Das fehlende Assessment: Die Ukraine kann nicht siegen
Die EU will Beitrittsgespräche mit der Ukraine führen – mitten im Krieg. Dafür hat sie alle möglichen Kriterien geprüft – nur nicht die Frage, wie es um den Krieg steht. Dieser Test würde negativ ausgehen.
Kein einziges der zentralen Kopenhagener Kriterien wurde erfüllt, nur vier von sieben spezifischen Länder-Vorgaben hat die Ukraine bisher erreicht. Dennoch will die EU-Kommission nun Beitrittsgespräche führen.
Zur Begründung führt Behördenchefin von der Leyen den “russischen Angriffskrieg” an. Man dürfe das Land nicht allein lassen, sondern müsse es durch die EU-Perspektive unterstützen.
Ein hehres Motiv, sogar die Linke hat die nun geplanten Verhandlungen begrüßt. Doch wie steht es eigentlich um diesen Krieg? Kann die Ukraine siegen, kann sie alle Gebiete zurückerobern?
Nein, das kann sie nicht. Nicht mit Hilfe der USA, die wichtige Waffen zurückhalten und sich nach und nach zurückziehen. Und erst recht nicht mit der EU, die ihre eigenen Zusagen nicht erfüllt.
Sowohl bei den Waffen als auch bei der Munition liegt Brüssel hinter dem Plan. Eine militärische Strategie hat man auch nicht. Es gibt noch nicht einmal eine Debatte über den Stillstand an der Front.
Die jüngsten Aussagen des ukrainischen Generalsstabschefs sind ebenso wenig in die Bewertung der EU-Kommission eingegangen wie die Warnungen aus der Nato vor leeren Arsenalen.
Die EU-Behörde schweigt auch zu den Gerüchten, dass hinter den Kulissen längst Verhandlungen mit Russland vorbereitet werden. Ihr Assessment ist nicht nur unvollständig, sondern wohl auch unehrlich…
P.S. Der frühere Chef des Nato-Militärkommitees, Tschechiens Präsident Pavel, soll nicht mehr an den Sieg der Ukraine glauben. Die Zeit spiele für Russland, deshalb müsse man nun Verhandlungen einleiten…
Siehe auch Open Thread: Die Ukraine kann nicht siegen
P. S. Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ warnt vor einem EU-Beitritt der Ukraine. Die EU solle sich lieber für ein Ende des Krieges einsetzen, schreibt der “Tagesspiegel”
Michael
11. November 2023 @ 15:29
Bei den jüngsten Kommunalwahlen in Moldawien konnte die pro EU Seite nicht eine der größeren und großen Städte einschl. Chisinău gewinnen. Die kann auch als Indiz für die Präsidentschaftswahl nächstes Jahr gewertet werden. In der Ukraine hat Selenskyj soeben Wahlen fürs nächste Jahr abgelehnt. Er ist vom Komödianten zum Autokraten mutiert und weiß dass er starke Opposition fürchten muß. Vor Wahlen in beiden Ländern wird sich nicht viel ändern. Nach den Wahlen, so denn Wahlen in der Ukraine irgendwann stattfinden sollten, hoffe ich werden klare Verhältnisse herrschen und die EU und NATO kritischer bewertet werden.
Stef
10. November 2023 @ 11:40
Das kann eigentlich nur zu zwei Ergebnissen führen: Entweder die Ukraine wird von der EU in Untergang und Zerstörung geführt oder die EU scheitert selbst.
Einen Unterschied zwischen EU und Nato gibt es politisch nicht mehr. Durch eine EU-Mitgliedschaft käme die Nato faktisch in die grenznahe Position, die Russland am wenigsten haben will. Von daher wird es von Russland keine Zustimmung zu einem Waffenstillstand geben, solange die EU-Erweiterung bis an die russischen Grenzen droht und die militärische Komponenten dabei nicht wirksam ausgeschlossen wird. Es gibt also keine Basis der Einigung zwischen Russland und der EU, solange die Aufnahme der Ukraine auf dem Tisch liegt. Und damit auch nicht zwischen der Ukraine und Russland.
Einem Waffenstillstand braucht Russland ohnehin nicht zuzustimmen, der Krieg verläuft für sie sehr günstig. Ein Waffenstillstand würde die militärischen Fortschritte für Russland wieder relativieren, da sich die Ukraine mit Hilfe des Westens wieder militärisch konsolidieren kann. Ich bezweifle also, dass Russland hier weitereichende Kompromisse machen wird. Es bleibt jedem unbenommen, sich wie Kiesewetter über den offensichtlichen Verlauf dieses Konfliktes Illusionen zu machen. Nur darf man sich dann nicht über den einen oder anderen Scherbenhaufen wundern, den man wider besseren Wissens produziert.
Damit gibt es für diesen Beitritts-Trip der EU-Kommission eigentlich nur die beiden o.g. Ergebnisalternativen.
