Einfrieren verboten, aufrüsten erwünscht
Vor einem Jahr haben die USA begonnen, über ein mögliches „Einfrieren“ des Ukraine-Kriegs nach dem Vorbild Koreas zu diskutieren. Zuletzt haben dies auch der Papst und SPD-Fraktionschef Mützenich gefordert.
Angesichts des militärischen Debakels ist dies eine wichtige Debatte. Ein „Einfrieren“ würde den Konflikt nicht lösen, aber zumindest weiteres Blutvergießen verhindern und womöglich den Weg zu Verhandlungen öffnen.
Dies würde auch und gerade der Ukraine helfen. Staatschef Selenskyj hat gerade erst den Chef des nationalen Sicherheitsrates gefeuert – offenbar wegen fehlender Erfolge im Krieg. Zuvor war der Armeechef ausgewechselt worden.
Doch ausgerechnet wenige Tage vor dem Lebensfest Ostern soll die Debatte abgewürgt und das „Einfrieren“ verboten werden. Diesen Eindruck erwecken zwei Appelle, die von Historikern und Nobelpreisträgern veröffentlicht wurden.
Der Historiker Heinrich August Winkler und andere deutsche Wissenschaftler haben einen „Brandbrief“ an die SPD und Kanzler Scholz geschrieben. Darin warnen sie vor einem „Einfrieren“ des Konflikts; das sei „Realitätsverweigerung“.
Die Nobelpreisträger warnen vor „Beschwichtigung des Aggressors“. Die Ukraine müsse den Krieg gewinnen, die Waffenhilfe müsse drastisch aufgestockt werden. Unterschrieben haben die ukrainische Friedensnobelpreis-Trägerin Matwijtschuk sowie die Schriftstellerinnen H. Müller und E. Jelinek.
Beide Appelle sind ernst zu nehmen. Winkler und Müller sind bedeutende deutsche Intellektuelle. Doch Denkverbote helfen nicht weiter – schon gar nicht, wenn sie die reale Lage ignorieren. Diesen Krieg kann und wird niemand gewinnen.
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Arthur Dent
31. März 2024 @ 17:15
Wenn Russland in dem Tempo weitermacht, brauchen die noch hundert Jahre bis Berlin.
Russland hat seine Munitionsbunker wahrscheinlich gut gefüllt, auf dem italienischen Militärblog difesa online hab ich mal von einem Vorrat von 17 Millionen Schuss Artilleriegranaten gelesen. Russland kann das Bombardement bestimmt noch eine Zeitlang durchhalten. Und die Corona-Milliarden oder die finanzielle Unterstützung der
Ukraine – die kommen aus den Geldbeuteln der europäischen Arbeitnehmer und Rentner. In welchen Kassen die wohl landen? Die EU ist ein Konstrukt für die Großkonzerne und die Großbanken. Ansonsten ist sie ein großer Basar, wo man seine Arbeitskraft überall billig anbieten kann.
Stef
31. März 2024 @ 10:29
@RichardRoe: Das ist in so ziemlich jeder denkbaren Hinsicht eine Umkehrung der Realitäten:
Wenn jemand eine Pause bräuchte um Aufzumunitionieren, dann die Ukraine.
Eine existenzielle Unterstützung für die Ukraine hätte erfordert sie abzuhalten, sich nationalistisch nach Osten abzugrenzen und sich dem opportunistischen schwachen Westen an den Hals zu werfen.
Eine Appeasement-Politik ist uns schon deshalb verschlossen, weil wir mitverantwortlich für den Krieg sind. Sollen wir uns selbst beschwichtigen?
Russland stand nur einmal in Berlin, nachdem Deutschland Operation Barbarossa gestartet hat.
Ich weiß, es fällt schwer zu akzeptieren, aber unsere Politik hat epochal versagt. Das lässt sich jetzt nicht mehr heilen. Wir müssen unsere Elite austauschen, oder sie reißt uns in den Untergang mit dem Versuch, von ihrem Scheitern abzulenken.
Frohe Ostern!
