Coronakrise: “Die Industrie saß am längeren Hebel”
Offiziell ist die Coronakrise beendet, EU-Chefin von der Leyen hat sich selbst zu ihren (vermeintlichen) Erfolgen gratuliert. Doch das Europaparlament ist nicht davon überzeugt, dass alles ordnungsgemäß gelaufen ist. Von der Leyen habe zu sehr auf die Pharmaindustrie gehört, sagt die grüne Europaabgeordnete T. Metz im Interview. Sie hat sogar Klage eingereicht.
Sie sitzen im COVI-Ausschuss und versuchen, die Lehren aus der Coronakrise zu ziehen. Was wäre die wichtigste Erkenntnis?
Aus meiner Sicht geht es vor allem darum, das Gleichgewicht zwischen der Politik und der Pharmaindustrie wiederherzustellen. In der Coronakrise saß die Industrie am längeren Hebel. Die EU-Kommission hat in dieser Ausnahmesituation ihr Bestes gegeben, aber die Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie war für sie neu, und rückblickend hätte man einige Probleme vermeiden können. So hat sich die Kommission beim Ankauf von Corona-Impfstoffen auf das „Commercial secret“ eingelassen und nicht auf Transparenz bestanden. Sie weigert sich bis heute, die Verträge ganz offen zu legen – dabei gibt es daran ein überragendes öffentliches Interesse!
Sie haben sogar Klage vor dem EuGH eingereicht, zusammen mit vier weiteren grünen EU-Abgeordneten. Was ist daraus geworden?
Leider noch nichts, aber es ist „work in progress“. Wir haben im Januar beim Gericht ein öffentliches Hearing beantragt und bis heute kein Datum für die Verhandlung. Die EU-Kommission weigert sich immer noch, die Verträge mit den Pharmaherstellern komplett offen zu legen. Für mich ist das unverständlich, denn die Impfstoff-Beschaffung liegt nun schon einige Zeit zurück, und wir müssen uns auf die nächsten Krisen vorbereiten. Dies geht aber nicht ohne das nötige öffentliche Vertrauen – und das kann nur durch Transparenz und Kontrolle gesichert werden. Für mich ist das eine Frage des Prinzips: Das Europaparlament muss die Arbeit der Kommission kontrollieren. Das ist meine Aufgabe, das bin ich meinen Wählern und Wählerinnen schuldig.
Bräuchte das Parlament für eine wirksame Kontrolle nicht mehr Rechte? Die Abgeordneten haben keine volle Einsicht in die Impfstoff-Verträge erhalten, der Chef des US-Konzernes Pfizer ist nicht im Parlament erschienen, Kommissionspräsidentin von der Leyen will nicht aussagen…
Dass Pfizer-Chef Bourla nicht aussagen wollte, war kein gutes Zeichen. Das geht gar nicht! Mein Vorschlag, Bourla daraufhin für eine gewisse Zeit den Lobby-Zugang zum Europäischen Parlament zu verwehren fand leider keine Mehrheit. Wir hätten uns meiner Meinung nach einen solchen Mangel an Respekt nicht gefallen lassen dürfen. Aber jetzt ist nicht die Zeit für Kompetenz-Gerangel und Vertragsänderungen, die nötig wären, um das Parlament als Institution zu stärken. Wir konzentrieren uns im COVI-Ausschuss auf unseren Bericht zur Coronakrise und den Folgen. Danach sehen wir weiter.
Also wird von der Leyen nicht noch einmal vorgeladen, oder Pfizer-Chef Bourla?
Nein, das ist momentan kein Thema. Wenn unser Bericht fertig ist, dann wird von der Leyen darauf sicher reagieren. Ich habe großen Respekt für ihre Arbeit, aber ich will auch 100 Prozent Transparenz. Ich bin 100 Prozent Pro-EU, doch wenn etwas nicht gut läuft, dann müssen wir offen darüber reden.
Befürchten Sie nicht, dass die Aufklärung verschleppt wird? Es gibt ja auch noch die Affäre um die SMS-Kurznachrichten, mit denen von der Leyen bei Pfizer Impfstoff bestellt haben soll. Und einige EU-Staaten klagen, dass die EU-Kommission viel zu viel Vakzine bestellt habe…
Das habe ich auch gehört, doch dazu habe ich bisher mehr Fragen als Antworten. Wer hat was gekauft und für wen? Wie wurden die Verträge ausgehandelt, welche Klauseln wurden besprochen? Das können wir hier in Brüssel nicht allein klären, das müssen die beteiligten EU-Länder auch aufarbeiten! Aber wir werden auf jeden Fall dranbleiben. Ich hoffe, dass alle offenen Fragen rechtzeitig vor der Europawahl geklärt werden – das wäre ein wichtiges Zeichen!
Das ganze Interview ist im Tageblatt in Luxemburg erschienen, mehr hier. Siehe auch Pfizer-Affäre: Barley ruft von der Leyen zur Ordnung
KK
11. Mai 2023 @ 12:39
@ Thomas Damrau:
Zu 1) Die Frau hat Narrenfreiheit. Hatte sie doch schon immer.