Die Ukraine lernt gerade auf die harte Tour, dass man sich gegen die eigene Geografie nicht auflehnen kann. Rechtlich gesehen darf man das, da hat Kleopatra sicherlich recht. Das Ergebnis ist aber immer dasselbe, nämlich eine Bruchlandung. Kinder lernen daraus. Die EU auch? Ich glaube es inzwischen nicht mehr.
Nur mal angenommen, die Ukraine würde sich tatsächlich dauerhaft für eine reine Westorientierung entscheiden und die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen nach Osten minimieren und weiter angenommen die Ostukrainer sowie die Russen würden das klaglos hinnehmen. Das würde aus dem Land ein neues Zonenrandgebiet machen, das ohne Subventionen aus der Kern-EU dauerhaft nicht existenzfähig ist. Das kann deu europäischen Steuerzahlern nicht recht sein. Und den Ukrainer auch nicht. Die unangenehme Wahrheit ist, dass in der Ukraine derzeit ultranationalistische bis faschistische Kräfte das Sagen haben, die für ihren politischen Kurs jeden denkbaren Schaden billigend in Kauf nehmen. Die EU darf so etwas nicht unterstützen, weil es ihren Grundlagen widerspricht nationalistische und faschistische Politik zu betreiben. Oder sie scheitert eben.
Die Politik der EU-Kommission nimmt die Zerstörung der Ukraine billigend in Kauf, genau so wie es die Politik der USA und der Nato schon seit mehr als einem Jahrzehnt macht. Das kann man mit legalistischen Argumenten begründen wollen, wie Kleopatra das hin und wieder macht. Es bleibt eine Kriegspolitik, die nur zu Unsicherheit und Leid führt. Und sie beraubt uns jeder legitimen Kritikmöglichkeit gegenüber fragwürdiger Politik anderer Staaten.
Monika
10. November 2023 @ 10:55
Ich erzähl’ euch heut mal was…
Ein Freund hat dieses Jahr eine private Bildungsreise nach Moldawien unternommen und berichtet: Es habe ihn sehr gewundert, in welchem Umfang dort auch große Infrastrukturprojekte gestemmt werden können. In und um sehr viele Ortschaften sind dazu “Informationstafeln” verschiedenster Größe angebracht, auf denen zu lesen steht: …Finanziert mit Geldern aus den USA, finanziert aus Geldern der EU, samt dem Werbebutton: EU 2030.
Seine Erkenntnisse aus den vielen Gesprächen mit Bürgern jeden Alters dort: junge Leute befürworten den EU-Beitritt teils enthusiastisch, wollen ihn aber in erster Linie als Sprungbrett “nach Europa”, raus aus Moldawien, nutzen. Die Alten befürchten gerade dies und sind weit überwiegend gegen den EU-Beitritt. Interessanterweise gibt es, bei jung und alt unisono, größte Ablehnung für einen NATO-Beitritt.
Die bereits mit mit US ! – und EU-Geldern geschaffenen Fakten legen den Schluß sehr nahe, dass der Beitritt schon lange vor den eigentlichen “Beitrittsverhandlungen” beschlossen und umgesetzt wurde.
Eine überdenkenswerte Praxis die beweist, wie “europäische Demokratie” funktioniert.
KK
10. November 2023 @ 13:58
Das mit den “Informationstafeln” kenn ich aus den 1990er Jahren aus Portugal – aber da war das Land schon beigetreten und EU-Mitglied.
Monika
10. November 2023 @ 15:57
@ KK
Aber Mitgliedschaft ist ja das entscheidende Kriterium.
Hier schon im engen “Verbund” USA – EU im Vorfeld die Segnungen der Mitgliedschaft abregnen zu lassen, das ist mindestens Bestechung, wenn nicht sogar Erpressung. Dazu müsste man die Verträge mit Moldawien diesbezüglich kennen.
@ebo ist Ihnen vielleicht bekannt, auf welcher Grundlage und mit welcher Intention hier europäische Mittel in dieser Form ausgegeben werden?
KK
10. November 2023 @ 19:11
@ Monika:
” Aber Mitgliedschaft ist ja das entscheidende Kriterium.”
Daher meine Einlassung! 😉
Helga Karim
10. November 2023 @ 09:24
Der Krieg ist längst verloren. Wissen sicherlich alle, aber der Größenwahn läßt diese Erkenntnis noch immer nicht zu und es müßte Verantwortung übernommen werden für das eigene Handeln, das so viele Leben sinnlos gekostet hat. Mit dem Teilen ehemaliger Ostblockstaaten hat der Westen sonst keine Probleme gehabt. Es gibt kaum noch Ukrainer, die zum Kämpfen gezwungen werden können. Die (West-)Ukraine ist ja auch längst keine Demokratie mehr, wie auch – die Opposition verboten, Kritiker werden verfolgt, Todeslisten usw. Die USA ziehen sich zurück, sie hat erreicht, was sie wollte, daß Europa wieder tief gespalten und noch abhängiger ist.