Link,Udo
31. März 2024 @ 10:08
„Wenn das Denken die Sprache korrumpiert, korrumpiert die Sprache auch das Denken“.
Das wirklich Beängstigende am Totalitarismus ist nicht, dass er Massaker begeht, sondern dass er das Konzept der objektiven Wahrheit angreift“. -George Orwell
“Das erste Allheilmittel schlecht verwalteter Nationen ist Währungsinflation. Das zweite ist Krieg.
Beide bringen vorläufig Wohlstand; beide bringen dauerhaft Ruin.
Aber beide sind Zufluchtsort für politische wie ökonomische Opportunisten.”
– Ernest Hemingway
Arthur Dent
30. März 2024 @ 17:52
Es wundert nicht, dass der Historiker und die Nobelpreisträger dem Zeitgeist “Die Ukraine muss siegen” folgen – das schützt vor Ausgrenzung und Mobbing. Wer will schon ein “Lumpenpazifist” sein?
Und den Bundeskanzler per öffentlichem Brandbrief zu diesem oder jenem auffordern zu können, da fühlt man sich schon als etwas Besonderes und der Elite zugehörig. So bleibt man ein geachtetes Mitglied der upper class.
Arthur Dent
30. März 2024 @ 13:50
Wer hätte jemals unseren Politikern Denkverbote auferlegt?
Der britisch-deutsche Journalist und Publizist Sebastian Haffner hielt Chamberlain für einen durchaus rationalen Mann. Und weil die Appeasement-Politik einmal gescheitert ist, heisst das nicht, dass sie immer immer wieder scheitern muss
RichardRoe
31. März 2024 @ 08:46
Eine Appeasement-Politik würde auch diesmal scheitern, denn der Kreml benötigt bloß eine ordentliche Atempause, um aufzumunitionieren und dann neuerlich zuzuschlagen. Das ist sinnlos, daher abzuhaken. Die Ukraine benötigt tatsächlich mehr Hilfe. 2000 Mrd aus Brüssel für Corona und 50 Mrd für die – für uns! – existenzielle Unterstützung der Ukraine ist deutlich zu wenig. Wird Brüssel erst aufwachen, wenn russische Truppen in Berlin stehen?
ebo
31. März 2024 @ 09:15
Welche Appeasement-Politik?
Das Appeasement der 30er Jahre kannte keine Supermacht USA, keine Nato und keine Atombombe mit garantierter gegenseitiger Vernichtung.
Die Ukraine-Fans sollten aufhören, falsche historische Parallelen zu ziehen. Wir haben eine völlig andere, weitaus gefährlichere Lage.
european
30. März 2024 @ 13:10
Ich finde es gut, dass man vor der “Beschwichtigung des Aggressors” warnt, nur sollte man in diesem Konflikt erst einmal herausfinden und definieren, wer der eigentliche Aggressor ist. Und da kommt eben doch die Vorgeschichte ins Spiel, ohne die wir hier nicht weiterkommen.
Nur 10% der europäischen Bevölkerung glauben an einen Sieg der Ukraine. Der Rest glaubt das nicht und wünscht Friedensverhandlungen und einen Kompromiss. Mir scheint, die Bevölkerung Europas ist wieder einmal schlauer als ihre Spitze.
https://www.politico.eu/article/europeans-think-ukraine-lose-war-russia-survey/
Das ewige Mantra, die Ukraine müsse diesen Krieg gewinnen, hat nur zu unendlich vielen Toten, Verletzten und noch mehr Leid geführt und die jüngsten Rekrutierungsvideos deuten auf einen Volkssturm reloaded hin. Eine Diplomatie, die den Namen verdient und die auf Interessensausgleich hingearbeitet hätte, hätte diesen Krieg sogar verhindern können.
