Für die Ukraine ist die Europawahl schon gelaufen
2024 soll in Europa das Jahr der Entscheidung werden – mit Wahlen in der Ukraine und in der EU. Doch nach dem EU-Gipfel zeigt sich: Die Bürger haben nichts (mehr) zu melden.
Die Wahlen in der Ukraine sind schon abgesagt – wegen Krieg. Die EU hat es nicht einmal für nötig befunden, einen neuen Termin anzumahnen.
Sie geht offenbar davon aus, dass die Ukraine eine Demokratie ist – auch ohne Wahlen. Auch auf ein Ende des Krieges drängt sie nicht.
Der Clou ist aber, dass der EU-Gipfel alle Steine aus dem Weg geräumt hat, die vor oder nach der Europawahl zum Problem für die Ukraine werden könnten.
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- Der Start von Beitrittsverhandlungen wurde beschlossen, obwohl Kiew noch immer nicht alle Kriterien erfüllt. Nicht einmal die ohnehin geplante Überprüfung im März 2024 hat man abgewartet.
- Eine Finanzspritze von 50 Mrd. Euro wurde zugesagt, obwohl sich Ungarn noch querstellt. Wenn Orban den Weg nicht frei macht, werde man schon andere Mittel finden, so Kanzler Scholz.
- Die in vielen EU-Ländern umstrittene Waffenhilfe wurde nicht nur bekräftigt, sie soll sogar ausgebaut und beschleunigt werden. Dazu äußerte sich der Gipfel besonders ausführlich:
Der Europäische Rat unterstreicht insbesondere die Bedeutung einer rechtzeitigen, vorhersehbaren und nachhaltigen militärischen Unterstützung für die Ukraine, vor allem durch die Europäische Friedensfazilität und die militärische Unterstützungsmission der EU sowie durch unmittelbare bilaterale Hilfe von Mitgliedstaaten. Der Europäische Rat betont, dass die Bereitstellung von Flugkörpern und Munition dringend beschleunigt werden muss, insbesondere im Rahmen der Initiative für eine Million Artilleriegeschosse, und dass der Ukraine dringend mehr Luftabwehrsysteme zur Verfügung gestellt werden müssen.
European Council
Die Führung in Kiew darf sich freuen: Beim EU-Gipfel sind alle ihre Forderungen erfüllt worden. Und niemand kann mehr querschießen.
Denn sechs Monate vor der Europawahl im Juni 2024 werden die Bürger von ihren Staats- und Regierungschefs vor vollendete Tatsachen gestellt.
Sie können wählen, was sie wollen – an der Ukraine-Politik ändert sich nichts mehr. So funktioniert europäische Demokratie im Ausnahmezustand.
Amerika hat’s besser: Dort findet immerhin noch ein Wahlkampf über die richtige Ukraine-Politik statt, und dort könnten die Wähler noch mitreden…
Siehe auch “Sie fürchten Kriegsmüdigkeit – und Wahlen”
P.S. Der britische Historiker Timothy Garton Ash befürchtet für die Europawahl eine weitere Stärkung rechtspopulistischer Parteien. “Es könnte tatsächlich einen Rechtsruck innerhalb der EU geben. Das hätte beispielsweise die Abschwächung der Unterstützung für die Ukraine zur Folge, die natürlich auch die Unterstützung des Europäischen Parlaments braucht”, sagte Garton Ash dem “RedaktionsNetzwerk Deutschland”. Genau deshalb haben die EU-Chefs schon vorgesorgt…
KK
19. Dezember 2023 @ 01:38
Dazu kommt noch dieses starke Stück:
https://www.jungewelt.de/artikel/465377.belohnter-terror.html
Kernsatz:
“Obwohl die Ukraine sich also wenig mehr als eine Woche zuvor zum ersten Mal zu einem politischen Mord im Ausland bekannt hatte, sahen die Staats- und Regierungschefs der EU die Voraussetzungen der Ukraine in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als erfüllt, um Kiew den Weg in die EU zu bahnen, so ließe sich formulieren.”
