Berlin ringt um Schuldenbremse, Brüssel setzt Regeln weiter aus
Was wird aus den gewaltigen Schuldenbergen, die Deutschland und die EU in der Coronakrise angehäuft haben? In Berlin wird der Ruf nach der alten Schuldenbremse laut – doch Brüssel setzt die EU-Defizitregeln weiter aus.
Vor der Krise galt in der EU eine Obergrenze für die Schulden von 60 Prozent des BIP. Sie wird nun erneut brutal gerissen – im laufenden Jahr dürfte der Schuldenstand auf 102,4 Prozent des BIP anwachsen, heißt es in der neuen Konjunkturprognose der EU-Kommission.
Um mehr Spielraum zu verschaffen, setzt Brüssel die Haushaltsregeln für die Staaten der Währungsunion noch länger aus – bis Ende 2022. Ursprünglich sollten sie schon Ende dieses Jahres wieder in Kraft treten. Doch die Dauer-Lockdowns haben tiefe Löcher in die Kassen gerissen.
Letztlich zahlt die EU den Preis für ihre verfehlte Coronapolitik. Die schleppende Impfkampagne hat Dutzende Milliarden gekostet. Auch Deutschland steht schlechter da als erwartet. Im größten EU-Land ist das Wachstum im 1. Quartal eingebrochen. Die “Bundesnotbremse” dämpft weiter.
In Berlin ist nun auch noch Streit um die alte Schuldenbremse entbrannt. Die ehemaligen Kanzlerkandidaten Stoiber und Steinbrück, aber auch der frühere EU-Kommissar Oettinger fordern die Rückkehr zu strengen Regeln – nicht nur in Deutschland, sondern auch in der EU.
Um die Eurozone zukunftsfähig zu gestalten, sei “ein funktionierendes regelbasiertes, kontrollier- und sanktionierbares Regelwerk notwendig”, heißt es in einem Appell der Ehemaligen. Deutschland müsse die anderen EU-Staaten zu einer “Reformagenda” verpflichten.
Das trifft auf Widerspruch im Europaparlament. “Eine Rückkehr zur Kürzungspolitik im Herbst wäre Gift für die EU”, warnt der grüne Haushaltspolitiker R. Andresen. Er macht sich Sorgen, dass die Weichen nach der Bundestagswahl neu gestellt werden könnten – in Berlin und Brüssel.
Die Bundestagswahl wird entscheidend
In der Tat kommt der deutschen Wahl eine zentrale Rolle bei. Sie wird zwar nicht direkt über die künftigen Schuldenregeln entscheiden – wohl aber über das Schicksal des Corona–Aufbaufonds “Next Generation EU”, für die auch die EU Schulden aufnimmt.
Der konservative Mainstream will ihn so schnell wie möglich auslaufen lassen. Wenn sich die Hardliner durchsetzen, werden wir in ein paar Jahren einen harten Verteilungskampf erleben. Er könnte die EU zerreißen.
Mit der “Next Generation EU” und der Aussetzung der Schuldenregeln wurde nur Zeit gekauft, wie so oft…
Josef Berchtold
13. Mai 2021 @ 12:08
Für die Staatsanleihen, die die EZB gekauft hat, kann man die Rückzahlungsverpflichtung aussetzen, man muss es nur wollen. Am Fälligkeitstag verlängert man einfach die Laufzeit. Zinsen fallen ohnehin nicht an. Das lächerlich kurze Leben des Menschen gilt nicht für Staaten. Deshalb könnten Staaten ihre Schulden lange nicht zurückzahlen und an Ende entwertet auch eine milde Inflation von 2 % jährlich einen 100-Euro-Bond auf am Ende noch 13,26 Euro, nominal.
Kleopatra
15. Mai 2021 @ 08:14
Diese Vorgehensweise würde darauf hinauslaufen, dass die EZB den EU-Mitgliedstaaten Kredite gewährt, was sie nicht darf – sie darf lediglich umlaufende Staatsanleihen kaufen, agiert dabei aber theoretisch ähnlich wie ein anderer Anleger, der natürlich keinen Grund hat, die Rückzahlung endlos zu stunden.
Eine solche fundamentale Änderung des EZB-Mandats durch die Hintertür würde letztlich die kühnsten Unterstellungen über die Währungsunion nachträglich bestätigen. Und generell ist es gefährlich, auf diese Weise fundamentale Änderungen durch die Hintertür einzuführen, weil das das Vertrauen der Allgemeinheit in die EU untergräbt.