Selbst wenn die Ukraine diesen Krieg gewinnen würde, was nicht passieren wird, steht immer noch die Frage im Raum, was denn der Plan für danach ist? Putin weg, US-Marionette hin, Ausverkauf des Landes wie seinerzeit durch den Alkoholiker Jelzin? Was ist der Plan, was die Strategie, wie will man vorgehen, wenn man den durch und durch korrupten Administrations-Apparat Russland’s säubern will? Glaubt man allen Ernstes, dass die das hinnehmen oder ist es nicht vielmehr so, dass man über das “Putin-weg” nicht hinauskommen wird und noch viel radikalere Kräfte an die Macht kommen werden? China hat bereits signalisiert, dass es Russland beistehen wird, sollte die Nato eingreifen. Ist das der Plan des Wertewestens? Wie lautet denn hier die Strategie, das Worst-Case-Szenario?
In diesem Konflikt ist bemerkenswert, dass Militärfachleute ständig vor weiterer Eskalation warnen, während Ex-Zivis, Ausgemusterte und Frauen ohne Militärausbildung den Krieg weiter anheizen.
Michael Conrad
30. März 2024 @ 11:16
Martin Heidegger war der bedeutendste deutsche Intellektuelle und Philosoph seiner Zeit und trotzdem ein Anhänger des Nationalsozialismus. Auch intellektuelle Schwergewichte können unter einem Mangel an Urteilsfähigkeit und einem Hang zur moralischen und politischen Selbstdarstellung leiden.
Was anscheinend von all diesen Verhandlungsverweigerern ignoriert wird, ist die Tatsache, dass sich die Verhandlungsposition der Ukraine tendenziell immer mehr verschlechtert, je länger der Krieg dauert.
Karl
30. März 2024 @ 11:04
Beide Aufrufe enthalten wenige Argumente. Der erste Aufruf hat den Inhalt „Zerstört Russland“. Alle Zerstörungsmittel sind recht? Mich erstaunt daran nur die Unterschrift der Elfriede Jelinek.
Der Aufruf der 5 Historiker (*) beschuldigt Scholz der Realitätsverweigerung, aber verbreitet selber Irrationalismus: 1. Feindbildbeschwörung: „Drohungen Russlands, weitere europäische Länder anzugreifen“; „Russland … den Plan verfolgt, die Ukraine vollständig zu zerstören“. 2. Die Nato und ihre Osterweiterung werden von den Historikern noch nicht einmal erwähnt, sie schreiben, als habe dieser Krieg keine Vorgeschichte, und als sei nur Russland zeitlos „neo-imperial“. 3. Nicht die USA, sondern Scholz wird beschuldigt, dass die USA die Unterstützung weitgehend eingestellt haben. Sie trauen sich aber nicht, Scholz vorzuwerfen, dass er strikt den USA folgt.
(*) im Original: https://www.theeuropean.de/politik/historiker-winkler-zu-ukrainekrieg-spd-macht-sich-unglaubwuerdig
Thomas Damraud
30. März 2024 @ 08:02
Das “Basis-Denkverbot” von Münkler &Co. dreht sich um das Szenario: “Stell Dir vor, wir schicken alles, was noch an Waffen übrig ist, in die Ukraine – und die Ukraine kann trotzdem die russische Armee nicht zurückdrängen.” Dieser mögliche Gang der Ereignisse wird konsequent aus dem Bewusstsein der Radikalen MItte in Deutschland verdrängt.
Nun kann man trefflich darüber diskutieren, wie wahrscheinlich ein solches Szeanrio ist. Aber die Wahrscheinlichkeit ist deutlich größer 0% – und wird durch Fakten untermauert:
— Stand heute herrscht militärisches Patt: Die Ukraine ist in der Defensive – Russland freut über jeden Hühnerhaufen, den es erobert.
— Wenn sich in den nächsten Wochen etwas an der militärischen Lage ändert, dann vermutlich eher zugunsten Russlands.
— Auf Seiten der NATO gehen die Ressourcen aus: Geld und Munition fehlt.
— Alle bisher gelieferten “Game-Changer”-Waffentyp haben zu keiner Wende geführt.
— Der Ukraine gehen die Soldaten aus.
— Trump dräut am Himmel – und damit ein isolationistischer Kurs der USA.
Wer in einer solchen Situation Durchhalteparole veröffentlicht, gerät bei mir in den Verdacht, ein Realitätsverweigerer zu sein.