Neues vom Wirtschaftskrieg (124): Die Zerstörung von Nord Stream
Der Wirtschaftskrieg gegen Russland zieht immer weitere Kreise. Die Ostseepipeline Nord Stream ist durch einen Sabotageakt zerstört worden, der Energiekrieg erreicht eine neue gefährliche Stufe.
- Nach gleich drei Lecks in nur kurzer Zeit an den Ostsee-Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 wird ein Sabotageakt nicht ausgeschlossen. In Polen, Schweden, Dänemark und Russland wird ein Anschlag auf die europäische Gasinfrastruktur als Ursache für die als beispiellos geltenden Schäden an beiden Pipelines für denkbar gehalten. Auch aus Sicht deutscher Sicherheitskreise spricht vieles für Sabotage. Sollte es sich um einen Anschlag handeln, würde angesichts des Aufwands nur ein staatlicher Akteur infrage kommen, hieß es am Dienstag. Zwar wird aktuell durch keine der Pipelines Gas geliefert, der Gaspreis stieg angesichts der Verunsicherung aber. Am Montag war in den Leitungen von Russland nach Deutschland ein plötzlicher Druckabfall beobachtet worden (dpa). – Die Zerstörung von Nord Stream wurde von dem polnischen Europaabgeordneten R. Sikorski gefeiert – mit einem “Danke USA”. Der Mann sitzt der EU-USA-Delegation des Parlaments vor. Mittlerweile haben sich auch die EU-Kommission und die Nato eingeschaltet. Sie danken nicht etwa den USA, sondern beschuldigen direkt oder indirekt Russland. Der Energiekrieg weitet sich bedrohlich aus – er hat nun offenbar das Potential, Sabotageakte und andere militärische Handlungen auszulösen…– Siehe auch “Sabotage bei Nord Stream”
- Regierungsvertreter aus Polen, Dänemark und Norwegen haben am Dienstag die neue Ostsee-Pipeline Baltic Pipe eröffnet. Durch sie soll Erdgas aus Norwegen über Dänemark nach Polen fließen. Parallel dazu wurde in Deutschland und Dänemark weiter nach der Ursache dreier Lecks in den Nord-Stream-Pipelines unter der Ostsee gesucht. „Die Ära der russischen Vorherrschaft beim Thema Gas geht zu Ende – eine Ära, die von Erpressung, Drohungen und Zwang geprägt war“, sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bei der symbolischen Einweihung der Kompressorstation von Baltic Pipe in Goleniow nahe der polnischen Hafenstadt Stettin. Nun beginne eine neue Ära der Energiesouveränität und -freiheit. – Was für ein Timing. Morawiecki feiert seine neue Piepline just an dem Tag, da die alte Nord-Stream-Röhre leck geschlagen wird…
- Als Notfallmaßnahme gegen die hohen Energiepreise hat mehr als die Hälfte der Länder in der Europäischen Union einen EU-weiten Gaspreisdeckel gefordert. Griechenland, Italien, Belgien, Frankreich und elf andere Staaten sendeten am Dienstag einen Brief mit den entsprechenden Forderungen an die EU-Energiekommissarin Kadri Simson. Darin fordern die Regierungen die EU-Kommission auf, umgehend einen Vorschlag für einen Maximalpreis für Gas vorzustellen. Dieser solle sich auf Gaslieferungen aus dem Ausland beziehen – etwa Importe aus Russland und anderen Ländern – aber auch auf Transaktionen an Großhandelsplätzen innerhalb der EU, heißt es in dem Schreiben, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. – Deutschland ist immer noch gegen einen Gaspreisdeckel. In Berlin hat man Sorge, dass man bei einer Obergrenze nicht mehr in der Lage wäre, alle anderen zu überbieten und den LNG-Markt leer zu kaufen…
Mehr zum Wirtschaftskrieg hier (Live-Blog)
KK
1. Oktober 2022 @ 16:45
@ ebo:
“Im Kosovo ist es noch krasser: Dort schützen Nato-Truppen die Sezessionisten, die nicht einmal von allen EU-Staaten anerkannt werden…”
Der Kosovo ist ja der Präzendenzfall für die Ostukraine und den Ukrainekrieg generell – und nicht etwa schafft die Annexion der Ostukraine erst einen solchen. Der Präzendenzfall ist längst da, geschaffen von dem NAhTOd-“Verteidigungs”-Bündnis…
Aber der eine Autokrat wird verteufelt, während den anderen Hände und A***e geküsst werden… und natürlich Waffen geliefert, wie gerade nach Saudi-Arabien: damit die den Jemen und vor allem dessen Bevölkerung weiter terrorisieren können.
