Alternative für Europa, Waffen für die Ukraine – und Krise in Berlin und Paris
Die Watchlist EUropa vom 09. Januar 2024 –
Am Ende war es keine Überraschung mehr: Das “Bündnis Sarah Wagenknecht” hat sich als Partei formiert und angekündigt, bei der Europawahl anzutreten. Als Spitzenkandidat tritt der ehemalige Linken-Politiker Fabio De Masi auf – und der SPD-Politiker Thomas Geisel, der früher OB von Düsseldorf war.
Zwei prominente und kluge Köpfe, die schon im Vorfeld großes Interesse geweckt haben – und nun von der Konkurrenz heftig angefeindet werden. Putin-Knecht, SPD-Verräter, Politiker auf Abwegen – die mittlerweile üblichen Diffamierungen, die viel über den miserablen Zustand der Demokratie sagen.
Leider haben Wagenknecht, De Masi und Geisel nicht viel zum Programm ihrer neuen Partei gesagt. Nicht links, nicht rechts, aber auch keine neue bürgerliche Mitte soll es sein. Eher ein Bündnis der “Vernunft und Gerechtigkeit”, das sich von der “Unfähigkeit und Arroganz” in der Berliner Regierung absetzt.
Auch die Europapolitik bleibt reichlich vage. Den Zugang von Flüchtlingen zu begrenzen und die Sanktionen gegen Russland abzulehnen, ist noch kein Programm. De Masi sagte, noch sei unklar, welcher Fraktion im EU-Parlament sich die neue Partei nach der Europawahl anschließen werde.
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Doch allein schon die Tatsache, dass “BSW” antritt, macht sie zur “Alternative für EUropa”. Für alle, die von der Politik der “Pro-Europäer” aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen enttäuscht sind und die AfD ablehnen, könnte die neue Protest-Partei interessant sein. Und das sind viele, es werden täglich mehr.
Ich habe mir noch kein Urteil gebildet, will erst das Programm und die Angebote der anderen Parteien abwarten. Eins steht aus meiner Sicht aber jetzt schon fest: Es wird höchste Zeit, die “Penseé unique” (das Einheitsdenken) in EUropa zu überwinden und eine andere Politik zu wagen!
Der aktuelle Kurs der EU-Spitze und der sie tragenden Parteien führt Europa nicht aus der Dauerkrise. Im Gegenteil: Beim letzten EU-Gipfel hat sich die EU auf eine “Mission impossible” begeben. Nun braucht es mutige Politiker, die nicht nur Nein sagen, sondern auch Alternativen formulieren…
Siehe auch EU-Krise im Superwahljahr: Wir schaffen das nicht mehr
News & Updates
- Scholz ruft EU-Staaten zu stärkerer Unterstützung der Ukraine auf. Bundeskanzler Olaf Scholz hat die anderen EU-Staaten aufgerufen, die von Russland angegriffene Ukraine in diesem Jahr stärker zu unterstützen. Die Waffenlieferungen für die Ukraine seien “zu gering”, sagte der SPD-Politiker in Berlin. “Ich rufe deshalb die Verbündeten in der Europäischen Union auf, ihre Anstrengungen zugunsten der Ukraine ebenfalls zu verstärken.” – Sieht so die neue deutsche “Führung” aus?
