Grexit revisited
Die gute Nachricht kam gerade recht zu Weihnachten: Griechenland gilt nicht mehr als Pleitekandidat, die Ratingagentur S&P hat die Bonität gleich um sechs Stufen hochgesetzt. Prompt legten Dax und Euro zu, in Brüssel fühlt man sich bestätigt. Dabei sieht die Troika weiter hohe Risiken in Athen. Die Citibank rechnet sogar mit einem “Grexit” Ende 2013 oder Anfang 2014.
Es ist doch schön, dass wir in Deutschland so unabhängige Medien haben. Wenn die Regierung auf Griechenland herumhackt und die zugesagten Hilfskredite verweigert, berichten alle über die “Pleite-Griechen” und den unvermeidlichen “Grexit”. Wenn Berlin in letzter Minute Geld freigibt und frohe Botschaften zum Christenfest verkündet, ist Griechenland plötzlich gerettet.
Kritische Worte? Fehlanzeige.
Plötzlich stürzen sich alle auf ein neues Rating von S&P, das die Bonität des Landes gleich um sechs Stufen hochgesetzt hat, nachdem es vorher noch auf Ramschniveau war. Und vergessen die Warnung der Troika, dass es in Athen weiter große Risiken gibt. Oder hat man irgendwo in der deutschen Presse diese Zeilen gelesen, die Reuters aus dem Troika-Report zitiert:
“The key risks concern the overall policy implementation, given that the coalition supporting the government appears fragile and some components of the programme face political resistance, despite the determination of the government,” the report said.
“Important budgetary measures are likely to be challenged in courts, which could lead to the need to fill a fiscal gap emerging as a consequence.”
Eine schwache Regierung, wachsender Widerstand in der Bevölkerung und drohende Niederlagen vor Gericht – das ist in der Tat eine brisante Mischung. Brisant ist auch, dass der angeblich so erfolgreich Schuldenrückkauf vor allem zu Lasten der ohnehin schon schwachen griechischen Banken geht (siehe “Absurder Schnitt”), während Hedgefonds mal wieder abkassieren (500 Mill. Euro kassiert allein Third Point, meldet die FT.)
Die Gefahr einer griechischen Pleite ist vor diesem Hintergrund alles andere als gebannt. Die Citibank schätzt das Risiko eines “Grexit” auf 60 Prozent und rechnet damit, dass er nach der Bundestagswahl 2013 kommen könnte. Dazu die Einschätzung eines Citi-Volkswirts:
“Die Wahrscheinlichkeit eines ‘Grexit’ sehen wir bei 60 Prozent”, sagte Volkswirt Jürgen Michels am Montag in Frankfurt. Die jetzigen Maßnahmen dienten lediglich dazu, Griechenland noch einige Monate finanziell über Wasser zu halten. “Nach der Bundestagswahl im Herbst 2013 wird eine Neubewertung stattfinden.” Zum Jahreswechsel 2013/14 könnte es dann zum Austritt Griechenlands kommen, betonte Michels.
Ähnlich pessimistisch beurteilen die Leser dieses Blogs die Aussichten für Griechenland. Nicht einmal fünf Prozent der Teilnehmer an meiner aktuellen Umfrage glauben Finanzminister Schäuble, dass die Gefahr eines Grexit ein für allemal gebannt sei. Die meisten (42 Prozent) sind davon überzeugt, dass Griechenland solange im Euroclub bleibt, bis die gesamte Währungsunion platzt.
Ich glaube, ähnlich wie die Citi-Leute, dass Griechenland und andere Euro-Risiken nach der Bundestagswahl neu bewertet werden. Danach wird es entweder zu einem Schuldenschnitt kommen (vermutlich auch in anderen Krisenländern), oder zu einem großen Knall. Der aktuelle Kurs führt die Eurozone jedenfalls nicht in sicheres Fahrwasser, mit Merkels “weiter so” wird der Euro nicht krisenfest…
Johannes
19. Dezember 2012 @ 22:46
Ich denke wir Bürger können das gut einordnen. Es ist noch nichts geschafft, die Probleme noch immer da. Zur Presse: Vor einem Jahr konnte man noch Pro-Euro-Bonds Artikel finden. Sobald ich selber solche Berichte gesehen hatte, bekam jedes mal die Redaktion eine Email mit Kritik und der Frage, ob die Zeitung nach 1999 wieder wegschauen will. Mittlerweile halten sich Pro-Euro-Bond Berichte in Grenzen, was mich schonmal ein wenig beruhigt. Die gleichen Fehler wie ’99 scheint man nicht mehr machen zu wollen, wenn man mal vom Spiegel mit ihrem Münchnau aus der City of London absieht, aber der gehört ja zu den Bänkern, also zu den Bösen.
Ich glaube aktuell nicht daran, dass Griechenland in den Euro gehört. Die Währung ist zu stark für das Land, das Land geht immer mehr vor die Hunde.
melina
19. Dezember 2012 @ 22:28
@ebo
Ich teile Deine Einschätzung, dass dies alles nur ein Spiel auf Zeit ist und der Grexit
für den nächsten Herbst schon auf der Agenda steht. Bis dahin haben die Banken Zeit, ihre miesen Papiere auszulagern und die Privatisierungs-Ralley kann vorangetrieben werden.
Heute wurde vom Obersten Gerichtshof in Athen entschieden, dass die Sondersteuer auf Immobilien weiterhin mit der Stromrechnung eingetrieben werden kann, quasi als Unterstützung der Regierung in Notzeiten, und dass ein abschließendes Urteil über die Verfassungsmäßigkeit dieser kuriosen Regel erst am 22. März 2012 zu erwarten ist.
In Griechenland hat man über 20.000 Haushalten das Wasser abgestellt, zigtausend
Menschen wurde auch die Heizung abgeschaltet, Infektionskrankheiten sind auf dem Vormarsch und die medizinische Versorgung ist auf afrikanisches Niveau abgesunken. Und das in einem Land der Eurozone im 21. Jahrhundert! Aber wir sind
ja auf einem guten Weg, wie Frau M. immer sagt.
Auch in Athen spielt man auf Zeit, die man nicht hat. Fragt sich nur, wie lange sich die Bevölkerung dieses Spiel noch gefallen lässt.