So verlogen, dass ich ständig nur noch kotzen könnte.
Kleopatra
30. September 2022 @ 09:53
Der Krieg (auch der “Energiekrieg”) ist kein Akteur und kann daher nichts auslösen. Die Verantwortung für den Krieg liegt eindeutig bei einer Person: dem russischen Präsidenten. Wenn dieser nicht einen kurzen, frisch-fromm-fröhlichen Krieg gewollt hätte (wie sich wohl die Mittelmächte den Ersten Weltkrieg zu Beginn vorgestellt hatten…), würde niemand schießen und niemand würde einander mit Wirtschaftssanktionen überziehen. Es hätte Putin freigestanden, keinen Krieg zu beginnen.
Das gegenwärtige Problem liegt freilich darin, dass Putin sich durch die von seiner Armee begangenen und von ihm ausdrücklich gebilligten und sogar belobigten Kriegsverbrechen für alle ernstzunehmenden internationalen Partner als Verhandlungspartner unmöglich gemacht hat. Selbst unter einer etwaigen neuen Führung müsste sich Russland das nötige Vertrauen als Handelspartner erst mühsam und langwierig wieder verdienen; unter Putin gibt es nicht einmal dazu den Hauch einer Chance.
ebo
30. September 2022 @ 09:58
Die EU hätte sofort nach dem Scheitern Putins in Kiew die Initiative ergreifen müssen. Damals gab es sogar noch Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine.
Kleopatra
30. September 2022 @ 10:45
Meinen Sie: bereits Ende Februar nach dem Scheitern des ursprünglich von Putin erhofften Handstreichs, oder: nachdem sich die russische Armee aus der Umgebung von Kyiv zurückgezogen hatte? Das zweite ist nicht denkbar, denn damals wurden die russischen Kriegsverbrechen bereits bekannt und Verhandlungen wurden daher erst einmal unmöglich. Falls Sie die erste Variante meinen: warum um alles in der Welt sollte die EU sich – nachdem Putins idiotischer Versuch, die ukrainische Regierung zu stürzen, blamabel gescheitert war – bei der ukrainischen Regierung für die Erfüllung irgendwelcher der russischen “Forderungen” einsetzen? (Darauf scheint Ihre Vorstellung hinauszulaufen. Aber die russischen “Forderungen” waren zu offenkundig nicht als Verhandlungsgrundlage, sondern als Kriegsvorwand gedacht. Und um nach dem Scheitern des versuchten Handstreichs seine Armee zurückzuziehen, hätte Putin ja keine Vermittlung gebraucht – und die EU hätte auch nichts vorschlagen können als einen russischen Rückzug).
Die EU steht zu eindeutig zu dem Prinzip, dass gewaltsame territoriale Veränderungen tabu sind, um bei Verhandlungen über durch Krieg durchgesetzte territoriale Veränderungen vermitteln zu können.
ebo
30. September 2022 @ 10:50
Beide Termine wären gut für Friedens-Iniativen gewesen. So hätte man womöglich das Gemetzel um Mariupol vermeiden können, und viele andere Dramen auch.
Die EU erinnert sich nur an ihre Prinzipien, wenn es gegen Russland oder China geht. Oder wie wollen Sie sonst die Lage in Nordzypern, Kosovo oder Armenien/Azerbaidschan erklären?
