Der Donbass wird überbewertet – es geht um Kiew

Mit seiner Anerkennung der “Volksrepubliken” in der Ostukraine hat Russlands Zar Putin das Völkerrecht gebrochen. Doch das haben andere auch schon getan – ohne Folgen. Die “historische” Bedeutung wird überbewertet. Putin geht es um etwas anderes – die Macht in Kiew.

Wochenlang wurde ein Krieg herbeigeredet. Doch der ist (noch) nicht gekommen. Ohne einen einzigen Schuß hat sich Putin den Donbass angeeignet, jedenfalls einen wichtigen Teil davon. Ist das nun der “Casus belli”?

Wer die Zeitung liest, muss dies fürchten. „Putins Taten bedeuten einen Wendepunkt in Europas Geschichte“, schreibt Timothy Garton Ash in der “Welt”. “Hat der Kalte Krieg nie aufgehört?”, fragt sich der “New Yorker”.

Geht es auch ein bißchen kleiner? Der Donbass ist nicht der Nabel der Welt. Die Ukraine hat ihn de faco schon 2014 verloren. Niemand wollte dafür einen Krieg riskieren, nicht einmal Putin. Er kann seine Entscheidung immer noch rückgängig machen.

Klar, der Zar hat eine bedrohliche Rede gehalten. Er hat gefährliche historische Ansprüche erhoben, sogar auf Kiew. Aber auch das ist nicht neu. Man kann daraus weitergehendere Gebietsansprüche oder Invasionspläne ableiten, muß es aber nicht.

Schauen wir doch einmal in die Türkei. Dort schwadroniert Sultan Erdogan seit Jahren von einem neuen Osmanischen Reich, er ließ sogar schon Landkarten zeichnen. Hat dies die Führer des freien Westens aufgeschreckt? Nein.

Die Türkei hält auch fremdes Land besetzt, sogar auf europäischem Boden: Nordzypern. Die illegale Annexion dauert schon Jahrzehnte, Erdogan will nun Fakten schaffen und die Wiedervereinigung mit dem EU-Mitglied Zypern aufgeben. Krise? Keine.

Der Kosovo-Krieg war ein Wendepunkt

Oder nehmen wir das Kosovo. Ich weiß, schlechtes Beispiel, denn darauf beruft sich Putin. Dennoch: Auch hier wurde eine Region aus einem Land abgetrennt – sogar mit Waffengewalt und Nato-Hilfe. War das auch ein “Wendepunkt in Europas Geschichte?”

Ja, das war es. Denn damals wurden Grenzen neu gezogen, damals wurde ein Land gewaltsam geteilt. Doch Europa hat sich davon erholt, und die treibenden Kräfte – die USA, Deutschland und Frankreich – berufen sich weiter auf das Völkerrecht.

Auch Russland könnte dazu zurückkehren. Der einfachste Weg wäre, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und das Minsker Abkommen zu retten. Mit dem Donbass hat er einen größeren Hebel denn zuvor, um die angestrebte Autonomie zu erreichen…

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P.S. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine müssen wir unsere Einschätzung korrigieren. Der Donbass war offenbar nur Vorwand für eine groß angelegte Invasion. Er wird nun doch in die Geschichte eingehen – als finsteres Kapitel der russischen Geschichte. Letztlich ging es Putin aber nicht um die “Volksrepubliken”, sondern um Kiew.