ex-Gaullisten – liegen unter 5 Prozent.
Auf den ersten Blick geht Macron so mit einem Vorteil in die entscheidende Stichwahl in zwei Wochen. Doch er bleibt unter dem Potenzial von 30 Prozent, das ihm noch vor einem Monat gegeben wurde. Und sein Wählerreservoir ist klein. Wenn man die Prozentpunkte der Grünen, Sozialisten und Ex-Gaullisten zusammenrechnet, liegt es bei knapp 40 Prozent.
Für die Wiederwahl braucht er noch Stimmen von Mélenchon, der jedoch nicht zur Wahl Macrons aufruft, sondern lediglich gegen Le Pen mobilisiert. Wenn sich die linken Wähler in zwei Wochen der Stimme enthalten, könnte es knapp werden.
Bemerkenswert auch, wie groß das Lager der EU-Gegner geworden ist. Le Pen, Mélenchon und Zemmour kommen zusammen auf knapp über 50 Prozent. Sie alle wollen mit der neoliberalen und proeuropäischen Politik Macrons brechen und Brüssel entmachten.
Offenbar hat Macrons Kurs die Franzosen nicht so sehr überzeugt, wie man hoffen konnte. Dabei hat er nicht nur wichtige Begriffe besetzt („Europäische Souveränität“, „strategische Autonomie“ etc.), sondern den EU-Vorsitz gezielt für seine Wiederwahl eingesetzt.
Doch es hat nicht gezündet. Selbst in Brüssel sind die Ergebnisse des angeblich historischen Sondergipfels von Versailles, bei dem sich Macron als „leader européen“ inszenierte, schon wieder weitgehend vergessen. Der Krieg ist darüber hinweggerollt.
Und die Nationalisten und Bellizisten in Polen machen offen Front gegen Macron. Auch daran sollte man sich in zwei Wochen erinnern, wenn es – wie erwartet – knapp wird. Diese Präsidentschaftswahl ist mehr denn je eine Europawahl…
Mehr zu Frankreich hier
P.S. Im Laufe des Abends hat sich der Abstand zwischen Le Pen und Mélenchon immer mehr verringert. Um 22:48h trennten beiden nur noch 0,8 Prozentpunkte (laut Le Monde). Es wäre eine Sensation, wenn sich das Blatt noch wenden sollte…
Armin Christ
12. April 2022 @ 08:40
“neoliberalen und proeuropäischen Politik” …. neoliberale Polutik kann nicht proeuropäisch sein, weil neoliberale Politik das Projekt angelsächsischer Ideologen ist, die die ganze Welt ausplündern wollen – Klima ist da egal, losgetretene Flüchtlingsströme landen in der altEU.
ebo
12. April 2022 @ 09:16
Doch seit Barroso ist die EU im Kern ein neoliberales Projekt, das ist ja das Drama. Wobei neoliberal bis vor kurzem noch im deutschen Sinn definiert wurde, mit Austerität und Disziplin
european
12. April 2022 @ 11:42
@ebo
Ich bin sehr sicher, dass es das auch weiterhin sein wird. Deutschland hat großzügig verkündet „WIR bereit sind, hohe Opfer für die Ukraine zu bringen“. Außerdem hat unser Finanzminister einen ordoliberalen Berater, den vorher niemand mehr im SVR haben wollte.
Heißt nach der Krise: same old shit.
Austerität für alle, außer der Ukraine, Gürtel enger schnallen, Lohnzurückhaltung in Deutschland wegen der hohen Energiekosten und schimpfen auf die faulen Südländer, die immer nur Schulden machen.
Thomas Damrau
11. April 2022 @ 09:17
Macron und Le Pen kommen zusammen gerade mal auf 51% – was im Umkehrschluss heißt, dass für 49% der Wähler keiner von beiden erste Wahl ist. In jedem Fall schadet es Frankreich, wenn nun zum zweiten Mal nach 2017 nur die Wahl zwischen wirtschaftsliberal und völkisch-autoritär bleibt. Die Parole „bevor ein(e) Rechte(r) es wird, wählen wir halt das kleinere Übel“ wird vermutlich auch 2022 Le Pen verhindern. Ob das auf die Dauer so sein wird, ist zweifelhaft.
Polen sollte als warnendes Beispiel dienen: Dort hatten die Wähler irgendwann genug von wirtschaftsliberaler Politik und haben sich mangels Alternativen für rechts entschieden.
Burkhart Braunbehrens
11. April 2022 @ 12:57
Da geb ich Ihnen voll Recht. Die ungebrochene Neoliberale Politik Macrons, die er mit Arroganz gegenüber seinen eigenen Landsleuten vertritt und exekutiert, verbaut den Weg auf Europa. Die EU ingesamt eint, aber immer brüchiger, die neoliberale Politik. Das ist das europäische Übel schlechthin, und vergessen wir nicht, neoliberal ist eng verknüpft mit postkolonial. So wird Europa trotz aller Wirtschaftsmacht keine Zukunft haben und sich mittelfristig marginalisieren.