Kann mich mal jemand aus diesem Albtraum aufwecken?
Thomas Damrau
18. Dezember 2023 @ 13:02
“Denn sechs Monate vor der Europawahl im Juni 2024 werden die Bürger von ihren Staats- und Regierungschefs vor vollendete Tatsachen gestellt.”
Da kann ich nur mit Tucholsky antworten “Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie längst verboten.” Das trifft insbesondere für die Wahl zum Europa-Parlament zu: An den wesentlichen Entscheidungen zur Ukraine-Politik ist das Europa-Parlament nicht beteiligt. (Es sind ja nicht die ungarischen Abgeordneten Kaffee trinken gegangen.) Dabei gehe ich natürlich davon aus, dass auch das Parlament hinter der EU-Politik für die Ukraine steht.
Daran wird sich auch nach der nächsten Wahl nichts groß ändern:
— Die rechten Parteien werden Stimmen gewinnen.
— Die bürgerlichen Parteien werden “O-Gott-o-Gott” sagen und sich über die Unvernunft der Wähler und den schädlichen Einfluss von X &Co. empören.
— Dann schließt “die Mitte” die Reihen noch dichter und macht weiter wie bisher. (Nebenbei: Ich bin sehr gespannt, was alles als “Mitte” akzeptiert werden wird, wenn die Wahlen in Thüringen so ausgehen werden, wie vorhergesagt — siehe mögliche Regierungskoalitionen unter https://dawum.de/Thueringen/)
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann verkaufen sie auch noch morgen ihre Seelen …
Kleopatra
18. Dezember 2023 @ 11:21
Die Aussetzung von Wahlen während eines Krieges ist in Demokratien das Normalste von der Welt. Ein Anomalie ist, wenn trotzdem Wahlen stattfinden, wie in den USA 1944 die Präsidentschaftswahl. Wahlen während eines Krieges sind kaum vernünftig durchzuführen, und wie will man gegen einen Oberbefehlshaber Wahlkampf betreiben? Welchen Termin sollte die EU anmahnen – sie weiß doch nicht, wann der Krieg endet.
ebo
18. Dezember 2023 @ 11:26
Die EU hätte einfach festhalten können, dass die Beitrittsgespräche an ein Ende des Krieges und Wahlen gebunden werden.
Man nennt das Konditionierung. Auf dem Balkan haben die Beitrittsgespräche auch erst NACH dem Ende des Krieges begonnen
Helga Karim
18. Dezember 2023 @ 13:23
Der Krieg fand ja nicht in den USA statt. Selenskiy will nicht wählen lassen, er weiß schon, warum. Schon bei der letzten Wahl konnten nicht alle Wähler teilnehmen und die Opposition ist sowieso verboten.
Thomas Damrau
18. Dezember 2023 @ 09:22
Unsere ehemalige Frühstücks-Direktorin – Gruß von hier – hat es doch in seltener Klarheit gesagt: Wir brauchen mehr “marktkonforme Demokratie”.
Und wenn man genauer darüber nachdenkt, ist Demokratie eigentlich eine ziemliche Energieverschwendung (Achtung: Klimaerwärmung !):
– Da müssen die Parteien sich mühsam Programme aus den Rippen schwitzen, die keinerlei Aussicht auf Umsetzung haben.
– Die Lobbyisten müssten sich überlegen, wie sie die Parteispenden strategisch platzieren.
– Dann muss gewählt werden und die Stimmen müssen ausgezählt werden.
– Nach der Wahl müssen sich die PolitikerInnen Erklärungen aus den Fingern saugen, warum ihr geniales Wahlprogramm bei den WählerInnen nicht so gut angekommen ist.
– Dann müssen Koalitionen gebildet werden. Und dann gibt es einen Koalitionsvertrag, der den Koalitionspartnern dann später ständig unter die Nase gehalten wird. (Aber man kann zumindest die Wahlprogramme entsorgen.)
