Der Machtkampf
Wer verliert im Schuldenpoker zuerst die Nerven – Griechenland oder die Gläubiger? Der griechische Premier gibt sich kämpferisch – dabei hat er offenbar Angst vor einem vorzeitigen, erzwungenen Abpfiff.
Warum macht Alexis Tsipras sowas? Warum setzt er mitten im Endspiel auf Konfrontation? Diese Frage stellen sich viele in Brüssel, nachdem der griechische Premier einen geharnischten Kommentar in der französischen Tageszeitung „Le Monde“ veröffentlicht hat.
Darin weist Tsipras nicht nur alle Schuld für die aktuelle Hängepartie im Schuldenstreit weit von sich – seine Regierung habe geliefert, die Gläubiger hätten versagt. Er spielt den Konflikt auch zu einem historischen Machtkampf zwischen Neoliberalen und Demokraten in der EU hoch.
Griechenland ist das erste Opfer
„Griechenland ist das erste Opfer“, schreibt Tsipras. „Alle Länder, die der Macht (der Neoliberalen) nicht nachgeben wollen, sollen hart bestraft werden.“ Dabei gehe es nicht nur um eine rücksichtslose Sparpolitik, sondern auch um Beschränkungen beim Kapitalverkehr und um die Einführung einer Parallelwährung neben dem Euro.
Nun sind Kapitalkontrollen nichts, was einem Linken wie Tsipras Angst machen sollte. Im Gegenteil: Sie können nützliche Instrumente im Kampf gegen Steuerflucht und Spekulation sein. Auch eine Parallelwährung ist nicht unbedingt ein Schreckgespenst. Sie könnte Griechenland sogar helfen, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.
Warum stellt Tsipras diese Massnahmen dennoch als neoliberale Folterinstrumente hin? Und warum vermeidet er es, Ross und Reiter zu nennen? In Brüssel weiß doch ohnehin jeder, dass Eurogruppenchef Dijsselbloem längst Kapitalkontrollen vorbereitet, auch Finanzminister Schäuble liebäugelt mit diesem Plan.
Weiterlesen auf “Members only”: Wovor Tsipras Angst hat. – Siehe auch: “Der Countdown läuft” und “Endspiel ohne Ende”
photo credit: Ο Αλέξης Τσίπρας στην Κομοτηνή via photopin (license)
winston
3. Juni 2015 @ 18:41
Die Gläubiger werden Kompromisse eingehen müssen, sonst wird es m. E. zum Grexit kommen.
Glaube nicht das Tsipras noch gross von seiner Position abweichen wird.
Wenn es zum Kompromiss kommt, wird es im Herbst sehr heiss.
Das letzte was die Europäische Kommission braucht sind Syriza ähnliche Parteien in Spanien und Portugal.
Spanien ist zudem eine ganz andere Nummer als Griechenland.
Eigenartig wie still es bei Merkel, Schäuble und Weidmann geworden ist, seit Syriza an der Macht ist.
Merkel und Weidmann scheinen komplett abwesend zu sein.
So oder so, der Euro wird früher oder später abgewickelt werden müssen.
Die EU Kommission sollte dringend Milton Friedmann’s Studien zum Euro studieren und sehr ernst nehmen. Bisher ist Friedmann’s Prognose bezüglich Euro Punktgenau eingetroffen, man kann nur hoffen das er mit dem Rest falsch liegt.
Nemschak
29. Juni 2015 @ 13:26
Man soll nicht überreagieren. Eine gemeinsame Währung bedarf bestimmter Spielregeln, wenn man keine Transferunion will, wo manche Staaten dauernd auf Kosten anderer erhalten werden. Griechenland sollte die Möglichkeit bekommen, seinen sebst gewählten sozialistischen Weg zu gehen, allerdings auf eigene und nicht auf fremde Rechnung. In Wahrheit ist Syriza konservativ und möchte die bestehenden Strukturen in der griechischen Gesellschaft erhalten, gleichzeitig aber ein möglichst hohes Wohlstandsniveau. Das passt nicht zusammen.
ebo
29. Juni 2015 @ 14:08
Haben Sie auch nur 5 Minuten auf das Angebot der griechischen Regierung an die Gläubiger verschwendet? Dann wüssten Sie, dass von Sozialismus keine Rede sein kann. Wenn Sie dann noch ca. 50 Minuten auf die Streichliste des IWF verschwenden, wissen Sie, warum es das Nein aus Athen gab.
GS
2. Juni 2015 @ 11:51
Ich hab eigentlich nichts mehr zu sagen, außer dass es mich erschreckt, wie hoch die beiden Seiten pokern. Es heißt ja nicht umsonst, dass in der Politik auffällig viele Psychopathen unterwegs sind. Mir wird langsam begreiflich, wie man sehenden Auges in Katastrophen wie den 1. Weltkrieg schlittern konnte.
S.B.
2. Juni 2015 @ 10:05
“Nun sind Kapitalkontrollen nichts, was einem Linken wie Tsipras Angst machen sollte. Im Gegenteil: Sie können nützliche Instrumente im Kampf gegen Steuerflucht und Spekulation sein.”
MIr wird gleich schlecht: “Die Steuersümpfe” für Otto-Normal-Steuerhinterzieher sind weitgehend trocken gelegt. Und ausgerechnet JETZT sollen Kapitalverkehrskontrollen gegen Steuerflucht helfen? Bitte! All dies gilt übrigens nicht für die ganz Großen (Konzerne). Und für die wird es auch so bleiben. Denn dafür ist die Lobby-Institution EU geschaffen worden.
“Auch eine Parallelwährung ist nicht unbedingt ein Schreckgespenst. Sie könnte Griechenland sogar helfen, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.”
Könnte, hätte, wäre… Was wird mit einer Parallelwährung passieren? Diese wird gegenüber dem Euro enorm abwerten. Importe werden für GR extrem teuer. Die Griechen selbst produzieren aber nichts. Sie müssten also bis zu dem Zeitpunkt, wo sie selbst für sich zumindest die essenziellen Verbrauchs- und Gebrauchtsgüter herstellen, irgendwie über die Runden kommen (ganz zu schweigen von konkurrenzfähigen Exportgütern). Über die Runden kommen sie jetzt schon nur deshalb, weil ständig frisches Geld von außerhalb ins Land gepumpt wird. Ihre Euro-Schulden könnten sie auch auf diesem Wege niemals begleichen (genausowenig, wie wenn sie im Euro bleiben).