Der Weg der EU in den Krieg (5): Die Sanktionen und der Energiekrieg
Am 9. Dezember 2012 bekam die EU den Friedensnobelpreis. Knapp elf Jahre später unterstützt sie die Ukraine im Krieg gegen Russland. Wie konnte es dazu kommen? Was waren die wichtigsten Wendepunkte? Ein kritischer Rückblick in zehn Folgen. – Teil 5: Die Sanktionen und der Energiekrieg.
Putin hat den “Energiekrieg” verloren, jubelte Kommissionspräsidentin von der Leyen zum Jahrestag des russischen Einmarschs in die Ukraine. Der Kremlchef habe die EU mit der “Gaswaffe” in die Knie zwingen wollen – doch das sei ihm nicht gelungen. Tatsächlich war die Versorgung sogar im (ungewöhnlich milden) Winter gesichert, Blackouts sind ausgeblieben.
Doch dafür zahlt EUropa einen verdammt hohen Preis. Die Inflation in der Eurozone ist 2022 auf ein Allzeithoch gestiegen, viele Bürger gleiten in (Energie-)Armut ab, immer mehr Unternehmen sind wegen der hohen Energiepreise nicht mehr konkurrenzfähig. Ohne Gas aus Russland droht die De-Industrialisierung.
Und wer hat den “Energiekrieg” überhaupt angefangen? In Brüssel heißt es, Putin habe schon im Herbst 2021 begonnen, die Versorgung mit Gas zu drosseln, um Druck auszuüben. Doch noch nach Kriegsbeginn im Februar 2022 bekräftigten Putin und Gazprom, dass sie die Lieferverträge einhalten würden.
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Tatsächlich floß das russische Gas zunächst weiter nach Europa, auch in bzw. über die Ukraine. Die ersten EU-Sanktionen hatten Öl und Gas ausgespart. Der eigentliche Energiekrieg begann erst, als von der Leyen im Mai 2022 erklärte, sich von russischer Energie “unabhängig” machen zu wollen.
Ihr Plan “RepowerEU” wurde mit einer (oliv-)grünen Doppelbotschaft verkauft: “Ending the EU’s dependence on Russian fossil fuels, which are used as an economic and political weapon and cost European taxpayers nearly €100 billion per year, and tackling the climate crisis“.
In Moskau kam vor allem der erste Teil an – das angekündigte Ende der Lieferungen in die EU. Russland sah die “Unabhängigkeits-Erklärung” aus Brüssel als Kampfansage, die sich in einen groß angelegten Wirtschaftskrieg des Westens fügte. Die USA hatten bereits ein Energieembargo verhängt.
Auch in Brüssel wurde nun der Ruf nach einem Einfuhrstopp laut. Als das Ölembargo schließlich im Juni kam – auf Druck des deutschen Wirtschaftsministers Habeck – eskalierte der Energiekrieg. Russland stoppte nach und nach die Gasversorgung durch Nord Stream 1 – angeblich gab es technische Probleme.
Die Zerstörung von Nord Stream
Putin lockte zwar noch mit Lieferungen durch Nord Stream 2. Doch kurz darauf wurde die Ostsee-Pipeline bei einem Sabotageakt zerstört. Der Energiekrieg war fortan keine Metapher mehr – nun wurden tatsächlich kriegerische Mittel eingesetzt. Und die Gaszufuhr aus Russland war endgültig gekappt.
Dies ist nicht der Platz, die Schuldfrage zu klären. Hier geht es darum, das Abgleiten der EU in den Krieg zu schildern. Die Zerstörung von Nord Stream spielt dabei eine zentrale Rolle. Wer auch immer dahinter steckt – sie ist ein kriegerischer Akt, der geeignet ist, EUropa in Kampfhandlungen zu verwickeln.
Im gewissen Sinn war die EU allerdings auch schon vorher im Krieg. Gemeint ist der Wirtschaftskrieg, der bereits im Herbst 2021 gemeinsam mit den USA bis ins Detail geplant wurde. Denn damit wurde eine zweite Front eröffnet – mit dem Ziel, Russland wirtschaftlich in die Knie zu zwingen.