– Dann passiert eh irgendwas, was im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen war. (Vorteil: Man kann danach den Koalitionsvertrag ignorieren.)
– Die ganze Zeit müssen die PolitikerInnen in Talks-Shows rumsitzen und erklären, warum die Erde eine Scheibe ist. Und dann auch noch die ständigen Meinungsumfragen, deren Relevanz man leugnen muss.
– Und dann stehen ständig die Lobbyisten vor der Tür, um mit Liebesentzug zu drohen ( siehe auch https://wordpress.com/post/redfirefrog.wordpress.com/656 ).
Könnten wir nicht sehr viel Geld sparen, wenn wir den Polit-Betrieb durch eine KI simulieren lassen (manche Politiker erwecken eh den Eindruck, als spulten sie nur einen vorgegebenen Algorithmus ab). Damit würden die Wähler unterhalten – und die Wirtschaftsverbände und Think-Tanks könnten in Ruhe die Entscheidungen treffen.
Nur mal so als Vorschlag …
Arthur Dent
17. Dezember 2023 @ 21:40
Ach so, der Faschismus ist durch die Demokratie ersetzt worden. Man braucht ihn gar nicht.
KK
18. Dezember 2023 @ 04:18
Hätte man bis zur Verengung des Meinungskorridors zu einem Nadelöhr tatsächlich denken können – jetzt habe ich aber tatsächlich den Eindruck, der Faschismus ist unter dem Mäntelchen „Demokratie“ klammheimlich in unsere Gesellschaft zurückgekehrt. Zumindest seine Methoden werden wieder gebraucht, denn es werden zB Strafgesetze, „cancel culture“ (bis zur wirtschaftlichen Vernichtung der ersten „Exempel“) oder Zersetzung gezielt eingesetzt, um abweichende Meinungen zu unterdrücken.
Karl
18. Dezember 2023 @ 09:33
Arthur Dent: >> Ach so, der Faschismus ist durch die Demokratie ersetzt worden. < https://das-blaettchen.de/2022/07/die-ukraine-ist-die-neueste-katastrophe-amerikanischer-neocons-62256.html
ebo
18. Dezember 2023 @ 09:41
Klingt polemisch.
Aber wenn ich daran denke, wie sehr Selenskyj, von der Leyen und Scholz die Post-Faschistin Meloni ins Herz geschlossen haben, kommen auch mir Zweifel!
Arthur Dent
17. Dezember 2023 @ 21:38
Wahlen sind zu einem rein plebiszitären Akt verkommen, die Demokratie nur simulieren. Man tut nur so, als ob der Bürger eine Wahl hat. Hat er aber nicht. Es ist schon alles vorher entschieden. Aus Volksparteien wurden Kartellparteien, die kaum noch in der Gesellschaft verankert sind. Sie schließen sich aus Eigeninteresse zusammen, um besser staatliche Ressourcen generieren zu können.
KK
17. Dezember 2023 @ 18:51
„So funktioniert europäische Demokratie im Ausnahmezustand.“
Nein, so hat europäische „Demokratie“ in den grundlegenden Fragen immer funktioniert!
Ich erinnere beispielhaft an Freihandelsabkommen wie TTIP, deren Vertragsgrundlagen noch nicht mal die Abgeordneten, die darüber abstimmen sollten, in Ruhe und angemessen einsehen konnten.
Bei den letzten Wahlen hätten die Wähler eigentlich endlich mal einen EUCO-Präsidenten (Weber oder Timmermans, Verstager war eigentlich chancenlos) wählen sollen, bekommen haben wir aber eine, die gar nicht auf irgendeinem Zettel stand, sondern in Hinterzimmern ausgekungelt wurde (wobei man die PiS-Polen noch schmieren musste).
DAS ist europäische Demokratie, die hier nur ihre jetzt völlig unverschleierte Vollendung findet!