Bootsunglück bei Griechenland: Die EU schaut weg
Nach dem Untergang eines Flüchtlingsbootes vor Griechenland, bei dem vermutlich mehrere Hundert Migranten ums Leben kamen, macht die EU in “business as usual”: Keine Trauerfeier, kein Sondergipfel, keine eigenen Ermittlungen. Dabei war die EU-Grenzbehörde Frontex im Bilde.
Als 2013 ein Flüchtlingsboot vor Lampedusa unterging und hunderte Migranten ertranken, eilte der damalige EU-Kommissionschef Barroso auf die italienische Insel, um seine Trauer und sein Mitgefühl zu bekunden. Er sprach von einem “europäischen Drama”.
Zehn Jahre später geht wieder ein Boot unter, wieder gibt es hunderte Opfer – diesmal vor der Küste Griechenlands. Doch EU-Chefin von der Leyen hält es nicht für nötig, sich persönlich um dieses Drama zu kümmern. Ein paar Worte des Bedauerns, das war’s.
“Für Europa ist es so, als wäre es business as usual”, kommentiert die italienische Zeitung La Stampa. “Der Abgrund Europas liegt in den Worten ohne Mitleid und Bedeutung, die nach einer Tragödie wie der von Pylos ausgesprochen werden”, klagt das Blatt.
Business as usual macht auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Die EU-Stelle wusste um das gefährdete Boot. Seine Kollegen hätten das Boot am Dienstag entdeckt und den Behörden gemeldet, sagte Frontex-Chef Hans Leijtens der “Süddeutschen Zeitung”.
Nach Angaben aus Griechenland hätte Frontex helfen können – doch es geschah nichts. “Wir überwachen ein Meer, das doppelt so groß ist wie Frankreich, Spanien und Italien zusammen. Es ist sehr schwer, jedem zu helfen, der in Not gerät”, rechtfertigt sich Leijtens.
Auf Nachfrage eine Journalisten in Brüssel, ob nun eine Untersuchung eingeleitet werde, gab es keine Antwort. Die EU schaut weg… und schiebt die Schuld auf die Schlepper, nicht auf untätige Helfer. Außerdem treibt sie ihre Pläne für ein neues, hartes Asylregime voran…
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Kleopatra
19. Juni 2023 @ 07:55
@ebo: Die Ukraine ist in der Tat schon deshalb ein Sonderfall, weil die Ukraine mit der EU assoziiert ist. Worauf ich hinauswollte, ist dass – wenn mit der Belastung durch Flüchtlingsversorgung argumentiert wird – es doch keinen großen Unterschied macht, ob die Betreffenden gern da sind, wo sie sind, oder nicht. Eher könnte man sogar annehmen, dass die Betreuung von Asylbewerbern leichter ist, wenn sie nicht gezwungenermaßen bei einem sind. Natürlich ist in Deutschland die Belastung, wenn sie schon soweit geht, dass grüne Kommunalpolitiker ein Problem sehen, extrem. Aber wer hätte etwas davon, wenn einige hunderttausend Ukrainer aus Polen nach Deutschland verlegt würden und im Gegenzug gleichviel Syrer von Deutschland nach Polen, nur um ein Prinzip hochzuhalten?
ebo
19. Juni 2023 @ 08:16
D’accord, das war aber auch nicht so gemeint. Bei der Verteilung geht es vor allem um die Asylbewerber aus Syrien, Afghanistan etc. Und da verweigert sich Polen…
Arthur Dent
18. Juni 2023 @ 00:28
“Business as usual macht auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Die EU-Stelle wusste um das gefährdete Boot.” – Das Flüchtlingsboot hätte aller Wahrscheinlichkeit nicht in See stechen dürfen. Das Schiff war ja wohl hoffnunglos überfüllt, keine Person hat Rettungswesten getragen (falls die in den Nachrichten gezeigten Bilder authentisch waren). Vermutlich dürfte auch ausreichend Proviant und Trinkwasser gefehlt haben. Vermutlich gab es auch keine Seekarten und niemand hatte nautische Kenntnisse, um eine Position auf dem Meer bestimmen zu können. Es gibt nicht nur ein Asylrecht, sondern auch ein internationales Seerecht, wie mit Schiffbrüchigen umzugehen ist. Meiner Meinung nach hat sich strafbar gemacht, wer schon vor dem Untergang des Schiffes Kenntnis von diesem “Seelenverkäufer” hatte, aber nichts zur Rettung der Menschen unternommen hat. Die Auslegung des Asylrechts ist da erst einmal nachrangig
Josef Berchtold
18. Juni 2023 @ 00:09
Es geht das Gerücht um, dass die Schleuser bewusst nicht überwiegend Männer mit an Bord genommen haben, sondern mehr Frauen und mehr Kinder, und das Boot vorsätzlich in Not gesteuert wurde, um gegen die neuen EU- Maßnahmen vorzugehen, mit möglichst vielen Leichen, denn das Milliarden-Schleuser-Geschäft soll weitergehen können. Hat jemand diesbezüglich Infos?
KK
17. Juni 2023 @ 12:35
@ Kleopatra:
“Solange in Deutschland am grundgesetzliche garantierten Asylanspruch festgehalten und dieser für unantastbar erklärt wird,”
Unantastbar ist dieser Anspruch doch bereits durch die Absätze 2-5 des Art. 16a GG nicht.