Kleopatra
30. September 2022 @ 11:11
Die EU mag zwar nicht militärisch eingreifen, sie hat aber etwa Nordzypern immer als Teil der Republik Zypern behandelt. Das haben z.B. Leute, die in Nordzypern Grundstücke gekauft haben, zu spüren bekommen: ihre Grundstücke unterliegen zyprischer Gerichtsbarkeit, und in einem Präzedenzurteil wurde entschieden, dass das Säumnisurteil eines zyprischen Gerichts gegen die Käufer auch in anderen EU-Staaten vollstreckt werden kann (im konkreten Fall in Großbritannien vor Brexit; siehe Rechtssache C-420/07 – Apostolides). Russland hätte ja nicht eine Tolerierung seiner widerrechtlichen Eroberungen, sondern ihre Anerkennung als rechtmäßig, gewollt. Das kann die EU nicht unterstützen.
Wenn Russland grundsätzlich zu einer friedlichen Koexistenz mit der Ukraine bereit gewesen wäre, hätte es die ohne jeden Krieg haben können. Aber zum Stichwort Mariupol: Russland hat seit Jahren das Ziel verfolgt, die Ukraine vom Schwarzen Meer abzuschneiden und sie damit wirtschaftlich zu erdrosseln. Welchen Kompromiss zu diesem Ziel würden Sie vorschlagen? Ein Kompromiss zwischen der EU und Russland auf Kosten der Ukraine würde sehr ähnlich wirken wie München 1938.
ebo
30. September 2022 @ 15:33
Die EU geht sogar noch viel weiter – und hilft Nordzypern bei der (zunehmend irrealen) Integration. Warum hat man es beim Donbass nicht genauso gemacht? https://ec.europa.eu/info/funding-tenders/find-funding/eu-funding-programmes/support-turkish-cypriot-community/aid-programme-turkish-cypriot-community_en
european
30. September 2022 @ 12:09
Unser Wirtschaftsminister war ja auch in Katar und kam nach seiner medientraechtigen Verbeugung freudestrahlend mit einem Angebot wieder, das hinterher zurueckgezogen wurde. Aktuell wurde ein britischer Tourismusexperte in Katar von der Polizei zu Tode gequaelt. Man fand ihn erhaengt in seinem Hotel.
https://www.thetimes.co.uk/article/16bcdf4e-3f67-11ed-b24d-96120f17513d?shareToken=d42feb36e094e66a345ac6604f695f25
Erinnert fatal an den italienischen Studenten, der in Aegypten Forschungsarbeiten zum Thema aegyptische Gewerkschaften leisten wollte. Man hat ihn so zu Tode gefoltert, dass es nicht zitierfaehig ist. Aber der Praesident Al-Sisi ist unser best buddy und deutsche Touristen machen dort sehr gern Urlaub.
Mit Russland hatten wir es nur mit einem Kriegsverbrecher zu tun. Jetzt machen wir Geschaefte mit allen Verbrechern, weil wir den einen Kriegsverbrecher nicht mehr wollen. 😉
Kleopatra
1. Oktober 2022 @ 14:46
Dass die EU Förderungen für Nordzypern gewährt, ist nicht zuletzt darin begründet, dass es Teil der Republik Zypern ist. Gefördert wird ja auch nicht eine selbständige Existenz, sondern z.B. die Anpassung an das EU-Recht. Übertragen auf den Donbass würde das bedeuten, seine wirtschaftliche Integration in die Ukraine zu fördern. Solange er von den bekannten Räuberbanden beherrscht wird, kann er allerdings natürlich ebensowenig Förderung bekommen wie andere Staaten mit Mängeln in der Rechtsstaatlichkeit.
