Aufgelesen: Die Rückkehr der Austerität
In Brüssel hat die Urlaubszeit begonnen. Wir nutzen das „Sommerloch“, um lesenswerte Beiträge anderer Blogs und Medien zu präsentieren. Heute ein Beitrag zur Rückkehr der Austerität.
Die EU-Finanzminister haben eine Rückkehr zu den Schuldenregeln des Maastricht-Vertrags angekündigt. Wie passt das zu den enormen Kosten, die der “Green Deal” und der geplante Beitritt der Ukraine bringt, fragt Wolfgang Münchau:
Sollte die Ukraine der EU beitreten, würde sie zum größten Nettoempfänger von EU-Mitteln werden und die derzeitigen Empfänger, meist aus Ost- und Südeuropa, verdrängen. Deutschlands Nettobeiträge, die bereits jetzt am höchsten sind, würden stark ansteigen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie dies möglich sein soll, sobald die Haushaltszwänge wieder greifen.
Die EU könnte auf Finanzzauberei zurückgreifen. Sie ist ein Meister in der dunklen Kunst der Steuerverschleierung. Aber auch hier gibt es Grenzen. Die EU könnte eine Wiederaufbaufazilität für die Ukraine einrichten, ähnlich dem Wiederaufbaufonds, den sie zu Beginn der Pandemie eingerichtet hat. Dieser Mechanismus wurde jedoch als einmalig verkauft und wird nicht von allen unterstützt. Die EU könnte versuchen, internationale Institutionen und den Privatsektor einzubinden. Sie könnte die eingefrorenen russischen Vermögenswerte – etwa 200 Milliarden Euro an Zentralbankreserven – umleiten. Dies ist jedoch rechtlich problematisch und könnte dazu führen, dass internationale Investoren die Eurozone meiden. Es gibt keine einfachen Entscheidungen. Der Großteil der Finanzierung des Wiederaufbaus muss von den nationalen Regierungen garantiert werden, und alles erfordert Einstimmigkeit. Das ist der Engpass.
Die Kombination aus Sparmaßnahmen und konkurrierendem Finanzierungsbedarf macht mich skeptisch gegenüber allen unausgegorenen großen Vorschlägen – wie etwa einer groß angelegten finanziellen Unterstützung für die Ukraine oder einer europäischen Armee. Die große Frage ist nicht, ob dies gute Ideen sind. Ich glaube, sie sind es. Ich kann nur nicht erkennen, wie man eine politische Mehrheit dafür organisieren und trotzdem all das tun kann, was für das Funktionieren der EU notwendig ist, und noch einiges mehr.
Austerität hat viele wirtschaftliche Folgen, aber die politischen Nebenwirkungen sind absolut giftig. Unsere Defizite sind heute viel höher als damals, wir haben eine hohe Inflation, die extreme Rechte ist viel stärker geworden, und die EU hat sich bereits auf eine teure grüne Agenda festgelegt. All dies schränkt die außenpolitischen Möglichkeiten der EU gerade zu einem Zeitpunkt ein, an dem die EU beginnt, ihre geopolitische Rolle zu entdecken.
Die Rechnung geht einfach nicht auf. Wir stoßen an die Grenzen dessen, was eine dezentralisierte, auf Regeln basierende EU leisten kann.
Die gesamte Kolumne steht auf “EuroIntelligence”
Helmut Höft
28. Juli 2023 @ 11:45
Nachtrag zum Thema:
Sparen um jeden Preis Lindners Sparpläne für 2024 stehen, abgesichert durch die Richtlinienkompetenz des Kanzlers. Entgegen keynesianischer Binsen sowie Warnungen liberaler und arbeitgebernaher Ökonomen spart die Regierung in eine Rezession hinein. siehe hier:
https://makroskop.eu/25-2023/zahlen-lugen-nicht/
Helmut Höft
28. Juli 2023 @ 11:30
Deutschlands Nettobeiträge, die bereits jetzt am höchsten sind, würden stark ansteigen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie dies möglich sein soll, sobald die Haushaltszwänge wieder greifen. … Austerität hat viele wirtschaftliche Folgen, aber die politischen Nebenwirkungen sind absolut giftig. Wer mehr dazu wissen will, der schaue ins UK – Armutsquote dort ~25 %, wie sind erst beu ~16%; alles gut?
Naja, wenn man seinen Blick von der Neoklassik (aka “Mehnschtriem”) abwendet und sich den heterodoxen Ökonomen zuwendet (z. B. L. Randall Wray, siehe hier: https://buchfindr.de/buecher/modern-money-theory-wray-l-randall/ das ganze Buch, v.a. Kapitel 4 und 5 zum Thema hier), dann könnte man Wege finden; das eine Instrument, die EZB, hätten wir dann schon, alles andere fehlt, Resultat: Der €uro ist für die EWU-Teilnehmer in der Funktion wie eine Fremdwährung! 🙁
Folgt man weiterhin dem Mainstream, landet man natürlich im off. Beleg? Einfach aus dem Fenster gucken!, noch ‘n Beleg? Als Beispiel Kenneth Rogoff https://de.wikipedia.org/wiki/Kenneth_S._Rogoff#Fehlerhafte_Berechnungen_f%C3%BCr_Growth_in_a_time_of_debt
Btw.: Rogoff wartet auf den sog. “Wirtschafts_Nobel_Preis” Meine Bitte: Gebt diesen Chargen besser ‘ne Portion Haue!
