Das Vertrauen ist erschüttert

Die EU steckt wieder in der Krise. Doch diesmal ist alles anders. Die 27 sind vom Kurs abgekommen – sie wissen nicht mehr, wo sie stehen und wohin sie gehen.Heute: Das Vertrauen ist erschüttert.

Die EU-Führung gibt sich zuversichtlich. Man habe alles getan, um die Herausforderungen zu meistern, vor denen Europa steht, erklärte Kommissionsvize Schinas Mitte Dezember.

Klimakrise, Coronakrise, Ukraine-Krieg und last but not least die Flüchtlingskrise – überall habe Brüssel gehandelt. Die Bürger sollten es der EU danken und bei der Europawahl für proeuropäische Parteien stimmen.

Ähnlich sieht es Parlamentspräsidentin Metsola. Kurz vor dem Start des Europa-Wahlkampfs legte sie die Ergebnisse der jüngsten, von ihr selbst bestellten “Eurobarometer”-Umfrage vor.

Demnach sind die Bürger insgesamt mit der EU zufrieden. 68 Prozent wollen im Juni zu den Wahlurnen gehen – das wären neun Prozentpunkte mehr als vor der vergangenen Europawahl.

Weniger Zuversicht

Was Metsola nicht sagte: Dieselbe Umfrage zeigt, dass der Glaube in die EU in Deutschland schwindet.

Nur noch 58 Prozent der Bundesbürger geben an, sie seien „ziemlich” oder sogar „sehr optimistisch“ über die Zukunft der EU. Vor drei Jahren waren es noch 72 Prozent, also 14 Prozentpunkte mehr.

Wie es wirklich um das Vertrauen aussieht, hat sich bei der Wahl in den Niederlanden gezeigt: Der frühere EU-Kommissar Timmermans kam nur auf Platz 2, gewonnen hat der EU-Gegner Wilders.

Rechtsruck droht

Einer von drei EUropäern wähle mittlerweile Anti-Establishment-Parteien, meldete der “Guardian” im September. Bei der Europawahl drohe ein Rechtsruck, sagte EU-Chefdiplomat Borrell nun derselben Zeitung.

Die Leute hätten Angst von Kriegen und Krisen und liefen deshalb zu den “Populisten” über, so der Spanier. Auf die Idee, dass das Vertrauen schwindet, weil die EU die Probleme nicht löst, ist Borrell nicht gekommen.

Dabei ist dies nicht zu übersehen. Die Versprechen, für die die EU einst stand – Frieden und Wohlstand für alle – sind gebrochen worden. Seit 2008 häufen sich die Krisen, EUropa taumelt von einem Abgrund zum nächsten.

Wagenburg Brüssel

Doch statt dies einzugestehen, die Gründe darzulegen und ggf. Alternativen zu diskutieren, schotten sich die Eliten gegen Kritik ab. Man müsse gegen die “Populisten” zusammenhalten, heißt es in der Brüsseler Wagenburg.

Abweichende Meinungen werden als Sakrileg betrachtet und mit einem Bann belegt, wie die Coronakrise gezeigt hat. EU-Abgeordnete wagen es nicht, EU-Chefin von der Leyen zu kritisieren, weil dies “nur der AfD zugute käme”.

Auch die Kriege in der Ukraine und in Israel/Gaza dürfen nicht offen diskutiert werden. Dass selbst EU-Beamte gegen den Kurs ihrer Chefin protestieren und der Führung “Doppelstandards” vorwerfen, wird ignoriert.

Das Mißtrauen hat den innersten Zirkel der EU erfasst – doch psst: Wer das ausspricht, ist ein EU-Gegner – oder mindestens ein böser “Populist” im Solde Putins bzw. der Hamas…

P.S. Ich setze den Begriff “Populist” in Anführungszeichen, da er fast nur noch in polemischer Absicht genutzt wird und analytisch nicht viel taugt. Mehr dazu hier (englische Studie)