Zulasten des globalen Südens
Dieses Ziel wurde zwar bisher nicht erreicht. Die Sanktionen haben Putins “Kriegskasse” sogar gefüllt, weil die Märkte verrückt spielten und die Energiepreise explodierten. Der Wirtschaftskrieg wird dennoch in die Annalen eingehen, weil er den Ukraine-Konflikt unnötig angeheizt und ausgeweitet hat.
Innerhalb kürzester Zeit wurde die halbe Welt in Mitleidenschaft gezogen. Energie, Lebensmittel, Flugreisen – alles wurde teurer, der globale Süden mußte für den Wirtschaftskrieg des Westens zahlen. Besserung ist nicht in Sicht. Zwar hat die EU hier und da nachgebessert.
Doch die Sanktionitis geht immer weiter, mittlerweile sind wir in Brüssel beim zehnten Strafpaket, das elfte zeichnet sich schon ab. Und der Energiekrieg dürfte im nächsten Winter noch einmal richtig Fahrt aufnehmen. Sogar die “New York Times” warnt vor der nächsten Krise…
Mehr zum Wirtschaftskrieg hier
P.S. Mit ihren Sanktionen sind die USA und die EU in den Krieg gegen Russland eingestiegen, sagt der französische Historiker E. Todd. Dass Russland diesem Wirtschaftskrieg erfolgreich trotzt, könne zu einer Bedrohung für die (wirtschaftliche) Vormacht der USA werden, Stichwort Dollar-Dominanz…
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KK
28. Februar 2023 @ 13:53
@ european:
“Deutschland auf dem Weg in den Totalitarismus, und zwar auf breiter Front.”
Auf jeden Fall ist die alte Blockwartmentalität wieder da – und wie früher wird sie mit Steuergeldern finanziert und gefördert!
Nur die Knäste und Lager, zu denen das unweigerlich führt, die werden zukünftig digitaler Natur sein, also irgendwie “menschlicher” – und vor allen Dingen weniger sichtbar… die Ausgrenzung “unwerter” Personen wird ganz ohne physische Ketten, Zäune und Wachtürme möglich sein.
european
28. Februar 2023 @ 08:21
Das Handelblatt hat einen aufschlussreichen Artikel veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass Mr Null-Ahnung-von-Wirtschaft, Habeck, Russland auf dem Schlachtfeld in die Knie zwingen will. Gleichzeitig will er das Denunziantentum fördern und eine Meldepflicht über evtl. Sanktionsumgehungen einführen. Jeder, der etwas weiß, muss etwas melden
https://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/russland-handel-habeck-will-umgehung-von-russland-sanktionen-erschweren/28999040.html
Deutschland auf dem Weg in den Totalitarismus, und zwar auf breiter Front. Politik und Medien ziehen an einem Strang.
Alexander
28. Februar 2023 @ 10:33
“Deutschland auf dem Weg in den Totalitarismus, und zwar auf breiter Front.”
Es gibt ja jetzt auch eine aus Steuergeldern finanzierte „Meldestelle Antifeminismus“. Wer die sog. “Gender Studies” etwa als “unwissenschaftlich” oder “Geldverschwendung” bezeichnet, begeht ein meldewürdiges Fehlverhalten. Ebenso Leute, die Begriffe wie “Gender-Ideologie” oder “Translobby” verwenden. “Organisierte Kampagnen gegen geschlechtergerechte Sprache” (s. Volksinitiative in Hamburg) sollen ebenfalls gemeldet werden.
Und der Grünen-nahe Denkpanzer “Zentrum Liberale Moderne” erhält Steuergelder für sogenannte “Gegneranalysen”, um letzte kritische Stimmen zu überwachen.
