Geheimakte ACTA

Sind das alles fehlgeleitete, schlecht informierte Menschen?

Im Streit um das Urheberrechtsabkommen ACTA geht Brüssel in die Offensive. Die EU-Kommission veröffentlichte jetzt ein Papier, das die „Transparenz“ während der ACTA-Verhandlungen belegen soll. Außerdem geben Pressesprecher der Behörde plötzlich bereitwillig Auskunft. Doch die Infos sind dünn, vieles bleibt im Dunkeln.

Als ich mich das erste Mal mit ACTA beschäftigt habe, arbeitete ich noch beim „Handelsblatt“ – und stieß auf verschlossene Türen. Weder im Ministerrat noch in der EU-Kommission wollte jemand offen auf meine Fragen antworten. Der erste Artikel im März 2010 („Die EU will dem Internet neue Fesseln anlegen“) beruhte denn auch auf geleakten Dokumenten und anonymen Stellungnahmen aus der Behörde.

Damals war alles noch vertraulich, die ACTA-Arbeitspapiere wurden wie Geheimakten behandelt. Das rächt sich nun: in ganz Europa laufen Internet-Aktivisten gegen das Abkommen Sturm, heute wird es auch wieder Proteste im Europaparlament geben. Und nun wacht plötzlich sogar die Brüsseler Behörde auf: In einem ungewöhnlich langen „Memo“ werden Meetings, Dokumente und Konferenzen detailliert aufgelistet.

Schaut her, wir arbeiten schon lange mit dem Europaparlament und der Zivilgesellschaft zusammen, ist die unmißverständliche Botschaft. Doch sie ist irreführend. Die Presse wurde erst spät und dann immer „off the record“ – also nur halboffiziell – informiert, wie aus dem Dokument hervorgeht. Und selbst Industrieverbände wie ETNO klagten regelmäßig über schlechte Information und mangelnde Transparenz.

Auch die neue Medien-Offensive ist fragwürdig. Denn immer noch wird die Presse „off the record“ gebrieft, die zuständigen Kommissare halten sich bedeckt. Und immer noch bleiben wichtige Fragen offen, wie dieses hübsche Protokoll von Netzpolitik belegt: 

14:42 “Ein Sprecher der Kommission” betont erneut, dass sich für EU-Bürger nichts ändern werde, weil alles, was in ACTA vorgesehen ist, bereits implementiert.

14:43 “Eine Sprecherin der Kommission” betont noch einmal den Unterschied zwischen einem Urheberrechtsabkommen und einem Urheberrechtsdurchsetzungsabkommen.

14:45 “Ein Sprecher der Kommission”  erwähnt, dass ACTA von der EU signiert wurde und von 22 (23?) EU-Staaten und dass nun aufgrund geteilter Kompetenz sowohl die nationalen Parlamente als auch das EU-Parlament darüber abstimmen müssen.

14:47 “Eine Sprecherin der Kommission” betont nochmal die “off-the-record”-Natur dieser PK.

14:47: Fragerunde. Frage 1: Was ändert sich, Frage 2: Was passiert, wenn ein Land nicht zustimmt? Frage 3 wird auf Französisch gestellt, eine Simultanübersetzung ist nicht verfügbar. Frage 4: Gibt es eine Deadline innerhalb des Abstimmungsverfahrens.

14:49 “Ein Sprecher der Kommission”  beantwortet Frage 1: Es ändern sich die Regeln der Rechtedurchsetzung. Der Rest der Antwort ist ein Loblied auf die riesige Auto-, Mode-, Filmindustrie in Europa, die auf ACTA angewiesen ist.

14:51 Danke für die Rückmeldungen. Fragen können durch die PK-Teilnehmer in Deutschland nicht gestellt werden, da das Streaming-Modell nicht bidirektional läuft.

14:53 “Videostreaming via (was ich vermute als) H.263 ist nicht vergnügungssteuerpflichtig.

14:52 “Eine Sprecherin der Kommission” betont, wie hoch die Standards der Urheberrechte in Europa sind und dass die Kommission hofft, durch die Unterzeichnung andere Staaten beeinflussen zu können, das europäische Niveau zu übernehmen.

14:53 “Ein Sprecher der Kommission”  hat eben erklärt, was passiert, wenn nicht alle Parlamente zustimmen, aber er hat das zu schnell getan und den Rest hat der Audiokompressionscodec gefressen. Ich müsste raten, was er gesagt hat.

14:55 Die Frage 3 wird ebenfalls auf französisch beantwortet.

15:00 Antwort zur Frage 4 durch “eine Sprecherin der Kommission”: Es gibt keine Deadline zur Ratifizierung.

15:00 Jedes Mal, wenn ein Journalist eine Frage an einen Sprecher der Kommission auf französisch richtet, geht ein Stöhnen durch den Raum. Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk sollte mehr Geld für Sprachkurse ausgeben.

15:04 Ein Journalist von Associated Press legt den Finger in die Wunde: Warum unterzeichnet die EU ein Abkommen, wenn sich genau gar nichts ändert? Warum lässt man nicht die anderen Länder unterzeichnen und gut ist? Ist der Schutz von Rechten und ihre Durchsetzung davon gefährdet, wenn nur die anderen Länder unterzeichnen? “Ein Sprecher der Kommission”  sagt, dass die anderen Länder nur zugestimmt hätten, wenn auch die EU zustimmt.

15:06: “Ein Sprecher der Kommission”  antwortet deutlich: Wenn ACTA in Europa scheitert, ist es insgesamt tot, weil alle anderen Länder auf die EU schauen.

Zumindest die letzte Auskunft könnte ja ganz nützlich sein…

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