Thomas Damrau
10. November 2023 @ 08:57
Die militärische Lage ist irrelevant – es geht hier um ein weil-nicht-sein-kann-was-nicht-sein-darf. Man muss sich nur das Interview mit Roderich Kiesewetter (CDU) heute früh im DLF anhören ( https://www.deutschlandfunk.de/ist-die-ukraine-eu-reif-interview-mit-cdu-aussenpolitiker-roderich-kiesewetter-dlf-f72109eb-100.html ).
Kiesewetter wird vom Moderator groß als Militär-Experte angekündigt (hat jädient, war sogar Bundeswehr-Offizier). Was dann kommt, hätte auch vom Wehrdienstverweigerer Habeck kommen können:
– keinerlei Einschätzung der militärischen Lage, lediglich die Behauptung, dass die Ukraine ihre eigenen Soldaten schone, während Russland die seinen verheize
– die wie immer vage Andeutung, mehr Waffen und neue Waffensysteme könnten …
– die Forderung, die Waffen, die Bundeswehr an die Ukraine geliefert hat, schleunigst nachzubestellen
– das Zögern des Westens, das Putin immer wieder ermutige
– die Ukraine als Leuchtturm-Projekte, das am Ende sogar Russland und Belarus die Vorzüge der Demokratie vor Augen führen werde
– die Ukraine als Präzedenzfall: Wenn die Ukraine nicht gewinne, werde Putin sich ermutigt fühlen, . Und China werde die durch eine Niederlage der Ukraine demonstrierte Schwäche des Westens als Ermutigung für einen Angriff auf Taiwan sehen.
– die Bedeutung der EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine – weil sonst die UkrainerInnen in Richtung EU auswandern würden (ein Moment der Erkenntnis in diesem Interview)
– aus all diesen Gründen kämen Friedensverhandlungen nicht Frage – Augen zu und durch.
Es geht beim Thema Ukraine (zumindest in Deutschland) nicht um eine Analyse der militärischen Lage, sondern um Glaubensbekenntnisse. Und der Glaube versetzt ja bekanntlich Berge – auch wenn es nur Geldberge sind, die auf den Konten der Rüstungsindustrie landen.
KK
10. November 2023 @ 13:53
“Kiesewetter wird vom Moderator groß als Militär-Experte angekündigt…”
Mir ist er eher als Saufkopf, der sich nicht mit der Sperrstunde abfinden kann und dann frech wird, in Erinnerung.
Kleopatra
10. November 2023 @ 08:23
Das ist das einzige Argument, das man ernst nehmen kann. Allerdings ist aus grundsätzlichen Erwägungen ein Frieden mit Russland nicht denkbar, nur ein mit einem kalten Krieg verbundener Waffenstillstand. Für Rechtspositionen würde das zum Beispiel bedeuten, dass man mit den von Russland völkerrechtswidrig annektierten Gebieten ebenso umgeht wie z.B. mit Nordzypern: dieses ist nach EU-Auffassung Teil der Republik Zypern, was unter anderem bedeutet, dass Gerichte der Republik Zypern Urteile fällen können, die Grundstücke in Nordzypern betreffen, und diese können dann zivilrechtlich in den übrigen EU-Staaten vollstreckt werden (siehe das EuGH-Urteil von 2009 in der Rechtssache C-420/07, Apostolidis/Orams, ECLI:EU:C:2009:271); mit der absehbaren Folge dass kein in von Russland annektierten Gebieten ansässiges Unternehmen/keine dort ansässige Einzelperson mit der EU Handel treiben könnte. Damit ist gleichzeitig gesagt, dass alle Vorstellungen von einer “Brückenfunktion” der Ukraine zwischen der EU und Russland Spinnereien sind. Wenn es je eine Chance darauf gegeben haben sollte, hat Russland sie durch seine Aggressionspolitik gegen die Ukraine zerstört; und ohnehin ist es eine Anmaßung, anderen Völkern eine “Brückenfunktion” vorschreiben zu wollen.
KK
10. November 2023 @ 13:56
Nicht Russland hat sie zerstört, sondern der Westen, der sich eingemischt und 2013/14 einen undemokratischen Putsch unterstützt hat.
Helmut Höft
9. November 2023 @ 20:48
… nur nicht die Frage, wie es um den Krieg steht. Dieser Test würde negativ ausgehen. Aber, aber wenn doch bald die V-Waffen eingesetzt werden, dann ist doch der unkrainische Endsieg® nicht mehr weit.
Alexander Hort
9. November 2023 @ 18:31
Mir drängt sich bei diesem ganzen „Beitrittsaktionismus“ schon länger der Eindruck auf, dass es politisch, rhetorisch und symbolisch darum geht, den ungünstigen Kriegsverlauf zu kaschieren. Auch wenn der Osten des Landes de-facto russisch wird, kann man immer noch behaupten, dass die „regelbasierte Ordnung“ sich irgendwie durchgesetzt habe, denn dafür steht die EU doch nach eigener Auffassung.
Ob das glaubwürdig ist, ist eine andere Frage.