Der Kompass ist kaputt, “Kurz ist korrupt” – und der Gasmarkt spielt verrückt

Die Watchlist EUropa vom 07. Oktober 2021 –

Es ist nicht leicht, vom liberalisierten und globalisierten Binnenmarkt zum ernstzunehmenden geopolitischen Akteur aufzusteigen. Aber so, wie sich die EU derzeit anstellt, wird es wohl nie etwas werden.

Beim EU-Gipfel im Juni zerstritten sich die 27 EU-Chefs über die Russland-Politik. Kanzlerin Merkel und Präsident Macron wollten ein Treffen mit Zar Putin auf Augenhöhe, doch die Osteuropäer stellten sich quer.

Dann, beim informellen EU-Gipfel am Dienstagabend in Slowenien, gab es Streit über die Haltung zu USA. Macron wollte mehr Unabhängigkeit, die Osteuropäer waren wieder dagegen, von Merkel haben wir nichts gehört.

Und dann kam auch noch der Westbalkan-Gipfel. Nach dem Willen der slowenischen Gastgeber sollte er eine neue EU-Beitrittsperspektive eröffnen. Merkel war dafür, Macron dagegen. Also bleibt es beim untragbaren Status Quo.

Über gar nichts einig

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Das ist misslich – schließlich will die EU sich ja einen “strategischen Kompass” geben, der ihre künftigen geopolitischen Aktivitäten leiten soll. Doch der Kompass ist kaputt, die 27 sind sich eigentlich über gar nichts einig.

Es ist aber auch schwierig.

Wenn Merkel ihren Willen bekäme, so würden nicht nur sechs Balkanstaaten, sondern eines Tages auch die Türkei aufgenommen. Die EU hätte dann 34 Mitglieder, wäre immer noch schwächer als vor dem Brexit, und die beiden größten Länder wären Deutschland und die Türkei.

Undenkbar. Und auch nicht regierbar.

Wenn es nach Macron ginge…

Wenn es nach Macron ginge, müßte sich die EU dagegen erstmal von grundauf reformieren, bevor sie neue Länder aufnimmt. Doch den 27 gelingt es ja nicht einmal, die Sommerzeit abzuschaffen und den komplett überholten Maastricht-Vertrag abzuschütteln.

Unmöglich. Und auch nicht vermittelbar – jedenfalls nicht in Berlin.

Und so dümpelt die EU weiter vor sich hin, ein kaum reformierbarer Club der Besitzstandwahrer, die gern unabhängiger werden würden, von Russland, von China, manchmal auch von den USA – eigentlich aber auch wieder nicht…

Ach ja, über den “Kompass” wird weiter verhandelt, hinter verschlossenen Türen – denn die Bürger sollen nicht wissen, wo die Reise hingeht, das ist Militärgeheimnis…

Siehe auch “Kompass ins Nirgendwo

Watchlist

Stürzt Österreichs Kanzler Kurz? Die Staatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität in Wien hat Ermittlungen gegen den konservativen Regierungschef und eine ganze Reihe weiterer Beschuldigter wegen des Verdachts der Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung eingeleitet. Das Kanzleramt in Wien, das Finanzministerium und unter anderem die Zentrale der Regierungspartei ÖVP wurden durchsucht. Es geht um den Wahlkampf 2017, bei dem Kurz zum Kanzler gewählt wurde. Vorher soll Geld für “parteipolitisch motivierte, mitunter manipulierte Umfragen” geflossen sein…

Was fehlt

Die jüngsten Kapriolen am Gasmarkt. Am Mittwoch lagen die Preise zeitweise achtmal über dem Niveau von vor einem halben Jahr, “Le Soir” sprach von “Panik“. Der Kreml wies Spekulationen zurück, Russland drossele absichtlich Gaslieferungen. Bundeskanzlerin Merkel sagte, nach ihrer Information halte sich Russland an vereinbarte Bestellungen. In Wahrheit ist es vor allem die wilde Spekulation, die die Preise in die Höhe treibt. Polen und Frankreich haben die EU bereits aufgefordert, dagegen vorzugehen – doch aus Brüssel kommen nur Durchhalteparolen. – Mehr hier