KK
17. Juni 2023 @ 11:43
In den Radionachrichten eben wurde von ersten Zeugenaussagen, die von einem gezielten Pushback der griechischen Küstenwache sprachen, berichtet.
Das wäre ein Fall für den IStGH!
Kleopatra
17. Juni 2023 @ 11:40
@ebo: Sollen nach Ihrer Auffassung die in Polen lebenden Ukrainer auf alle anderen EU-Mitgliedstaaten umverteilt werden? Wenn ja: wozu? Wenn nein, hat allerdings Polen ein gutes Argument, dass sie gegenwärtig so viele Ukraine-Flüchtlinge beherbergen, dass sie die anderen, die eh nicht nach Polen wollen, nicht auch noch aufgehalst bekommen wollen. Eine Politik, bei der Syrer gegen ihren Willen nach Polen geschickt werden und Ukrainer, die nach Polen wollten, beispielsweise nach Portugal, würde ja nur darauf hinauslaufen, dass ein Prinzip um des Prinzips willen durchgesetzt würde.
Solange in Deutschland am grundgesetzliche garantierten Asylanspruch festgehalten und dieser für unantastbar erklärt wird, kann Deutschland bei den anderen EU-Mitgliedstaaten deren Beteiligung an der „Flüchtlingslast“ nicht durchsetzen. (Diese Überlegung wurde im September 2015 in einem Kommentar der taz vertreten!)
ebo
17. Juni 2023 @ 12:21
Eben haben Sie noch argumentiert, die Asylbewerber könnten sich ihr Zielland nicht aussuchen! Aber gut, die Ukrainer sind ein Sonderfall, wir haben de facto ein Drei Klassen System mit Ukrainern, die wie EU Bürger behandelt werden, Syrern und anderen Asylberechtigten, die immerhin nach Deutschland dürfen – und den Hoffnungslosen, die man in Lager an der Aussengrenze stecken will. Human ist das nicht, nachhaltig auch nicht
Kleopatra
17. Juni 2023 @ 10:47
Die Politik der EU ist, dass Flüchtlinge Asyl beantragen können dürfen sollen, aber kein Recht haben, sich auszusuchen, wo. Das reibt sich mit den Interessen der Migranten, die sehr konkreter Vorstellungen davon haben, wohin sie wollen, und denen es gerade nicht egal ist, ob sie z.B. in Deutschland oder Bulgarien landen. Es scheint nach manchen Angaben, dass erste Hilfsangebote der griechischen Küstenwache abgelehnt wurden, weil man sich von der Reise nach Italien mehr versprach.Wenn es diesen Menschen um Asyl in der EU wegen Verfolgung gegangen wäre, hätten sie gleich nach Griechenland gehen sollen. Dort bekommen allerdings m.W. anerkannte Asylberechtigte gleich viel Unterstützung wie Griechen, die nie in die Sozialversicherung eingezahlt haben, nämlich nichts.
Wer der Meinung ist, dass Deutschland potenziell unendlich viele Migranten aufnehmen soll, soll das sagen, aber nicht auf die “EU” schimpfen. Die EU könnte im Extremfall Polen zwingen, einen Migranten zu beherbergen, sie kann ihn aber nicht hindern, nach Deutschland weiterzureisen und dort wieder einen Antrag zustellen.
ebo
17. Juni 2023 @ 11:07
Sie haben Recht, so will es das Dublin-Verfahren. Es hat aber noch nie richtig funktioniert – und die dringend nötige Reform ist im aktuellen Asylkompromiss nicht vorgesehen.
Deutschland spielt dabei eine unglückliche und für die EU unvorteilhafte Rolle. Denn zum einen hat es sich zum Magneten für Aslybewerber und ihre Verwandten entwickelt – zum anderen braucht es dringend Migranten für den Arbeitsmarkt. Auch Polen ist ein Problemfall – mit sehr vielen Flüchtlingen aus der Ukraine – aber null Bereitschaft, die Last mit anderen zu teilen. So stehen sowohol Berlin als auch Warschau auf der Bremse, wenn es um eine echte REform der Asyl- und Flüchtlingspolitik geht.
Annette Hauschild
17. Juni 2023 @ 07:36
Eine Trauer Feier wäre eh pure Heuchelei
B. Weber
17. Juni 2023 @ 06:43
Wegschauen und Ignorieren ist der Sinn des Ganzen. Dazu dienen doch Ungeziefervernichtung mit dem Frontbereinigungsmittel FRONT-EX und „Verschärfen“ (!) des „harten Asylregimes“. Das Asylrecht ist kein Recht (mehr), sondern eine verschärfte Waffe gegen Asylsuchende. Nach dem WK II war es mal ein Willkommensrecht für meist antikommunistische Flüchtlinge aus dem „Ostblock“ und anderen „Diktaturen“ und zugleich eine propagandistische Waffe des „freien Westens“ gegen die Unrechts-Herkunftsländer . Wie ich schon öfter (hier) bemerkt habe, verwandelt sich die EU in ein umzäuntes invertiertes christlich-abendländisches KZ mit bewachten Grenzen, sodaß die KZ-Leichen nicht mehr moralisch unsauber und historisch belastend im Inneren der EU anfallen, sondern unbemerkt Außen, in den Lagern Nordafrikas oder im tiefen Wassergraben, der Europa von Afrika und Orient trennt, als unverschuldete Unfälle.
KK
16. Juni 2023 @ 13:20
“Schaut auf diese Werte!”
(In Abwandlung eines Zitats von Ernst Reuter)