- Habeck drückt in Brüssel neue deutsche Subventionen durch. Bei einem Besuch in Brüssel hat Wirtschaftsminister Habeck neue Subventionen durchgedrückt. Es geht um fast eine Mrd. Euro für ein Batterie-Werk in Heide. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager sagte, die Subventionen seien notwendig. Northvolt hätte sonst in den USA die Fabrik gebaut. – Dabei ist Northvolt ein europäisches Unternehmen – es kommt aus Schweden. Lässt sich die EU erpressen? – Mehr hier (Blog)
- Michels vorzeitiger Abgang schlägt weiter Wellen. Ratspräsident Charles Michel, bekannt als Gastgeber der EU-Gipfel, hat seinen Rückzug angekündigt. Der liberale Belgier will für seine Partei „Mouvement Réformateur“ (MR) bei der Europawahl antreten und am 16. Juli sein Amt an der EU-Spitze niederlegen. – Dass er früher geht als geplant (seine Amtszeit endet erst im November) wird von manchen als “Verrat” bewertet. Dabei will er sich endlich mal einer Wahl stellen… – Mehr hier (Blog)
Das Letzte
Krise in Berlin und Paris. Jahrelang hat man sich in Berlin über “französische Verhältnisse” mokiert. Vehemente Straßenproteste à la “Gelbwesten” wolle man hierzulande nicht haben. Doch nun hat es auch Deutschland erwischt: Der Bauernprotest geht mit massiven Straßenblockaden einher, Regierungsmitglieder wie Wirtschaftsminister Habeck werden angefeindet und bedroht. Ähnlich wie in Paris hat auch in Berlin eine vergleichsweise kleine Entscheidung – die Streichung der Agrardiesel-Subventionen – den Funken entzündet. Doch Schadenfreude ist fehl am Platze. Schließlich rutscht auch Frankreich in die Krise. Präsident Macron hat sein Premierministerin Borne entlassen – sie muß als Sündenbock für eine verfehlte Migrationsreform herhalten. Vom deutsch-französischen “Motor für Europa” spricht heute keiner mehr…
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KK
9. Januar 2024 @ 11:27
„Ich habe mir noch kein Urteil gebildet, will erst das Programm und die Angebote der anderen Parteien abwarten.“
Da ich seit der BT-Wahl 1998 konsequent nur noch die PGÜ (Partei des vermeintlich geringsten Übels) wähle, muss ich da nichts abwarten – ohne diese Neugründung wäre ich wohl erstmals einer Wahl ferngeblieben oder hätte den Zettel ungültig gemacht, so widert mich die mir – bis gestern – gebotene Auswahl inzwischen an.
Herrn Sonneborn (und nicht seinen bei erster Gelegenheit abtrünnigen Kollegen Semsrott, dessen Negativ-Beispiel mir eine erneute Wahl der PARTEI zugegeben sehr schwer machte) auf EU-Ebene zu wählen war schon 2019 ein Akt purer Verzweiflung – der allerdings durch dessen gute informatorische Arbeit honoriert wurde.
bruno neurath-wilson
9. Januar 2024 @ 09:11
Geisel kluger Kopf?? Mag sein, dass er ein kluger Kopf ist (hinsichtlich seiner akad. Abschlüsse und seiner beruflichen Erfahrungen), aber wenn stimmt, was die Düsseldorfer SPD mitteilt (dass er nämlich gerade noch von der Düsseldorfer SPD zum OB-Kandidaten aufgestellt werden wollte und nun, da das nicht geklappt hat, die nächste Karrierechance woanders sucht: https://www.spd-duesseldorf.de/2024/01/04/statement-der-spd-duesseldorf-zur-kandidatur-von-thomas-geisel-fuer-das-buendnis-sahra-wagenknecht-bei-der-europawahl-2024/) dann spricht das nicht gerade für POLITISCHE KLUGHEIT. Insofern eher kritisch zu sehen …
ebo
9. Januar 2024 @ 09:21
Es war auch Ruhrgas-Manager. Und als OB in Düsseldorf hat er keinen schlechten Job gemacht. Mir ist er vor allem aufgefallen, weil er sich kritisch zur deutschen Ukraine-Politik geäußert hat – und deswegen weggemobbt wurde. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb er sich letztlich ins Wagenknecht-Lager geschlagen hat. Denn die SPD duldet in der Ukraine-Frage keine offene Debatte mehr. Nicht mal im früher so kritischen Unterbezirk Düsseldorf, wo es mal den “Fall Hansen” gab…
KK
9. Januar 2024 @ 11:15
Zur Personalie Geisel als „SPD-Verräter“:
Die SPD sollte sich da mal sehr geschlossen halten, denn wer hier die eigene Klientel und die eigenen Prinzipien seit Jahrzehnten verrät, ist die SPD mit ihren wechselnden Parteiführungen und ihrem Spitzenpersonal.
Der letzte aufrechte Sozialdemokrat, der es in ein öffentliches oder Partei-Amt geschafft hatte, war Oskar Lafontaine – danach kamen nur noch neoliberale Karrieristen und Abnicker, und in letzter Zeit auch noch zunehmend kriegsgeile Militaristen. Zu denen der bislang eher zögerliche Kanzler offenbar dann spätestens gestern auch übergelaufen ist.
