Hoffnung auf EU schwindet, Orban bei Macron – und die Spur des Geldes
Die Watchlist EUropa vom 07. Dezember 2023 –
Ein halbes Jahr vor der Europawahl mehren sich die Alarmsignale. Die Hoffnung auf eine bessere EU-Zukunft schwindet, Umfragen deuten auf einen massiven Rechtsruck hin.
In einer Umfrage des Europaparlaments gaben 58 Prozent der Bundesbürger an, sie seien “ziemlich optimistisch” oder sogar “sehr optimistisch” über die Zukunft der EU.
Vor drei Jahren hatten sich noch 72 Prozent der Deutschen optimistisch gezeigt, also 14 Prozent mehr. Da war zwar schon Corona, aber noch kein Krieg in Osteuropa.
Auch im Schnitt der EU-Länder bestätigt sich der Trend: Ende 2020, also auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, hatten sich noch 66 Prozent der Europäer optimistisch zur EU geäußert.
In der aktuellen Eurobarometer-Umfrage sind es nur noch 60 Prozent. Dabei ist Corona vorbei. Die Hauptsorgen gelten heute dem Krieg in der Ukraine und dem schwindenden Lebensstandard.
Nach derselben Umfrage klagt eine Mehrheit der Befragten in den EU-Ländern über sinkenden Wohlstand. Am größten ist die Klage in Zypern, Deutschland liegt mit 44 Prozent im Mittelfeld.
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Die Krise spielt – wenig überraschend – den Rechten in die Hände. Nach einer neuen Projektion könnte die rechte ID-Fraktion, der auch die AfD angehört, künftig 87 Parlamentssitze halten.
Bisher sind es 60. Die Rechte verzeichne einen “gefährlichen Schub”, warnen die Demoskopen. Doch die EU-Politiker wollen nicht etwa gegensteuern und ihren Kurs ändern.
Nein, sie setzen auf ein “Weiter so”...
Siehe auch Die neue EU-Krise (7): Die Wirtschaft fällt zurück, die Bürger verlieren
News & Updates
- Macron will Orban umstimmen. Nach EU-Ratspräsident Michel versucht nun auch Frankreichs Staatschef Macron, Ungarns Orban von einer Blockade des geplanten Ukraine-Beitritts abzuhalten. Orban wird am Donnerstag zu Gesprächen im Pariser Elysée-Palast erwartet. – Siehe auch Orban blockiert Ukraine-Gespräche – FDP sinnt auf Rache
- G-7 wollen russische Diamanten verbannen. Die G7-Staaten haben sich auf weitere Sanktionen gegen Russland geeinigt und Importbeschränkungen für russische Diamanten vereinbart. Die Importbeschränkungen sollen ab dem 1. Januar 2024 geltenhieß es nach einem virtuellen Gipfeltreffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
- Mercosur-Deal auf der Kippe. Eigentlich sollte am Donnerstag in Rio de Janeiro das seit 20 Jahren geplante Freihandelsabkommen mit der EU verabschiedet werden. Doch Argentinien und Frankreich stehen auf der Bremse. Nun könne es noch bis Januar dauern, heißt es in Brüssel. Der Deal sei fertig – es fehle nur noch das grüne Licht… – Mehr hier
Das Letzte
Die Macht der Finanzlobby ist ungebrochen. Dies sagte der frühere linke Europaabgeordnete F. De Masi bei einer Konferenz in Brüssel mit M. Sonneborn und M. Bülow. Zur Begründung verwies er auf das Schicksal der Finanztransaktionssteuer. Zu seiner Zeit in Brüssel sei die “Tobin Tax” noch in aller Munde gewesen – als Ergänzung zum Fiskalpakt. Zehn Jahre später redet niemand mehr davon. “Die Spur des Geldes” – so der Titel der Veranstaltung – deutet tatsächlich darauf hin, dass die EU bei der Finanzmarktregulierung nicht weit gekommen ist. Heute seien es Internetkonzerne wie Facebook, die sich zu gefährlichen Schattenbanken entwickeln, so De Masi.
Stef
7. Dezember 2023 @ 11:37
Man muss den USA hier m.E. Respekt zollen. Mit dem Ukrainekrieg, den sie von langer Hand strategisch nach dem Drehbuch von Brezinski vorbereitet haben, wollten sie den Abstand zwischen Russland und Kerneuropa wieder vergrößern, um sich drohende Konkurrenz vom Leibe zu halten. Sie haben diese Ziel Stand heute so umfassend und nachhaltig erreicht, dass bis auf weiteres kein Gras mehr zwischen Europa und insbesondere Deutschland und Russland wachsen kann.
Um dieses Ergebnis zu erzielen haben die USA bisher nur überschaubare Mittel aufgeboten. Fünf Milliarden Euro zur Bewerkstelligung des Maidan (nach Auskunft von Frau Nuland), ein paar Ladungen abgängiger Waffensysteme ein ein paar zig Milliarden für den Krieg und die Stützung des Staates Ukraine. Ein Teil der Waffenlieferungen der USA dürfte nicht einmal unentgeltlich erfolgt sein, sonst hätte es keiner Lend&Lease Beschlüsse in den USA bedurft.
Auf dem weg sind die USA die verhassten Nordstream Pipelines losgeworden. Nicht nur, dass sie dafür Sündenböcke parat haben. Sie haben sogar bewirkt, dass sich unter den Regierungen Europas nicht eine einzige findet, die die richtigen Fragen stellt und den Willen zur Aufklärung aufbringt.