Zu 2) Diese Politik missachtet völlig, dass es massenweise Gebäude gibt, die einfach für die künftig nur noch zulässigen Heizungen ohne horrende Sanierungsaufwendungen (nebst oft hierfür notwendigem zwischenzeitlichem Leerstand) nicht geeignet sind und mit dieser Regelung zu wirtschaftlichen Totalschäden werden. Vom Mangel an hierfür notwendigem Fachpersonal ganz zu schweigen. Und ja, wenn das zuständige politische Personal diese Konsequenzen ihrer Entscheidungen überhaupt nicht erfassen, weil sie sich nur noch in einer gutsituierten Filterblase bewegen, dann ist es das falsche Personal für diese Entscheidungen! Denn wenn hunderttausende oder gar Millionen Wohneinheiten auf diese Weise verloren gehen, wie verträgt sich das mit dem jetzt schon massiven Mangel an Wohnraum? Natürlich kann man diese Entscheidungen nicht vom Personal trennen – und umgekehrt!
Zu 3) Entscheidungen werden trotz Absprachen mit Lobbyisten an Kaffeehaus- oder Restauranttischen aber immer noch in den dafür zuständigen pluraistisch besetzten Gremien getroffen. Das problematische an den Familiennetzwerken wie dem Graichen-Clan ist besonders die völlige Intransparenz, da Abwägungen und Entscheidungen in den absolut privaten Bereich gutsituierter Familien ausgelagert werden.
Da wird nicht gefragt, wie die Leute an Brot kommen sollen, weil dort Kuchen auf dem Tisch steht!
Thomas Damrau
11. Mai 2023 @ 08:46
@KK
Richtig. Ich halte die geistige Inzucht, die solche Netzwerke produzieren, auch für bedenklich.
Trotzdem stellen sich drei Fragen:
1) Warum wird die vdL-Affäre medial so niedrig gehängt?
2) Zielt die Kritik wirklich auf die Personalentscheidungen oder will man die von den beschuldigten Personen vertretene Politik verhindern? Diese Frage wurde vom DLF im Interview mit Mario Czaja aufgeworfen (https://www.deutschlandfunk.de/fall-graichen-und-kampagne-gegen-heizungsgesetz-interview-mit-mario-czaja-cdu-dlf-d73da854-100.html) . In diesem Fall wurde auch mal vom Redakteur hartnäckig nachgefragt. Und siehe da: Czaja ging es weniger um die „Vetternwirtschaft“ (mit der die CDU sonst ja wenig Probleme hat), sondern um die These „Die falschen Leute treffen die falschen Entscheidungen“.
3) Wo werden sonst wichtige Entscheidungen getroffen (wenn nicht am Kaffeetisch)? Wirklich in Parlament? Oder nicht doch oft beim gemütlichen Zusammensein mit dem Interessenvertreter von …
KK
10. Mai 2023 @ 11:51
„Die EU-Kommission hat in dieser Ausnahmesituation ihr Bestes gegeben“
Vor allem hat die EUCO unser Bestes gegeben – unser Geld! Und zwar sehr viel davon. Da muss es doch möglich sein, darüber Rechenschaft abzulegen!
Aber anscheinend tun sich die demokratischen Werte in EUropa sehr schwer. Besonders in letzter Zeit, genauer seit Inthronisierung der aktuellen EUCO-Präsidentin!
Thomas Damrau
10. Mai 2023 @ 09:49
Auch bei diesem Thema kann man beobachten, wie unsere Medien ticken. Die Affäre vdL kommt in unseren Medien höchstens am Rande vor, während der „Habeck/Graichen-Clan“ wie der Ausverkauf der Republik an die Mafia dargestellt wird.
Auch ich halte Habeck für inhaltlich völlig überfordert. Jedoch ist es übliche Praxis, bei einem Regierungswechsel die Schlüsselposten mit eigenen Leuten zu besetzen. Auch diese Praxis ist meist fragwürdig, aber wurde in der Vergangenheit großzügig in den Medien übersehen.
Legendär ist der FDP-Entwicklungs-Minister Dirk Niebel, der eigentlich vor der Wahl dem Ministerium die Existenzberichtung abgesprochen hatte und nach der Wahl in seinem Ministerium immer neue Pöstchen für seine ehemaligen Bundeswehr-Kumpel geschaffen hat. Das hat man milde belächelt und das war’s.
Und ich möchte gar nicht wissen, wie viele DeppInnen ihren Posten dem richtigen Parteibuch verdanken.
Welcher Skandal hochgejazzed wird, hängt offensichtlich sehr stark von den politischen Präferenzen der verantwortlichen Redakteure und Herausgeber ab.
KK
10. Mai 2023 @ 13:41
Zwar ist es üblich, die Schlüsselpositionen mit eigenen Leuten zu besetzen.
Wenn aber, wie im Hause Habeck, diese untereinander auch noch miteinander verwandt und verschwägert oder aufs engste miteinander befreundet (Trauzeugen) sind, und überdies mit und in den Leitungspositionen der dem Ministerium zuarbeitenden Institutionen ebenfalls viele solche Verbindungen kreuz und quer existieren, darf befürchtet werden, dass Entscheidungen nicht mehr in den dafür gedachten Gremien und Institutionen oder den Parteien, sondern bei Familientreffen an der sonntäglichen Kaffeetafel fallen.
Das ist ja fast schon wie beim Hochadel im Feudalismus, da wurde auch nur noch untereinander geheiratet…