Gezerre ums Gas, Warnung an Putin – und die Ukraine geht aufs Ganze

Die Watchlist EUropa vom 16. Dezember 2021 –

Früher galt Erdgas als günstige, saubere und zuverlässige Energiequelle. Nun wird Gas zum Auslaufmodell – jedenfalls, wenn es nach dem Willen der EU geht. Um die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, will Brüssel künftig keine Erdgas-Pipelines mehr fördern. Zudem soll der Gasmarkt neu geordnet werden, um das emissionsarme Wasserstoff zu pushen und Gas-Lieferverträge abzuwickeln.

Dies hat die EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel vorgeschlagen. Klimakommissar Frans Timmermans und Energiekommissarin Kadri Simson wollen Langzeitverträge mit Erdgas bis 2049 verbieten. Um Liefer-Engpässe zu vermeiden, könnten EU-Länder künftig jedoch gemeinsame Gaseinkäufe tätigen und strategische Reserven anlegen. Parallel soll ein Wasserstoff-Markt aufgebaut werden.

Wasserstoff gilt als umweltfreundlich – jedenfalls dann, wenn er durch Strom aus erneuerbaren Energiequellen produziert wird. Der Richtlinien-Entwurf legt fest, dass “emissionsarmer” Wasserstoff mindestens 70 Prozent weniger klimaschädliche Emissionen verursachen soll als fossiles Gas. Zudem soll es den Verbrauchern leichter gemacht werden, von fossilem zu „grünem“ Gas zu wechseln.

Der Entwurf stieß auf ein geteiltes Echo. Der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) begrüßte den Vorschlag aus Brüssel, da Wasserstoff die “tragende Säule der Energiewende” sei. Massive Kritik kommt dagegen von den Grünen im Europaparlament. „Das Gaspaket liest sich wie die vorweihnachtliche Wunschliste der Gasindustrie“, sagte der Europaabgeordnete Michael Bloss.

Preisexplosion bei Gas

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Die EU-Kommission setze weiter auf neue Gasprojekte und verringere kaum die Abhängigkeit der EU von Gaslieferungen aus Russland. Doch nicht nur im Europaparlament droht Streit. Auch die Staats- und Regierungschefs ringen um die richtige Strategie.

Beim EU-Gipfel am Donnerstag stehen wieder die hohen Gas- und Strompreise auf der Tagesordnung. Angeführt von Frankreich und Spanien, drängen mehrere EU-Länder auf Maßnahmen gegen die Preisexplosion bei der Energie. Sie fürchten Inflation und soziale Unruhen.

Deutschland lehnt jedoch Markteingriffe ab. Die Preisschwankungen seien völlig normal, hieß es vor dem EU-Gipfel in Berlin. Bundeskanzler Olaf Scholz verfolgt in der Energiepolitik offenbar dieselbe Linie wie seine Amtsvorgängerin Angela Merkel.

Streit um Nord Stream 2

Scholz will auch an der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 festhalten. Polen und einige andere EU-Länder fordern jedoch, das deutsch-russische Projekt endgültig zu begraben, wenn Russland seinen aggressiven Kurs gegen die Ukraine fortsetzt.

Nord Stream 2 müsse auf einer Sanktionsliste der EU stehen, hieß es vor dem Gipfeltreffen in Brüssel. Damit könnten sich die Europäer jedoch selbst schaden – denn die Energiemärkte sind extrem nervös. Anfang dieser Woche war der Gaspreis auf neue, rekord-verdächtige Höhen geschnellt.

Zuvor hatte die neue deutsche Außenministerin Annalena Baerbock angekündigt, daß Nord Stream bis auf Weiteres nicht ans Netz gehen werde. Ob diese Ankündigung mit Scholz abgesprochen war, ist unklar. Fest steht nur eins: Gas ist zum Politikum geworden – mit unabsehbaren Folgen.

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Watchlist

Wie scharf fällt die Warnung an Kremlchef Putin aus? Diese Frage dürfte den EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel dominieren. Nach einem Entwurf will die EU für den Fall eines russischen Einmarschs in die Ukraine mit “massiven Konsequenzen” drohen. Doch einige EU-Länder wollen mehr – und am liebsten gleich die Ostseepipeline Nord Stream 2 abschießen (siehe oben). Andere, wie der neue Kanzler Scholz, möchten die Tür zum Dialog offenhalten. Doch selbst das ist offenbar nur noch möglich, wenn man Russland gleichzeitig droht. Von “gemeinsamer Sicherheit” ist keine Rede mehr… – Siehe auch “Was Putin will”

Was fehlt

Die Position der Ukraine. Das Land will nicht mehr nur Nato-Mitglied werden. Die Regierung in Kiew fordert nun auch Kriegswaffen aus den USA und Großbritannien an – und beantragt den EU-Beitritt. “Unser Ziel ist die volle Mitgliedschaft in der EU”, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch beim Treffen der Östlichen Partnerschaft in Brüssel. Selenskyj, ein ehemaliger Comedian, geht aufs Ganze – und legt sich sogar mit Deutschland an. Berlin habe verhindert, “dass wir von der Nato Drohnen-Abwehr-Gewehre und Scharfschützen-Abwehr-Systeme erhalten”, sagte er der “Welt”.