Jetzt ziehen sich die USA zum bestmöglichen Zeitpunkt zurück. der Konflikt ist aktuell kaum durch Verhandlungen auflösbar. Russland hat gewonnen und wird die Bedingungen diktieren können. Das Verhältnis Russlands zu Europa ist zerrüttet. Und die richtig großen Geldausgaben stehen erst noch vor der Tür, namentlich der Wiederaufbau und die Alimentierung der Ukraine und die Sicherung einer drastisch vergrößerten und extren gefährlich gewordenen Grenze nach Russland. All dies wird Europa zu bezahlen haben. Zuzüglich der Entgelte für die US-Waffenlieferungen (Lend&Lease).
Das Glanzstück ist aber, dass die EU ernsthaft die Aufnahme der Ukraine anstrebt, während der Nato Beitritt schon fast abmoderiert wurde. Dadurch wird es für Europa unmöglich, sich diesem Fass ohne Boden zu entziehen und der Graben nach Russland wird noch einmal deutlich vertieft. Und die USA können ihr Spiel über die Nato weitertreiben, ohne dafür signifikant geradestehen zu müssen.
Putin hat schon verlautbart, dass er sich konstruktive Politik mit den USA womöglich nach dem Krieg noch vorstellen kann, mit Europa bis auf weiteres nicht. Von daher wird es schon wieder Geschäfts der USA mit Russland geben, während Europa mit schmutzigen LNG aus den USA und teurer Energie seine Wettbewerbsfähigkeit verspielt hat und seine Industrie Richtung USA verliert.
Ich habe in meinem inzwischen nicht ganz kurzen Leben noch niemals gesehen, wie man seinen Karren mit soviel Zielstrebigkeit und Vehemenz strategisch gegen die Wand und gleichzeitig tief in den Morast fahren kann, wie es unsere EU-Elite flankiert von unserer Bundesregierung gemacht hat.
ebo
7. Dezember 2023 @ 13:03
Danke für diese bemerkenswerte Analyse!
Arthur Dent
7. Dezember 2023 @ 10:08
“Die Rechte verzeichne einen gefährlichen Schub, warnen Demoskopen” – wo stehen denn eigentlich “Uschi & Co.”? Die machen doch in einem fort Politik fürs Kapital – und das ist eindeutig nicht links 🙂
Stef
7. Dezember 2023 @ 11:14
Kennen Sie den Taschenspielertrick, auf den beim Hütchenspielen niemand reinfällt, die deutsche Medienlandschaft aber immer? Radikale gibt es immer nur links und rechts, die Mitte ist moderat. VonderLeyen verortet sich selbst in der Mitte des politischen Spektrums, weil sie ihren neoliberalen Extremismus dort am besten als moderat und abgewogen verbrämen kann.
Das erstaunliche ist wie gesagt nicht der Trick, den durchschaut vermutlich jeder interessierte Beobachter sofort, wie beim Hütchenspielen. Unglaublich ist vielmehr, mit wie viel Vehemenz der Trick gedeckt und als Realität verkauft wird.
Akteure wie vonderLeyen, Lindner aber auch Merkel und Merz sind auf ihre Weise politische Extremisten im Dienste des großen Geldes. Extremistisch sind sie dabei schon deshalb, weil sie im Dienste des Kapitals in der Regel zu keinen Kompromissen bereit sind. Scheinbare Kompromisse entlarven sich bei ihnen im Nachhinein regelmäßig als einseitige Maßnahme zum Vorteil des großen Geldes. Sie dienen zudem alle nicht den Interessen, für deren Wahrung sie angetreten und sie gewählt wurden. In Sachen Einseitigkeit und Kompromisslosigkeit wäre der korrekte Vergleich z.B. die Taliban oder der Thüringer Heimatschutz. Aber stattdessen gelten sie grundsätzlich als moderat.
Das ist nur möglich, weil dieser Trick jeden Tag aufs neue von Tagesschau und heute gedeckt wird. Spannend ist, dass in den letzten Jahren zunehmend tatasächliche moderate bzw. moderierende politische Positionen für extremistisch erklärt wurden, wie z.B. die Lumpenpazifisten (Willy Brandt muss wohl ein Extremist gewesen sein…) oder die Querdenker, die jetzt vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Oder politische Positionen zugunsten des großen Geldes werden für links erklärt z.B. weil sie mit LGBTQ-Forderungen garniert werden.
So funktioniert Orwell in Echtzeit: Die klassische politische Orientierung wird zerstört.
Monika
7. Dezember 2023 @ 11:50
Ihre Sicht von der extremistischen “Mitte” teile ich.
Kern des Übels ist “das Finanzwesen”, das neu reguliert werden müsste. Bloß wie, wenn praktisch als Gärtner nur politische Böcke zur Verfügung stehen? Das gesamte politische Denken ist ja seit “its the economy, stupid” nur auf “Geld verdienen, koste es was es wolle” beschränkt! Weil die Kaste derer, die sich Spekulation “leisten” kann, zu 100% aus Psychopathen besteht. Allein der Glaube “Welt” könne am besten gedeihen mit “the winner takes it all” als einzigem Denkansatz, ist nun einmal psychopathisch. Und alle Politik, die in diese Richtung wirkt, müsste zumindest, als im Sinne jeder Evolution contraproduktiv, als menschenfeindlich benannt werden.