Auch im Hinblick auf weitere befremdliche Ereignisse möchte ich deshalb bemerken, dass ich die Ignazio Silone zugeschriebene Aussage
“Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: «Ich bin der Faschismus». Nein, er wird sagen: «Ich bin der Antifaschismus».”
immer für eigenartig gehalten habe. Nun verstehe ich aber, was gemeint sein könnte!
ebo
28. Februar 2023 @ 12:30
Langsam. Zunächst geht es darum, die schlecht vorbereiteten und schlecht umgesetzten Sanktionen durchzusetzen. Die Meldepflicht sehe ich auch kritisch, aber deswegen würde ich nicht gleich von Totalitarismus reden. Da machen wir eher schon die Versuche Sorgen, Leuten wie Ganser oder Vad den Mund zu verbieten!
Alexander
28. Februar 2023 @ 12:40
“Da machen wir eher schon die Versuche Sorgen, Leuten wie Ganser oder Vad den Mund zu verbieten!”
Es gibt massive Angriffe auf die Redefreiheit und die Wissenschaftsfreiheit! Alles sehr beunruhigend …
ebo
28. Februar 2023 @ 12:55
Dazu hatte ich auch einen “schönen”, auf jeden Fall instruktiven Austausch auf Twitter. Es geht um mögliche Disziplinarmaßnahmen gegen Vad https://twitter.com/LostinEU/status/1630175533299388417?s=20
Alexander
28. Februar 2023 @ 13:24
Hab’s nur überflogen. Und Ekelportale wie rnd oder t-online rufe ich nicht mehr auf:
‘Ruf nach “Verfassungsschutz”: Habeck und Neubauer gegen Wagenknecht und Schwarzer’
‘”Es geht ihr um die Zerstörung der Demokratie. Wagenknecht ist ihre in Deutschland wohl einflussreichste Feindin.”‘
(Wie schrieb noch eines dieser Springer-Machwerke über Dutschke, bevor … ?)
https://rtde.website/inland/163887-habeck-und-neubauer-gegen-wagenknecht-und-schwarzer/
Mir geht es aber nicht “nur” um den Ukrainekonflikt. In Berlin wollte eine (offenbar feministische?) Biologin im Rahmen der “Langen Nacht der Wissenschaften” einen Vortrag unter dem Titel »Geschlecht ist nicht gleich Geschlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt« halten. Nach dem, was mir bekannt ist, ging es dabei um Abitur-Grundwissen. Bereits eine solche Veranstaltung wird im Deutschland der 20er Jahre des 21. Jahrhunderts von woken Wirrköpfen verhindert!
Nicht geringe Teile der Bevölkerung haben völlig den Verstand verloren!
european
28. Februar 2023 @ 13:39
Ebo, Sie haben Recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass der Einzelfall keinen Totalitarismus erzeugt. Das meinte ich auch nicht so. Fuer mich ist es die Summe der Ereignisse der letzten Zeit, die ich bedenklich finde und da ist das Denunziantentum ein weiteres Kapitel. Neu ist es nicht. Es wurde waehrend der Corona-Krise schon erprobt.
Der erlaubte Meinungskorridor wird gerade extrem eng und die Wortwahl wird immer radikaler. Die Humboldt-Universitaet sagt einen Vortrag einer Biologin ab, weil dieser von den zwei Geschlechtern handeln soll. Ulrike Guerot verliert ihren Job an der Uni Bonn, vorgeblich wegen Plagiaten, tatsaechlich wegen ihrer unbequemen Meinung. Nach dem Lanz-Desaster war die Uni sehr schnell dabei, sich von ihrer Professorin zu distanzieren. Gabriele Krone-Schmalz, Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer werden verunglimpft, denunziert, als “selbstbesoffene Friedensschwurbler” (Sascha Lobo) – Sau durchs Dorf gejagt. Michael Lueders wird gar nicht mehr erst als Experte eingeladen bzw. tut sich das von selbst nicht mehr an. Und jetzt Vad?
