Frankreich zeigt, was CDU und SPD droht
Die Parteienlandschaft ist ins Rutschen gekommen. Zum ersten Mal sind CDU/CSU nicht mehr “natürliche” Favoriten für die Bundestagswahl, erstmals haben die Grünen eine aussichtsreiche Kanzlerkandidatin. Doch was in Berlin sensationell erscheint, ist in Paris längst (traurige) Normalität.
Was für ein Jubel! Sogar EZB-Chefin Lagarde ist ganz aus dem Häuschen, weil mit A. Baerbock erstmals eine Frau für die Grünen ins Kanzleramt einziehen könnte! Bei der Freude ist völlig in Vergessenheit geraten, dass wir in Deutschland seit bald 16 Jahren von einer Frau regiert werden!
Was für ein Trauerspiel! Sogar F. Merz war betrübt, dass sich CDU-Chef A. Laschet gegen CSU-Chef M. Söder in der K-Frage durchgesetzt hat. Bei all dem Frust ist völlig in Vergessenheit geraten, wer die CDU in diesen Schlamassel geführt hat – Kanzlerin und Ex-CDU-Chefin Merkel!
Immerhin, die Kandidatenkür war spannend und emotional. Anders als bisher gewohnt, wurde sie mehr von Umfragen und Gefühlen als von Seilschaften und Argumenten geprägt. Mit Umfragen wird sogar Politik gemacht, wie FORSA zeigt, wo die Grünen plötzlich vor der CDU liegen.
Das ist zwar nur eine Momentaufnahme, deren Aussagewert zweifelhaft ist. Doch eins ist klar: Es ist etwas ins Rutschen gekommen. Die Grünen gehen gestärkt aus dieser Woche hervor, CDU/CSU geschwächt, die SPD droht vollends in Vergessenheit zu geraten.
Doch so einmalig, wie es scheint, ist das alles nicht. Viele EU-Länder haben schon vor Jahren Ähnliches erlebt. Italien, die Niederlande, Belgien, Großbritannien und Frankreich haben extreme Umbrüche und Verwerfungen im Parteiensystem hinter sich.
Am Spannendsten ist die Parallele zu Frankreich. Dort sind die beiden etablierten Parteien – die Sozialisten und die Neo-Gaullisten – bereits in der Versenkung verschwunden. Der früherere Staatschef F. Hollande stellte sich 2017 nicht zur Wiederwahl, seine Partei ging unter.
Ähnliches könnte jetzt auch der CDU unter Merkel drohen. Auch die gefeierte Kanzlerin hinterlässt – was ihre Partei betrifft – einen Trümmerhaufen. Auch sie will nicht nochmals antreten. Auf den Machtkampf der letzten Wochen nahm sie keinen Einfluß mehr – fast scheint es, als sei sie schon gegangen.
Macron hatte viel mehr Erfahrung
In das Vakuum könnten die Grünen unter Baerbock stoßen. Allerdings ist sie nicht mit Macron zu vergleichen, wie dies einige Medien bereits tun. Macron war schon Minister und hat sogar bereits Europapolitik gemacht (gegen Merkel, zugunsten Griechenlands), als er seine Bewegung gründete.
Sein Wahlsieg 2017 wurde durch die Nationalisten und das französische Wahlssystem begünstigt. Im Angesicht von M. Le Pen haben viele bürgerliche und linke Wähler zähneknirschend für Macron gestimmt. Etwas Vergleichbares wird es in Deutschland nicht geben. Die Wahlsysteme sind zu verschieden.
Vergleichbar ist aber die Krise des traditionellen Parteiensystems. Frankreich hat schon hinter sich, was in Deutschland gerade erst beginnt. Bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2022 könnte übrigens Le Pen gewinnen. Das zeigt, welche Risiken die aktuelle Krise birgt – und welche Probleme auf Merkels Nachfolger/in zukommen könnten…
Siehe auch “Baerbock will – aber kann sie auch EUropa?” und “Laschet weiß, wie man Macht organisiert”
Hans-Jürgen Gebker
24. April 2021 @ 15:30
WAS ist längst traurige Normalität? Das die etablierten Parteien untergehen? Warum soll das traurig sein?
Was wollen sie mit diesem Artikel eigentlich sagen? Das Frauen es eigentlich nicht können? Das Merkel versagt hat? Ich bin in vielen Punkten kein Fan Ihrer Politik, aber hat sie einen Trümmerhaufen hinterlassen? Einen Trümmerhaufen hat Schröder hinterlassen. Merkel hat das Beste aus dem aussichtslosen Kampf gegen den Niedergang ihrer Partei und amit auch des etablierten Parteiensystems gemacht. Die Umfrage war ein Ausblick in die Zukunft unter Kanzlerkandidat Laschet und nicht eine Bewertung der Leistung von Kanzlerin Merkel. In ihrer Ägide hat die CDU (leider) immer den unangefochtenen Spitzenplatz sowohl bei Wahlen als auch bei Umfragen eingenommen.
Zurück zum Vergleich Baerbock/Macron. Ob man auf einer französichen Eliteschule den richtigen Wertekompass für eine moderne, gleichberechtigte Gesellschaft mit auf den Weg bekommt, darüber lässt sich streiten. Leadership lernt man da ganz sicher nicht. Dazu bedarf es einer Persönlichkeit. Die hat Macron, die hat Merkel und die hat auch Baerbock. Lasst sie erst mal machen und dann bewerten wir das. Den Vertrauenvorschuss haben schon jede Menge Regierungschefs (Männer!) ohne Regierungserfahrung bekommen. Und die meisten haben sich bewährt. Das wird auch bei einer Frau so sein.
