Fatale geopolitische Träumereien

Der frühere EU-Kommissionschef Juncker hat sich zum EU-Beitritt der Ukraine geäußert und vor „geopolitischen Träumereien“ gewarnt. Juncker hat recht, aber sein Einwurf kommt viel zu spät.

Ein schneller Beitritt der Ukraine zur EU wäre keine gute Idee, so der Luxemburger. Denn er würde die Union überfordern; außerdem sei die Ukraine nicht beitrittsreif – vor allem wegen der Korruption.

Man dürfe aber nicht „die Probleme, die Staaten untereinander und miteinander haben“ in die EU importieren. Dies sei „eher ein Beitrag zur Fragilität als zur Stabilität“.

Es klingt wie eine Mahnung an seine Amtsnachfolgerin Ursula von der Leyen. Sie war in der Beitrittsfrage vorgeprescht und musste dann zurückrudern.

Doch die „geopolitischen Träumereien“ gehen weiter. Der EU-Sondergipfel in Versailles hat die Beitritts-Perspektive der Ukraine gerade erst bekräftigt – wenn auch nicht sofort, sondern in einigen Jahren.

Doch wie soll ein Land beitreten, das vom Krieg zerstört und womöglich sogar von Russland okkupiert ist? Die EU öffnet eine Perspektive, die ins geopolitische Niemandsland führt.

Junckers Warnung kommt auch noch aus einem anderen Grund zu spät. Denn schon das 2014 geschlossene Assoziierungsabkommen mit der Ukraine war eine „geopolitische Träumerei“.

Es hat die Ukraine gespalten und zur massiven Spannungen mit Russland geführt. Die EU habe der Ukraine nur ein „Entweder-oder“ angeboten, also die Ukraine nicht als Brücke zwischen der EU und Russland verstanden, sagten Kritiker schon damals.

Heute wissen wir, dass weder die EU noch die Ukraine die mit der Assoziierung verbundenen Versprechen eingehalten haben. Schon vor dem Krieg häuften sich die Probleme – auf beiden Seiten.

Die EU ist geopolitisch überdehnt, genau wie die Nato. Beide Organisationen haben sich zu weit nach Osten vorgewagt und es nicht vermocht, dort Frieden zu stiften.

Die Ironie der Geschichte ist, dass nun auch Russland die Überdehnung droht. Selbst wenn Zar Putin den Krieg in der Ukraine gewinnt – auf Dauer wird er das Land nicht halten können.

Das Ganze ist ein geopolitisches Deaster – für die EU wie für Russland. Juncker hätte es vielleicht noch abwenden können, doch er ließ die Dinge laufen, wie sie viele…