Impfpass als Placebo, Rutte als Favorit – und Konfrontation mit China und Russland


Die Watchlist EUropa vom 18. März 2021 –

Der europäische Impfpass nimmt Gestalt an – doch die Hoffnung auf einen ungetrübten Sommerurlaub bleibt vage.

Die EU-Kommission stellte am Mittwoch in Brüssel zwar einen Entwurf vor, der Reisen in Zeiten von Corona erleichtern soll.

Doch von einem Ausweis ist keine Rede mehr, nur noch von einem Zertifikat. Zudem bleibt unklar, ob das neue Impfdokument dem Inhaber spezielle Rechte verleiht – oder nicht.

Ziel sei es, die “Reisefreiheit in der EU sicher und verantwortungsbewusst wiederherzustellen”, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Vorlage ihres Gesetzentwurfs, den alle 27 EU-Staaten umsetzen sollen.

Das neue „digitale grüne Zertifikat” werde dies ermöglichen. Die Entscheidung, welche Reise-Beschränkungen aufgehoben werden, obliege aber weiter den nationalen Regierungen. Die machen bisher, was sie wollen.

Das neue „grüne“ Zertifikat dürfte an dem Chaos wenig ändern. Es ist nicht als Reisepass konzipiert, sondern lediglich als Nachweis für eine Impfung gegen COVID-19, einen negativen Corona-Test oder eine überstandene Erkrankung an dem Virus.

Die Daten sollen auf Smartphones gespeichert oder auf einem Papierdokument mit Barcode verzeichnet werden. Der Datenschutz sei selbstverständlich gewährleistet, heißt es in Brüssel.

Was sind die Daten wert?

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Doch hier beginnen schon die Probleme. Die technische Umsetzung liegt nämlich bei den EU-Staaten – und jedes Land hat seine eigenen Vorstellungen. So werden die Daten in Frankreich zentral gespeichert, in Deutschland jedoch nicht.

Unklar ist auch, was die Daten überhaupt wert sind. Bisher können nicht einmal Experten sagen, ob geimpfte oder genesene Menschen weniger Viruslast tragen und vor einer Weiterverbreitung von Corona geschützt sind.

Doch einige Länder, darunter Deutschland, wollen über den praktischen Nutzen des Impfzertifikats erst dann entscheiden, wenn diese wichtige Frage geklärt ist.

Sputnik V soll nicht gültig sein

Ein weiteres Problem ist, dass nicht alle Impfstoffe verzeichnet werden sollen. Zunächst kommen nur Impfungen mit den von in der EU zugelassenen Vakzinen in Frage. Das sind derzeit die Mittel von Biontech/Pfizer, Moderna, Astrazeneca und Johnson & Johnson.

Ungarn verimpft aber auch das russische Vakzin Sputnik V und das des chinesischen Herstellers Sinopharm, andere Länder wollen es ähnlich halten.

Laut Kommission soll es den Mitgliedstaaten freistehen, ob sie Bescheinigungen über Impfungen mit diesen Mitteln anerkennen. Die EU-Länder sollen auch selbst entscheiden, ob sie den Inhabern Vorteile bei Reisen oder Restaurantbesuchen gewähren.

Andererseits soll das Zertifikat aber keine “Voraussetzung für die Ausübung der Freizügigkeit sein“, wie die EU-Kommission betont. Nicht Geimpfte dürften nicht diskriminiert werden.

Neuer Flickenteppich droht

Dies könnte zu einem neuen Flickenteppich führen. Beliebte Reiseländer wie Griechenland, Spanien oder Österreich wollen mit großzügigen Regeln Touristen anlocken. Deutschland und Frankreich stehen jedoch auf der Bremse.

Zunächst müssen aber die 27 EU-Staaten dem Vorschlag aus Brüssel zustimmen. Das kann dauern – ob der neue Impfpass wie geplant rechtzeitig zu den Sommerferien fertig wird, ist längst nicht sicher.

In der Zwischenzeit bleiben die größten Probleme – die willkürlichen Reisebeschränkungen und das schleppende Impftempo – bestehen.

Der Impfpass wirkt daher wie ein Placebo – die EU-Kommission macht den Menschen Hoffnungen, die sie womöglich gar nicht erfüllen kann…

Siehe auch “Nein, die EU hat keinen Impfpass für den Sommerurlaub beschlossen”

Watchlist

Schwenkt der Liberale Mark Rutte auf Linkskurs? Diese Frage stellen sich die Niederländer nach der Wahl, bei der die linksliberale Partei D66 mit ihrer Spitzenkandidatin Sigrid Kaag überraschend gut abgeschnitten hat. Für die EU wäre eine Koalition mit D66 eine gute Sache, denn die Partei gilt als ausgesprochen europafreundlich. Rutte hingegen hat nichts unversucht gelassen, um der EU Steine in den Weg zu legen. Als Anführer der “Frugal four” (und Fan von Kanzlerin Merkel) hätte er um ein Haar sogar fast den Corona-Aufbaufonds verhindert… – Mehr zu Rutte hier

Hotlist

  • Die EU geht auf Konfrontationskurs mit China: Vier Personen und eine Organisation sollen auf die EU-Sanktionsliste gesetzt werden. Begründet werden die Strafen mit dem chinesischen Vorgehen gegen die muslimische Minderheit der Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang. Aus Sicht der EU ist das eine schwere Menschenrechts-Verletzung. – Mehr dazu hier. Die offizielle Entscheidung soll am Montag beim Treffen der EU-Außenminister fallen. China hat bereits mit Konsequenzen gedroht.
  • Deutschland geht auf Konfrontationskurs mit Russland: Das Auswärtige Amt reagiert auf die Drohungen Moskaus gegen deutsche Korrespondenten, meldet der “Spiegel”. Die Pressefreiheit sei nicht verhandelbar, warnt Außenminister Maas die russische Regierung. Die Sprecherin des russischen Au­ßen­mi­nis­te­ri­ums, Maria Sacha­rowa, hatte zuvor in Mos­kau angebliche Ein­schrän­kun­gen für das Staats­me­dium »RT« in Deutsch­land kritisiert und in Mos­kau ak­kre­di­tier­ten deut­schen Korrespondenten mit Kon­se­quen­zen ge­droht. – Dass “RT” in Deutschland schikaniert wird, hätte man wissen können. Wir haben schon am 9. März berichtet, siehe hier (im P.S.)
  • Die USA gehen auf Konfrontationskurs mit Russland: Der US-Präsident lässt den Streit mit Russland eskalieren. Biden hält den Kremlchef nicht nur für einen Mörder, er droht Putin auch mit Konsequenzen für die angebliche Einmischung in die US-Wahl, wie die “Deutsche Welle” meldet. Auf die Frage, was die Konsequenzen sein würden, sagte er: “Sie werden es in Kürze sehen.” – Das verheißt nichts Gutes, zumal die angebliche Einmischung in die US-Wahl schwach belegt ist. Überzeugen Sie sich selbst – der Bericht der “New York Times” steht hier.