Das Parlament versagt, die Kriegsgefahr steigt – und ein Urteil spaltet die EU
Die Watchlist EUropa vom 23. November 2024 – heute mit der Wochenchronik.
Die Mitte hält. Mit diesem Stoßseufzer hat Brüssel im Juni das Ergebnis der Europawahl aufgenommen. Obwohl rechtspopulistische und nationalistische Parteien zugelegt haben, behielten Konservative, Sozialdemokraten und Liberale eine – wenn auch knappe – Mehrheit.
Doch nun hat ausgerechnet diese große Koalition das Tor nach Rechts aufgestoßen. Angeführt von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) und dem Chef der Konservativen, Manfred Weber (CSU), wurde die viel beschworene „Brandmauer gegen Rechts“ eingerissen.
Mit Rafaele Fitto wird zum ersten Mal ein Politiker einer postfaschistischen Partei in die EU-Kommission einziehen. Nicht nur das: Fitto wird auch noch zum geschäftsführenden Vizepräsidenten der Brüsseler Behörde ernannt und darf milliardenschwere EU-Fonds verwalten.
Das hat von der Leyen zu verantworten, die sich nach der Wahl auf undurchsichtige Deals mit Italiens rechter Regierungschefin Giorgia Meloni eingelassen hat. Ihr Parteifreund Weber hat es zu verantworten, dass die Konservativen neuerdings zusammen mit der AfD abstimmen und wichtige EU-Gesetze aushöhlen.
Auch die Grünen machen mit
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Schuld trifft aber auch die anderen Parteien, die Grünen eingeschlossen. Die zeigen jetzt zwar mit dem Finger auf die Sozialdemokraten – weil die Genossen nach langem Hin und Her grünes Licht für Fitto gegeben haben, um ihre eigene Kandidatin Teresa Ribera zu retten. Doch auch die Grünen haben sich zur „Von-der-Leyen-Koalition“ bekannt.
Der große Verlierer ist das Parlament. Seine Aufgabe ist es, die Kommission zu kontrollieren. Dieser Aufgabe werden ausgerechnet die pro-europäischen Parteien nicht mehr gerecht. Schon die Anhörungen der Kommissare waren eine Farce, ihre Bestätigung „en bloc“ ist ein Skandal. Aber noch ist das letzte Wort nicht gesprochen.
Das passiert erst in der kommenden Woche – bei der abschließenden Abstimmung im Plenum in Straßburg. Wer sich dem Rechtsruck und dem parlamentarischen Kontrollverlust – dem zweiten seit von der Leyens gestohlener Europawahl 2019 – entgegen stellen will, muß mit Nein stimmen.
Mehr zur Kommission von der Leyen II. hier
Was war noch? Die Kriegsgefahr in Europa steigt. Nach der Freigabe amerikanischer ATACMS durch US-Präsident Biden hat sein russischer Amtskollege Putin die Rhetorik verschärft von einer direkten Beteiligung der Nato am Krieg um die Ukraine gesprochen. Als womöglich letzte Warnung hat Russland eine angeblich experimentelle Rakete abgefeuert.
Das mysteriöse Raketensystem mit Namen Oreschnik (deutsch: Nussstrauch) könne auch europäische Städte treffen, warnt der Chef der strategischen Raketenstreitkräfte Russlands. Doch Nato und EU wollen an ihrem Kurs nichts ändern. Die EU hielt eine Feierstunde zu 1000 Tagen Krieg ab, die Nato plant eine Sondersitzung. Diplomatie? Fehlanzeige!
Frustrierend fällt auch die Reaktion der EU auf den Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Netanjahu und seinen früheren Kriegsminister Galant aus. Während der europäische Außenbeauftragte Borrell das Urteil aus Den Haag sofort anerkannte, schweigt sich die deutsche Kommissionspräsidentin von der Leyen aus.
Sie folgt damit der Bundesregierung, die 24 Stunden brauchte, um eine gewundene und nichtssagende Erklärung herauszugeben. Ergebnis: Die EU ist gespalten. Während sie dem Strafgerichtshof beim Haftbefehl gegen Putin noch laut Beifall klopfte, verweigern Deutschland – und Ungarn! – nun die Zusammenarbeit…
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Umsturz in Syrien: Kallas fehlen die Worte
Es war der erste außenpolitische Test für die neue EU-Kommission: der Umsturz in Syrien und seine möglichen Folgen für EUropa. Die neue Außenbeauftragte hat ihn nicht bestanden.
european
24. November 2024 @ 12:42
Unterdessen in USA: “US Investor Stephen Lynch möchte Nordstream 2 kaufen.”
https://www.telepolis.de/features/US-Investor-moechte-Nord-Stream-2-kaufen-10107750.html
“Lynch, der in Südflorida lebt und den gewählten US-Präsidenten Donald Trump unterstützt, geht offensichtlich davon aus, dass ein Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine in Trumps zweiter Amtszeit sehr wahrscheinlich ist. Wenn es so kommt, könnte auch wieder Erdgas von Russland nach Deutschland fließen.”