Ich vermute, dass Vad weiss, dass seine Meinung unliebsam ist. Umso ermutigender ist, dass er sich trotzdem der Friedensbewegung angeschlossen hat und auch seine Rede war m.E. sehr pointiert und auf Interessensausgleich ausgelegt. Auch sein Interview mit der Weltwoche war duchweg sehr besonnen und jede Antwort durchdacht. Es ist die Frage, wann die Bundeswehr ihn abstraft, um dem politischen Mainstream zu genuegen. Ich weiss nicht, ob es da Moeglichkeiten bei einem General a.D. gibt, aber mein Gefuehl sagt mir, dass sie welche finden werden. Der vorauseilende Gehorsam nimmt unaufhoerlich seinen Lauf und beschleunigt den Weg in den Totalitarismus.
https://youtu.be/RYhxz5Ok_f8
Alexander
28. Februar 2023 @ 14:42
@european: Zum Thema “Vad” vielleicht nicht ganz uninteressant:
‘Ich habe die Öffentlichkeit über die Rolle von Erich Vad, der Militär unter dem „Manifest für den Frieden“, und seine dubiosen Angebote an mich im Rahmen meiner Wirecard-Recherchen informiert.’
https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/der-frieden-muss-vernichtet-werden-li.320792
(Link im Artikel!)
european
28. Februar 2023 @ 15:03
@Alexander
Ein gutes statement von Fabio de Masi, der m.E. ein integrer Politiker und wirklich guter Bundestagsabgeordneter war. Er fehlt als mahnende Stimme in diesem Chaos.
Mir fehlen die Informationen zu dem, was er ueber Vad sagt. Das heisst nicht, dass sein statement falsch ist, sondern eher, dass ich mich nicht in der Lage sehe, einen sinnvollen Kommentar dazu abzugeben. Trotzdem scheint Vad mir kompetent genug zu sein, um die militaerische Seite der Geschichte zu beurteilen. Was er sagt, klingt in meinen absolut unmilitaerischen Ohren jedenfalls vernuenftiger als das Geschrei von Hofreiter und Konsorten.
Arthur Dent
28. Februar 2023 @ 00:03
Ja, welche Werte könnten das wohl sein, um die „der Westen“ von der ganzen Welt beneidet wird? Es müssen ja solch einzigartige Werte sein, die zu erwerben der Rest der Welt gar nicht fähig ist (aus Sicht des „Wertewestens“). Aus der Sicht des globalen Südens stellt sich das etwas anders dar – sie spüren aus ihren Erfahrungen als ehemalige Kolonien einen gewissen Chauvinismus und sind nicht bereit, sich der westlichen Sanktionitis anzuschließen.
Die USA vertreten übrigens, durchaus legitim, in erster Linie ihre nationalen Interessen. Sie haben, wenngleich noch einige Schwierigkeiten auszuräumen sind, zwei neue Mitglieder für die Nato. Sie haben das Zweiprozent-Ziel als Natobeiträge für die Mitgliedsländer de facto erreicht. Man hat ordentlich Rüstungsgüter gekauft und ihre Rüstungsfirmen haben auf Jahre hinaus volle Auftragsbücher. Sie haben das Tor als zukünftig größter Energielieferant der EU weit aufgestoßen und Russland aus dem Geschäft gedrängt. Man hat den geopolitischen Geltungsdrang der EU ordentlich gedämpft, von wegen „auf Augenhöhe“ – ganz im Gegenteil.
KK
27. Februar 2023 @ 17:52
“Die Zerstörung von Nord Stream…ist ein kriegerischer Akt, der geeignet ist, EUropa in Kampfhandlungen zu verwickeln.”
Vor allem ist sie mit an 100%iger Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein kriegerischer Akt unter angeblich “Verbündeten” – Freunden gar, wie so gerne betont wird.
Für was für “Werte” tritt der Westen eigentlich ein, wenn er so etwas ungestraft geschehen lässt und noch nicht mal ansatzweise den Willen zeigt, wenigstens die Verantwortlichen zu ermitteln?
Und wo führt das noch hin, wenn bestimmte (vereinigte) Staaten darob meinen, sich demnächst noch ganz andere Terrorakte ungestraft herausnehmen zu können – und sich die Welt dann völlig und bedingungslos untertan zu machen?