Thomas Damrau
9. Januar 2024 @ 08:33
Natürlich stößt das Bündnis Wagenknecht in eine Marktlücke: Würden wir die möglichen politischen Antworten auf die aktuellen Probleme auf einem Fußballfeld anordnen, deckte die radikale Mitte (in Deutschland FDP, CDU/CSU, Grüne, SPD) mal gerade den Anspielkreis ab. So sehr sich die Parteien der Mitte auch in der Öffentlichkeit kabbeln, eint sie ein Grundkonsens:
— möglichst unregulierte Märkte
— Privatisierung der Daseinvorsorge
— ungehinderte Globalisierung
— möglichst wenig Elemente direkter Demokratie (und möglichst lange Wahlperioden), um in Ruhe durchregieren zu können
— USA als nicht zu hinterfragende Führungsmacht
— uneingeschränkter Schutz von Eigentum und Vermögen
— Technologie-Gläubigkeit
— Beschwichtigungsparolen statt ehrlicher Kommunikation mit den BürgerInnen
(Man komme mir nicht mit dem Einwand, zumindest in den Programmen von SPD und Grünen stünden andere Positionen. Mag sein. Aber sobald es zum Schwur kommt, ist das alles vergessen. Wer hat die Finanzmärkte dereguliert, die Agenda 2010 bescchlossen, die Riester-Rente eingeführt, den Spitzensteuersatz gesenkt, sich am Kosovo-Krieg beteiligt, …. Bitte mal in den Geschichtsbüchern nachschlagen.)
Zu jedem der obigen Punkte haben viele WählerInnen andere Ansichten – aber die finden sie nicht auf dem Fußballfeld. Und die AfD mit ihrem “in den 1950ern war alles besser – als Männer noch Männer waren und Neger noch Neger” schwebt eher als Drohne über dem Spielfeld, als eine ernsthafte Spiel-Position zu besetzen. Also viel Platz für alternative Politkansätze. Warten wir ab, was passiert.
Monika
9. Januar 2024 @ 11:43
@ Thomas Damrau
sehr gute Zustandsbeschreibung. Nach meiner Einschätzung stehen für die Wagenknechtpartei ein Gutteil ehemaliger und bis vor Kurzem-SPD-Wähler bereit. Selbst bei vielen Nochmitgliedern rumort es stark, Ex-OB Geisel der „Verräter“ wird kein Einzelfall sein sondern ein umfassenderes Phänomen werden, wenn sich in den nächsten Monaten Erfolge bei der Wagenknecht-Partei abzeichnen. Die Gruppe der Mitglieder an der SPD-Basis, die mehr Diplomatie wagen möchten, die Waffenlieferungen in Krisen und Kriegsgebiete strikt ablehnen, somit auch weitere Waffenlieferungen in die Ukraine, die gerne Deutschland als Unterzeichner des Atomwaffenverbotsvertrags sähen, die kurz gesagt Sicherheit mit Russland nicht gegen Russland anstreben, die die außen und geopolitische Rolle der USA kritisch sehen, die Aufklärung zu den Vorfällen um NordStream2 wünschen … ist beachtlich. Das Narrativ der „Verräter“ in den eigenen Reihen wird aber von der Parteiführung konsequent und durchaus mit harten Bandagen auch gegen lange verdiente Genossen durchgedrückt. Somit wird der Vorteil einer „parteiinternen Reichweite“ immer kleiner und der Druck sich abzuwenden immer größer. Meiner Einschätzung nach könnte die alte Tante SPD im Jahre 2024 durchaus ins Koma rutschen.
Thomas Damrau
9. Januar 2024 @ 12:11
@Monika
Sie werfen hier die spannende Frage auf, von welchen anderen Parteien eine Wagenknecht-Partei Wählerstimmen abziehen könnte. Die Meinungsumfragen bieten kein einheitliches Bild – es ist keineswegs ausgemacht, dass die AfD schrumpfen wird.
Die zweite Variante, die Sie andeuten, ist nicht ausgeschlossen: Wagenknecht tritt die Nachfolge der SPD an. Womit Scholz zum Wiedergänger Francois Hollandes würde: Der Letzte an der Macht, bevor die eigene Partei in der Bedeutungslosigkeit versinkt.
KK
9. Januar 2024 @ 18:09
@ Thomas Damrau:
Ich wette, BSW wird von allen Parteien einschliesslich der Nichtwähler Wähler anziehen – die sogenannte „AfD“ wird wohl nicht so stark geschröpft werden, wie sich das die selbsternannten „demokratischen“ Parteien erhoffen (jedenfalls nicht im Osten, wo die Berührungsängste von Beginn an geringer waren). Es sei denn, BSW überzeugt viele von deren Wählern aus dem Prekariat, dass sie mit einem Kreuz bei der sog. „AfD“ damit nur den ihresgleichen knechtenden neoliberalen Teufel mit dem Beelzebub austreiben würden…