Es fließt dann zwar immer noch russisches Gas durch die Pipeline, aber “Dies ist eine einmalige Gelegenheit für die Amerikaner und Europäer, die europäische Energieversorgung für den Rest der Ära der fossilen Brennstoffe zu kontrollieren”, betonte Lynch gegenüber dem WSJ.”
Und natürlich macht er das zu einem Spottpreis. Extra für uns. 😉
Da haben wir uns aufgrund geopolitischer Interessen der Neocons in diesen Krieg ziehen lassen, mit einem Lächeln zugelassen, dass unsere Freunde unsere Energieversorgung sprengen, buttern Milliarden in einen Krieg, der nicht unser Krieg ist, buttern weitere Milliarden in den Wiederaufbau, damit US-Konzerne ihre Rendite bekommen und ukrainische Schulden bedient werden und werden dann demnächst Durchleitungsgebühren für russisches Gas an unsere Freunde zahlen,
Aus US-Sicht: Spiel, Satz, Sieg 😉
Weder das EU-Parlament noch die EU-Kommission werden eine tragende Rolle dabei spielen. Sie dienen lediglich als Rechnungsempfänger. Zahlbar bis…..
Kleopatra
24. November 2024 @ 09:27
Dass ein Parlament eine Regierung kontrolliert, ist politikwissenschaftliche Theorie. Tatsächlich gilt in einem System, wo die Regierung von einem Teil des Parlaments getragen wird, vielmehr der Grundsatz, dass alle Abgeordneten der betreffenden Parteien für die Regierung zu stimmen haben. Wieviele Abgeordnete im Bundestag stimmen üblicherweise gegen die Wahl des (nach abgeschlossenen Koalitionsverhandlungen) vorgeschlagenen Bundeskanzlers? Eben. Insofern wird das Europaparlament das, was es immer werden wollte, nämlich immer mehr eine normalen Parlament ähnlich.
ebo
24. November 2024 @ 10:29
Schauen Sie mal nach Berlin. Da hat der Kanzler gerade seine Mehrheit verloren. Und deswegen muß er abtreten, es gibt bald Neuwahlen.
In Brüssel gibt es nichts davon.
Kleopatra
24. November 2024 @ 08:29
Wenn eine Mehrheit des Parlaments dafür stimmt, konkrete Bestimmungen geplanter EU-Rechtsakte weniger einschneidend zu gestalten, ist das nicht „Aushöhlen wichtiger EU-Gesetze“ , sondern ein völlig normaler Vorgang in einer parlamentarischen Demokratie. Demokratie ist eben nicht, wenn jeder, der mitreden darf, alles noch schärfer gestaltet, sondern wenn man miteinander diskutiert und das Ergebnis in dem von den Bürgern gewählten Parlament von einer Mehrheit beschlossen wird. Anders ausgedrückt: Demokratie ist nicht durch das Ergebnis der Beschlussfassung legitimiert, sondern durch die Beachtung der Regeln für die Beschlussfassung. Da gegenwärtig im Parlament keine links-grüne Mehrheit besteht, dürften Parlamentsbeschlüsse gegen „Green-Deal-Projekte“ den Intentionen vieler Wähler entsprechen, somit sind sie nach dem Kriterium der Demokratie legitimiert.
Natürlich wäre es schöner, wenn die Wähler z.B. den Wunsch nach einer sehr restriktiven Migrationspolitik etwa in Deutschland durch die Wahl der CDU ausdrücken könnten (wir erinnern uns noch daran, was das erste Kabinett Kohl in dieser Hinsicht für eine Politik vertrat?)
Arthur Dent
24. November 2024 @ 00:24
Oreschnik braucht 11 Minuten bis Berlin, 14 Minuten bis Brüssel, 19 Minuten bis London. Sie ist rund doppelt so schnell, wie eine Patriot.
Metsola will das unbedingt ausprobieren, fordert nun Tauruslieferungen. Der lässt sich auch nuklear bestücken. Man darf gespannt sein, wie Oreschnik dann bestückt ist.
Michael
23. November 2024 @ 17:46
Über Brüssel kann ich mich inzwischen nicht mehr wundern oder gar exchauffieren! Die angeblich demokratischen Institutionen hatten nie transparente und glaubwürdige Legitimation. Geschützt wird Brüssel nurmehr von der Tatsache dass es kein geeintes europäisches Demos gibt welches protestieren könnte!
Und: die Dämme brechen in Richtung Krieg! Nach den USA und UK hat jetzt auch Frankreich dem Einsatz von Langstreckenraketen durch die Ukraine, gegen Russland erlaubt!