ebo
1. Oktober 2022 @ 16:00
Nein, Nordzypern ist nicht mehr Teil der Republik Zypern. Höchstens de jure, nicht aber de facto. Es ist türkisch besetzt und nennt sich “Türkische Republik Nordzypern”. Die EU erkennt diese TRNZ nicht an, hat sie aber auch nicht mit Sanktionen belegt oder gar bombardiert. Auch die Türkei unterliegt wegen des Besatzungsregimes, das schon fast 50 Jahre alt ist, keinen Sanktionen. Im Kosovo ist es noch krasser: Dort schützen Nato-Truppen die Sezessionisten, die nicht einmal von allen EU-Staaten anerkannt werden…
Kleopatra
2. Oktober 2022 @ 08:43
Dass Nordzypern in Ihren Worten “höchstens de jure, nicht aber de facto” Teil der Republik Zypern ist, ist für eine selbstproklamierte Rechtsgemeinschaft wie die EU gerade nicht irrelevant; und nach der praktischen Relevanz fragen Sie das in der Rechtssache C-420/07 beklagte britische Ehepaar und andere (hauptsächlich Briten), die sich Häuser in Nordzypern gebaut haben. Bombardieren kann die EU Nordzypern schon gar nicht, da sie über kleine Luftwaffe verfügt. Und warum es für die NATO relevant sein sollte, dass nicht alle EU-Staaten das Kosovo anerkennen, erschließt sich mir ebenfalls nicht – die NATO ist der EU nicht rechenschaftspflichtig oder unterstellt.
ebo
2. Oktober 2022 @ 08:58
Sie haben wohl die letzten Ereignisse verpasst. Auf Zypern hat ein Rüstungswettlauf begonnen, wieder geben unsere Freunde aus den USA den Ton an, wieder sieht die EU tatenlos zu.
https://www.reuters.com/world/turkey-re-inforce-military-presence-northern-cyprus-erdogan-2022-09-28/
https://www.rnd.de/politik/zypern-erdogan-will-das-militaer-in-nordzypern-staerken-ruestungswettlauf-droht-K4N6O2TDVRBEDOYRIACVSONMUA.html
Armin Christ
2. Oktober 2022 @ 14:49
Werte Kleopatra
Sie müssen doch zugeben, daß der “Westen” mit seinen wirtschaftlichen Sondermaßnahmen (Wirtschaftskrieg zu sagen ist ja verboten !) diesen Konflikt erst angeheizt hat.
Apropo Anheizen: möge allen Kriegshetzern, samt der Jounaillie, der Gluteus maximus abfrieren.
KK
28. September 2022 @ 14:45
“Die Zerstörung von Nord Stream wurde von dem polnischen Europaabgeordneten R. Sikorski gefeiert – mit einem “Danke USA”.”
In Polen weiss man offensichtlich, wer dahinter steckt. Und auch in Berlin und Brüssel wird man das sehr genau wissen. Und in Washington wurde es ja bereits vor dem 24.02.2022 von Mr. Biden in Anwesenheit von Herrn Scholz regelrecht angekündigt, dort weiss man es also auch.
Wenn Scholz also jetzt so unwissend tut, dann ist er nicht nur sehr vergesslich, sondern kann auch 1 und 1 nicht zusammen zählen.
european
28. September 2022 @ 14:34
Ein wunderbar ironischer Artikel dazu auf Telepolis: Kein Verlass auf den Feind.
https://www.heise.de/tp/features/Kein-Verlass-auf-den-Feind-7273613.html
Ein amuesantes Lesevergnuegen fuer Zwischendurch, trotz allem Elend was gerade passiert. British Cakeism auf Deutsch. 🙂
Arthur Dent
28. September 2022 @ 10:16
Cui Bono? Follow the Money! Wer profitiert, wenn Deutschland nicht mehr direkt russisches Gas beziehen kann? Russland wohl eher nicht – die Saboteure sind eher woanders zu suchen. Die zukünftige militärische Führungsmacht in Europa kann trotz Warnungen ausländischer Geheimdienste (CIA) nicht mal seine Energie-Infrastruktur sichern.