Und was den Zusammenhang zwischen dem Zusammenbruch des etablierten Pateiensystems und dem Erstarken des Faschismus angeht, da kann ich Ihnen ja noch folgen. Nur was das wiederum mit einem eventuellen Wahlsieg der Grünen zu tun hat, das erschliesst sich mir nicht. Diese Gefahr besteht immer und überall dort, wo es zu großen Umbrüchen kommt. Und das hat mit der jeweils aktuellen Parteienlandschaft nur sehr wenig zu tun. Hier ist die demokratische Gesellschaft als Ganzes gefragt.
ebo
24. April 2021 @ 15:47
Der Artikel ist der Versuch, die deutsche Parteienkrise aus europäischer Perspektive zu betrachten.
Deutschland ist auch in diesem Fall viele Jahre hinter Frankreich, UK und den USA hinterher.
Ob das gut oder schlecht ist, mag jeder für sich entscheiden.
Aus meiner Sicht ist ein kompletter Zusammenbruch des etablierten Parteiensystems keine erfreuliche Entwicklung.
Und es wäre falsch, alle Hoffnungen auf eine “neue” Partei zu setzen, seien es die französische LREM oder die deutschen Grünen.
Denn die aktuelle Krise geht tiefer, sie trifft das gesamte Wirtschafts- und Sozialsystem und die repräsentative Demokratie.
El Zorro
25. April 2021 @ 13:11
Als z. Zt. Dritter im Bunde der Kommentatoren stehe ich voll hinter ihrer Darstellung – und setze noch eins drauf:
Das totale Versagen Merkels, geprägt von Fukushima-Panik, Flüchtlingskrise und “Coronoia”, untermauert: Frauen re-agieren. Sie agieren nicht. Der Beweis: Unter 50 guten Köchen gibt es nur eine Frau. So wird sich der Begriff “Staatsfrau” nie etablieren. Wie sagte doch meine ehemalige Chefbuchhalterin: Ein Mann bleibt ein Mann, auch dann, wenn er im Bett sitzt und hustet!
Dem holden Geschlecht fehlen Kreativität und Durchsetzungsvermögen. Sein geschlechtsspezifisches Appeasement schafft Abhängigkeit und Erpressbarkeit.
ebo
25. April 2021 @ 14:25
Mit dieser Einschätzung werden Sie sich nicht viele Freunde machen, fürchte ich. Denn natürlich gibt es fähige Frauen, auch in der Politik.
Bei aller Kritik an von der Leyen kann man nicht sagen, dass sie nur reagiert. Auch Lagarde ist eine zupackende Frau, die “Herrin des Euro”.
Merkels reaktiver Stil ist eher die Ausnahme – und er scheint bei vielen Deutschen immer noch ziemlich gut anzukommen…
european
25. April 2021 @ 14:57
Ich denke, dass viele Mitglieder und Wähler der etablierten Parteien einfach nicht mitbekommen haben, wie sehr sich die Welt unter ihren Füßen gerade verändert. Das alte Rezeptbuch hat ausgedient und ein neues wurde noch nicht geschrieben. Natürlich hat Angela Merkel die Politik geprägt, man sollte jedoch nicht vergessen, dass die ganze Männerriege um sie herum gern mitgemacht hat, solange man das Gefühl hatte, dass es läuft. Der Neoliberalismus erlebte seine Hochkonjunktur. Dem Land Deutschland ging es ja auch besser als den anderen Ländern in Europa, was eine logische Konsequenz politischer Entscheidungen war. Die Formel ist einfach: Von hier nach da. Es gab genug Mahner, die darauf hingewiesen haben, dass der Weg falsch ist und uns das irgendwann auf die Füße fällt, aber niemand wollte das hören. Auch die Männer nicht.
Diese vermeintliche Sicherheit, verbunden mit dem Exportweltmeister und Exporteuropameister, hat verhindert, dass man das Land zukunftsorientiert gestaltet. Es war auch viel schöner, von anderen Reformen zu fordern, als selbst mal in den eigenen Reihen nachzusehen. Wir machen alles richtig, die anderen machen alles falsch. Ich höre noch Söder, wie er forderte, dass die Südländer “ihre Hausaufgaben” machen sollten.
Wer sich auf globaler Ebene mit der – teilweise wirklich gefährlichen – Entwicklung der Industrienationen befasst, ist Richard Kozul-Wright. Es lohnt sich, dem Mann gut zuzuhören und wer will, kann auch die richtigen Schlüsse daraus ziehen.
Wie abgehoben die politische Klasse mittlerweile ist, kann man gut an der aktuellen Entwicklung der Bahn beobachten. Eigentlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine aufgebrachte Bevölkerung diese Mischpoke mit Mistgabeln vom Hof jagt.
https://www.berliner-kurier.de/politik-wirtschaft/streit-ueber-ueppige-boni-fuer-bahn-manager-li.147231
Man braucht eigentlich nur den ersten Absatz zu lesen, dann reicht es schon für den Rest der Woche.
Im Spiegel ist heute ein Artikel zu lesen, wonach die Bahn-Manager auf ihren Boni beharren. Ist hinter einer paywall.
Man darf gespannt sein.