Kein Mandat für “Weiter so”, Krah fliegt raus – und Macron wird zur Gefahr

Die Watchlist EUropa vom 11. Juni 2024 – Heute mit den Folgen der Europawahl für die EU-Politik, einem Schlussstrich in der AfD und der kritischen Lage in Frankreich.

Die Europawahl ist vorbei, nun wird Bilanz gezogen. Und siehe da: Trotz des Rechtsrucks in Frankreich, Österreich und teilweise auch in Deutschland sieht das Ergebnis aus Sicht der “überzeugten” EU-Politiker gar nicht so schlecht aus.

“Die Mitte hat gehalten”, freut sich EU-Kommissionschefin von der Leyen, die eine zweite Amtszeit antreten will. Ihre konservative EVP liegt wie erwartet vorn. Mit Sozialdemokraten und Liberalen, vielleicht sogar den Grünen, scheint eine Mehrheit im neuen Parlament sicher.

Ganz anders sieht das im Europäischen Rat aus, der sie nominieren muß. Da könnten einige Staats- und Regierungschefs noch quer schießen. Frankreichs Staatschef Macron käme ebenso als Spielverderber infrage wie Italiens Regierungschefin Meloni, oder Viktor Orban aus Ungarn.

Wahlkampf in eigener Sache

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Deshalb muß von der Leyen nun Wahlkampf in eigener Sache führen – und die Chefs überzeugen. Da werden etliche Telefonate und Gespräche in Brüsseler Hinterzimmern fällig. Geritzt ist die zweite Amtszeit noch nicht, zumal die Kommissionsspitze gern mit anderen Personalfragen verknüpft wird.

Das eigentliche Problem liegt aber ganz woanders: Von der Leyen und die EU-Chefs haben kein Mandat zum Weitermachen. Wenn diese Europawahl eines gezeigt hat, dann das: Die Wähler wollen kein “Weiter so”.

Die CDU-Politikerin hat nicht einmal in ihrer Heimat eine Mehrheit hinter sich – die meisten Deutschen wollen einen Wechsel an der Spitze der EU. Die Bilanz ihrer ersten fünf Jahre in Brüssel fällt erschreckend aus – EUropa fällt zurück und könnte sogar “sterben”.

Doch nicht nur die Person, auch die Politik wurde bei dieser Wahl abgestraft.

EU-Politik abgestraft

Die sie tragenden Parteien in Deutschland und Frankreich – den beiden größten EU-Ländern – haben eine historische Klatsche erhalten. Die Ampel-Regierung in Berlin liegt nur noch bei 27 Prozent, Macrons Liberale kommen nur noch auf klägliche 15 Prozent.

Wenn die EU eine funktionierende Demokratie wäre, müsste nun alles auf den Prüfstand – von der Migrationspolitik bis hin zur “unerschütterlichen” Unterstützung der Ukraine. Wenn das Parlament nicht schon alles abgesegnet hätte, wäre ein Kurswechsel fällig.

Doch die neuen EU-Abgeordneten machen einfach da weiter, wo die alten aufgehört haben – und führen genau jene Politik fort, die die Bürger gerade in vielen wichtigen EU-Ländern abgestraft haben. Die “Pro-EUropäer” freuen sich sogar darüber, dass sich nichts ändert.

Sie nennen es “die Demokratie retten”. In Wahrheit geht es um die Verteidigung eines unpopulären und zunehmend gefährlichen politischen Kurses, der Europa und die EU in eine existentielle Krise treiben könnte…

Siehe auch Von diesem Schock wird sich EUropa nicht so schnell erholen und meine Analyse für die taz: “Die Hinterzimmerpolitik beginnt

News & Updates

  • Krah fliegt aus AfD-Delegation. Bei ihrer konstituierenden Sitzung in Berlin verwehrte die neu gewählte AfD-Delegation für das Europaparlament dem umstrittenen Spitzenkandidaten Maximilian Krah die Aufnahme. Zum neuen Delegationsleiter wurde erwartungsgemäß der Listendritte René Aust gewählt. Krah war durch mehrere dubiose Affäre in die Schlagzeilen geraten. Dennoch hat die AfD bei der Europawahl zugelegt.
  • Märkte reagieren besorgt auf Wahlschock: Die Schock-Wahl in den 27 EU-Ländern hat den Euro geschwächt und die Börse beunruhigt. Die Anleger zweifeln vor allem an Frankreich. Die Bonität des hoch verschuldeten Landes war schon vor der Europawahl in Zweifel gezogen worden. Nun kommt eine neue Sorge hinzu – die Neuwahlen, die Präsident Macron ausgerufen hat. – Mehr dazu unten (“Das Letzte”) und hier im Blog
  • Sondervermögen für die Ukraine? Entwicklungsministerin Svenja Schulze fordert, die Hilfe für den Wiederaufbau der Ukraine künftig in einem Sondertopf neben dem Bundeshaushalt zu bündeln. “Unser Engagement wird verlässlicher sein müssen”, sagte die SPD-Politikerin. “Das ist keine normale Situation. Das spricht dafür, es auch rauszunehmen und als besonders zu kennzeichnen”. – Ist die (Finanz-)Not wirklich schon so groß?

Das Letzte

Macron wird zur Gefahr. Die überraschende Entscheidung des französischen Staatschefs Macron, noch im Juni ein neues Parlament wählen zu lassen, hat in Paris und Brüssel große Sorgen ausgelöst. Macron habe die Europawahl viel zu stark an sich gezogen und “nationalisiert”, heißt es in Paris. Der liberale Politiker mache die EU zur “Geisel”, fürchten viele in Brüssel. Denn nun müssten die anderen EU-Länder womöglich auf Frankreich warten, etwa bei der Nominierung der neuen EU-Kommission. Zudem könne sich die französische Europapolitik ändern, wenn die Nationalisten die Wahl gewinnen und Macron zu einer “Cohabitation” gezwungen wird. Die eigentliche Gefahr sehe ich allerdings woanders: Dass Macron versucht, sich noch mehr in der Außen- und Sicherheitspolitik zu profilieren – und in der Ukraine noch mehr ins Risiko zu gehen. Schon seine letzten kriegerischen Ankündigungen waren ziemlich eindeutig dem Europawahlkampf und den schlechten Umfragen geschuldet…

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