EU zittert um Frankreich, Michel buhlt um Ukraine – und Assange droht Rache der USA
Die Watchlist EUropa vom 21. April 2022 –
Am Sonntag wählen die Franzosen ihren nächsten Präsidenten. Neben der schwindelerregenden Inflation und der schwindenden Kaufkraft steht – wie schon vor fünf Jahren – Europa im Zentrum der Debatte. Mit der Stichwahl zwischen Amtsinhaber Emmanuel Macron und der Zweitplatzierten Marine Le Pen können und müssen die Wähler eine Richtungsentscheidung treffen.
Während Macron die europäische Integration weiterführen will, steht Le Pen für eine Rückkehr zur Nation. Die Führerin des “Rassemblement National” will die Macht der EU begrenzen, die deutsch-französische Zusammenarbeit zurechtstutzen und französische Interessen in den Vordergrund stellen.
Damit steht sie nicht allein, loin de là. Le Pen kehrt einerseits zum traditionellen Modell des “Europas der Vaterländer” zurück, das schon der Gründer der Fünften Republik, Charles de Gaulle, propagierte. Andererseits springt sie auf einen politischen Trend auf, der derzeit ganz Europa beschäftigt.
Dieser Trend heißt “nationale Versuchung”. Er hat Länder wie Ungarn, Polen oder Großbritannien fest im Griff. Seit dem Brexit hat er zwar spürbar an Attraktivität eingebüßt. Selbst Le Pen propagiert keinen “Frexit” mehr. Auch den Euro möchte sich nicht aufgeben, wie noch vor fünf Jahren.
Auf der anderen Seite hat aber auch die EU deutlich an Strahlkraft verloren. Selbst der glühende Europäer Macron konnte die Franzosen in fünf Jahren nicht für Brüssel begeistern. Macron liegt in den Umfragen zwar immer noch knapp vor Le Pen. Doch seine Wiederwahl ist alles andere als gesichert.
Macron attackiert Putin-Connection
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Deshalb blickten die Europapolitiker am Mittwochabend gebannt auf das TV-Duell, das sich Macron und Le Pen zur besten Sendezeit im französischen Fernsehen geliefert haben. Der Schlagabtausch könnte die Wahl entscheiden – doch ein klarer Gewinner zeichnete sich zunächst nicht ab.
Le Pen wirkte freundlicher und gemäßigter als gewohnt, sie gab sich fürsorglich und besorgt. Bei der Kaufkraft und bei der Rente ging sie in die Offensive, auch Macrons autoritäres Management in der Coronakrise griff sie mit Erfolg an.
Macron mußte viel erklären und seine Bilanz verteidigen. Seinen stärksten Moment hatte er, als es um Le Pens Russland-Connection ging: “Sie hängen von der russischen Macht und sie hängen von Herrn Putin ab. Sie reden mit ihrem Bankier, wenn sie von Russland reden”.
Le Pen gibt sich fürsorglich und sozial
Dem hatte Le Pen nicht viel entgegenzusetzen – ihre Partei ist tatsächlich von Krediten aus Russland abhängig. Auch ihre Aussagen zur Europapolitik waren nicht schlüssig. Weniger EU – mehr Frankreich, viel mehr war ihr nicht zu entlocken.
Allerdings schaffte es Le Pen immer wieder, sich als Anwältin der kleinen Leute zu präsentieren und soziale Probleme anzusprechen. “Man muß die Franzosen lieben”, sagte sie – ein Seitenhieb auf den oft arroganten und unnahbaren Noch-Präsidenten.
Macron hingegen gelang es nicht, eine Perspektive für die nächsten fünf Jahre zu entwickeln und Lust auf seine Wiederwahl zu machen. Selbst zur Europapolitik, seinem Lieblingsthema, fiel ihm nichts Neues ein. 2017 sprühte er vor Ideen – nun ist er schon froh, wenn er die EU retten kann…
Mehr zur Wahl in Frankreich hier
Watchlist
Was will EU-Ratspräsident Michel in Kiew? Der liberale Belgier ist am Mittwoch überraschend in die ukrainische Hauptstadt gereist. Fast zwei Wochen nach EU-Kommissionschefin von der Leyen und Parlamentspräsidentin Metsola versprach auch Michel mehr Geld, mehr Waffen und mehr Sanktionen. Etwas zurückhaltender äußerte er sich zu einem EU-Beitritt des Landes. Die EU-Kommission werde bis Ende Juni ihre Bewertung des ukrainischen Antrags auf EU-Mitgliedschaft vorlegen. Dann liege es an ihm als Ratschef, zu entscheiden, wann er das Thema auf die Tagesordnung eines EU-Gipfels setze. Normalerweise wäre der nächste Gipfel erst im Oktober… – Mehr dazu hier
Was fehlt
Die drohende Auslieferung von J. Assange an die USA. Ein britisches Gericht hat der Auslieferung von Wikileaks-Gründer wegen Spionagevorwürfen an die USA am Mittwoch offiziell zugestimmt. Die letzte Entscheidung liegt nun bei Innenministerin P. Patel. Assanges Anwälte haben vier Wochen Zeit, Einwände vorzulegen. Sie können außerdem vor dem High Court in Berufung gehen. Assanges Anwalt Mark Summers ließ wissen, dass er und seine Kollegen ernstzunehmende Einwände vorbringen würden.
Auf die EU darf Assange nicht hoffen – sie ignoriert den Fall seit Jahren und schwieg auch gestern. Brüssel will die russischen Kriegsverbrechen verfolgen – aber für den Mann, der wegen der Offenlegung amerikanischer Kriegsverbrechen verfolgt wird, tut sie nichts…
european
21. April 2022 @ 11:32
In a nutshell:
“Auf die EU darf Assange nicht hoffen – sie ignoriert den Fall seit Jahren und schwieg auch gestern. Brüssel will die russischen Kriegsverbrechen verfolgen – aber für den Mann, der wegen der Offenlegung amerikanischer Kriegsverbrechen verfolgt wird, tut sie nichts…”
Herr Bonse, damit haben Sie alles gesagt, was man wissen muss. Kurz, prägnant, beschämend und so wahr. Vielen Dank. Ich hoffe, es wird vielfach gelesen und geteilt.