EUropa fällt zurück, von der Leyen ist angeschlagen – und Nato geht ans Limit
Die Watchlist EUropa vom 20. April 2024 – heute mit der Wochenchronik.
Es ist eine bittere Erkenntnis: Europa fällt wirtschaftlich immer weiter hinter die USA und China zurück, viele Firmen etwa aus der Wind- und Solarbranche sind nicht mehr wettbewerbsfähig. Bei einem Sondergipfel in Brüssel haben die 27 EU-Staats- und Regierungschefs nach Antworten gesucht. Doch statt Lösungen gab es Streit.
Den ersten Aufschlag machte der frühere italienische Ministerpräsident Enrico Letta. “Wir laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Es gilt, keine Zeit zu verlieren“, warnte Letta, der einen Bericht zur Krise des europäischen Binnenmarkts angefertigt hatte. Demnach wuchs die Wirtschaftsleistung in den USA zwischen 1993 und 2022 pro Kopf um fast 60 Prozent, in der EU lag der Wert nur bei unter 30 Prozent.
Die schwache Leistung liege daran, dass die EU einem veralteten Wirtschaftsmodell folge, erklärte ein weiterer italienischer Experte, der frühere Zentralbank-Chef Mario Draghi. Europa trete auf der Stelle, „weil unsere Organisation, Entscheidungsfindung und Finanzierung für die ‚Welt von gestern‘ designed sind“, so Draghi.
Mea Culpa zur Eurokrise
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Hart ging Draghi mit der Politik während der Eurokrise vor zehn Jahren ins Gericht. „Wir haben bewusst versucht, die Lohnkosten im Vergleich zueinander zu senken – und in Kombination mit einer prozyklischen Fiskalpolitik hat das unter dem Strich nur dazu geführt, dass unsere eigene Binnennachfrage geschwächt und unser Sozialmodell untergraben wurde“.
Für diese Politik, die der EU jahrelang schwaches Wachstum bescherte, war Draghi allerdings selbst mit verantwortlich. Dass er sie nun infrage stellt, werten viele Beobachter in Brüssel als Versuch, sich nicht nur rein zu waschen, sondern auch für neue Ämter zu empfehlen.
Im Herbst wird ein neuer ständiger Ratsvorsitzender gebraucht – Draghis Name wurde am Rande des EU-Gipfels immer wieder genannt. Doch ein Name macht noch keinen Neustart. Und der ist nicht in Sicht. Denn Luxemburg, Belgien, Irland und andere kleine EU-Staaten blockieren die nötige Reform des Binnenmarkts.
Sie stemmen sich vor allem gegen eine „Kapitalmarktunion“, die ähnlich wie in den USA Geld für Start-Ups und andere innovative Firmen einsammeln soll. Auch eine Reform des Finanzmarkts und eine zentrale Finanzmarktaufsicht stoßen auf Widerstand. Der Sondergipfel brachte denn auch keine greifbaren Ergebnisse…
Mehr dazu im Makroskop: Draghi liest der EU die Leviten – ausgerechnet
Was war noch? EU-Kommissionschefin von der Leyen ist in den Wahlkampfmodus gewechselt. Damit sie weniger Angriffsflächen bietet, mußte sie aber erst einmal Ballast abwerfen. So wurde die umstrittene Nominierung eines Mittelstandsbeauftragten aus der CDU auf Eis gelegt. Der Vorwurf der Vetternwirtschaft war zu laut geworden…
Angeschlagen ist die CDU-Politikerin aber trotzdem. Die FDP attackiert ihre schlechte Wirtschaftsbilanz (siehe oben), die Ermittlungen der europäischen Staatsanwaltschaf im “Pfizergate” schweben wie ein Damoklesschwert über ihr. Mittlerweile beschäftigen sie sogar den Bundestag. Kleiner Trost: zumindest die Grünen wollen VDL im Amt bestätigen!
Angeschlagen ist auch die Nato. Weil sie sich übermäßig beim Nicht-Mitglied Ukraine engagiert und exponiert hat, muß sie nun die eigenen Regeln brechen und die Waffenlager plündern. Dies räumte Nato-Generalsekrtär Stoltenberg auf eine Krisensitzung in Brüssel ein. Die letzte Hoffnung ruht nun auf den USA, die doch noch Hilfe freigeben könnten…
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US-Präsident Trump will die Regierungsagentur USAID abwickeln und Hilfsgelder streichen. Das hat unerwartete Nebenwirkungen bei den EU-Beitrittskandidaten in Osteuropa.
european
20. April 2024 @ 17:40
“Wir haben bewusst versucht, die Lohnkosten im Vergleich zueinander zu senken – und in Kombination mit einer prozyklischen Fiskalpolitik hat das unter dem Strich nur dazu geführt, dass unsere eigene Binnennachfrage geschwächt und unser Sozialmodell untergraben wurde“.”
Spot-on. Damit hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Und das ist auch exakt der Grund, weshalb Deutschland eben nicht die Lokomotive Europas ist. Sie dampfte für sich selber und bremste die anderen. Wenn man im Binnenmarkt so exorbitante Überschüsse durch Lohndumping erzwingt, geht das zu Lasten der anderen Marktteilnehmer und der eigenen Bevölkerung. Die Rentendebatte wird nicht umsonst in Deutschland so geführt, wie sie geführt wird. Nichtsverdiener zahlen nichts ein. Von daher gesehen ist es eine Chance für die anderen Länder, die Schwäche Deutschlands, das ja immer noch Überschüsse erzielt, für sich zu nutzen und sich wirtschaftlich zu erholen. Die EU muss zu einem System der ausgeglichenen, oder nahezu ausgeglichenen Leistungsbilanzen kommen.
Zum Nato-Limit hilft ein Blick in die USA, wo die Debatte aktuell deutlich realistischer geführt wird. Senator Vance aus Ohio, mWn einer der Swing-States hat in der NY Times ein Interview gegeben, das man auf seiner homepage nachlesen kann.
Titel: The Math on Ukraine doesn’t add up.
https://www.vance.senate.gov/press-releases/senator-vance-the-math-on-ukraine-doesnt-add-up/
“This is not just a matter of dollars. Fundamentally, we lack the capacity to manufacture the amount of weapons Ukraine needs us to supply to win the war.””
Sehr lesenswerter Artikel, sehr realistisch und im Grunde eine Aufforderung an die Biden-Regierung, endlich von diesem planlosen Trip herunterzukommen. Die USA schaffen das nicht, erst recht nicht mit Blick auf die Liste für Taiwan. Von der deutschen Außen-Feministerin kann man dagegen aktuell lesen, dass sie die Luftverteidigung für die Ukraine weltweit “zusammenkratzen” will.
https://www.spiegel.de/ausland/ukraine-krieg-annalena-baerbock-fordert-mehr-hilfe-fuer-ukraine-donald-trump-kritisiert-europa-a-ba2ff999-978d-40d4-8b8b-006482f58f60
ebo
20. April 2024 @ 19:09
Ist das nicht verrückt? Mit diesem Zitat bestätigt Draghi die Kritik, die linke und sozialdemokratische Experten damals an der Politik der “Euro-Retter” äußerten. Auch in diesem Blog haben wir ähnliche Argumente diskutiert. Ich lese es als nachträgliche Bestätigung – doch Konsequenzen hat die EU bis heute nicht gezogen…
KK
20. April 2024 @ 22:02
War Draghi nicht selbst einer dieser „Euro-Retter“?
Der als EZB-Chef nebenbei auch noch dafür verantwortlich ist, die Zinsen der Kleinsparer durch die Null-Zins-Politik auch noch der Binnennachfrage zu entziehen…
Helmut Höft
21. April 2024 @ 11:36
@european
“Wir haben bewusst versucht, die Lohnkosten …” War es nicht die “schwäbische Hausfrau” wie Du schreibst: “Und das ist auch exakt der Grund, weshalb Deutschland eben nicht die Lokomotive Europas ist. Sie dampfte für sich selber und bremste die anderen. …” (Beggar-thy-Neighbor https://de.wikipedia.org/wiki/Beggar-thy-Neighbor-Politik) Aber: War es nicht Draghi, der die europäischen Staaten geradezu angebettelt hat, bitte “mehr Fiskalpolitik und weniger Geldpolitik” zu betreiben. Dass dies nicht geschah, dahinter steckte wiederum Deutschland: Die schwäbische Hausfrau Merkels, Schäuble und – man muss die Nichtökonomen, die Politik, auch mal in Schutz nehmen – die vereinigte neoklassische Ökonomiki!
Das war ja schon gar nicht lustig, dass v.a. Schäuble die 3/6-Regel durchdrückte, dass 3 % Haushaltsdefizit *bäh*, 6 % Überschuss aber *hui* sind – ersters betrifft die “faulen” Länder, letzteres die fleißigen Deutschen.
Wo man hinguckt: Deutschland ist die Lokomotive Europas, die deutsche Politik der Klotz am Bein. (jaja, andere können auch bremsen aka “Interessen” vertreten, das können wir hier außer acht lassen)
Was die NATO und das US-Hilfspaket betrifft: Angeblich retten diese Hilfspakete Menschenleben, so der Kommentar aus Kiew. Wir lernen: Krieg verlängern/intensivieren rettet Menschenleben – man lernt nie aus! *kopfschüttel*
“… die Luftverteidigung für die Ukraine weltweit “zusammenkratzen” …” Putins Plan B “Overextending and Unbalancig Wertewesten®” funktioniert. Angeblich ist aber seine (Putins) Wirtschaft kaputt. Man versucht sich an den Kopf zu fassen und greift daneben!