Arthur Dent
27. Juli 2023 @ 23:45
Wirtschaftsbeziehungen sind immer zweiseitig, der Verkauf des Einen ist immer der Kauf des Anderen. Daraus ergeben sich drei Kern-Lehrsätze:
a) Einnahmen = Ausgaben
Die Ausgabe des Einen ist immer zwingend die Einnahme des Anderen.
b) Geldforderungen = Geldschulden
Eine Ökonomie kann durch das Sparen von Geld nicht reicher werden. Die Summe aller Geldvermögen und Schulden ist immer Null. Die Höhe der Geldvermögen bestimmt immer die Höhe der Schulden.
c) Einnahmeüberschuss eines Sektors der Volkswirtschaft = Ausgabenüberschuss der anderen Sektoren. (Sektoren der Volkswirtschaft sind private Haushalte, Unternehmen, die öffentliche Hand, das Ausland).
Sobald alle Sektoren einer Ökonomie konsequent und unbeirrbar versuchen würden, weniger auszugeben als sie einnehmen, würde die Ökonomie sofort zum Stillstand kommen = Sparparadoxon.
Unter Berücksichtigung der Saldenmechanik führt vermehrtes Geldsparen der Einen nicht zu mehr Investitionen, sondern im Gegenteil zu einem erheblichen Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität und zu erhöhtem Nachfrageausfall, wenn nicht durch entsprechende Schuldenaufnahme anderer gegengesteuert wird.
Wenn nun allen Ländern, in denen die Staatsverschuldung in den letzten Jahren stark angestiegen ist, eine Rückführung dieser Verschuldung nahegelegt wird, so wäre es sinnvoll zu fragen, wer denn eigentlich die Gegenbuchung übernehmen soll.
(aus Volkswirtschaftliche Saldenmechanik – von Wolfgang Stützel)
Sparprogramme laufen eigentlich wie folgt ab:
Mit dem Versprechen Schulden abzubauen wurden zu Lasten der Armen und der Bevölkerungsmehrheit Sozialausgaben gestrichen und öffentliche Güter privatisiert, während Unternehmen und Vermögende von missliebigen politischen Maßnahmen verschont blieben. In der Praxis waren am Ende solcher Maßnahmen die Schulden höher als davor, was häufig zu einer Verschärfung der Sparprogramme führt.
Die Schuldenbremse ist ein Signal an die Finanzanleger, es wird um deren „Vertrauen“ geworben. Ökonomisch ist die Schuldenbremse ein Unding – wird dem Staat (in der Krise) die Schuldenaufnahme verboten, droht ein „Griechenland-Szenario“. Die Wirtschaftsleistung sinkt, die Steuereinnahmen schumpfen, der Staat spart hinterher, die Wirtschatsleistung sinkt weiter… (Abwärtsspirale). Letztlich ist sie ein Instrument, in die Staatshaushalte anderer Länder hineinzuregieren – andere EU-Staaten auf das Programm „Wettbewerbsfähigkeit“ festzulegen. Dafür müssen halt die Löhne sinken, damit sinkt deren Anteil am Gesamteinkommen, d.h. für die Unternehmer, bzw. für die Investoren bleibt mehr vom Kuchen übrig.
Schuldenbremse ist Klassenkampf!
KK
27. Juli 2023 @ 19:13
@ Stef:
“Dass dies erkennbar nicht passiert, führt doch zu dem zwingenden Schluss, dass es für Verfechter der Austerität eben gute und schlechte Staatsschulden gibt”
Und die “besten” Staatsschulden nennt man jetzt einfach “Sondervermögen”… das wäre wieder die Gelegenheit, das Pippi-Langstrumpf-Lied anzustimmen.
Stef
27. Juli 2023 @ 16:19
Wie oft kommt noch die erstaunte Feststellung, dass der austeritätsbedingte Sparzwang zu zunehmender Konkurrenz betreffend der knapper werden Haushaltsmittel führt? Das war noch nie die unbeabsichtigte oder „giftige“ Nebenwirkung der Schuldenbremse, es war schon immer ihr eigentlicher Zweck. Zugegebenermaßen, es war und ist der unausgesprochene Zweck.
Selbst für eingefleischte Neoliberale sind die Schulden eines Staates nicht per se schlecht, insbesondere wenn ohnehin gutsituierte Private (z.B. die Gläubiger der Staatsschulden) gut daran verdienen. Die Probleme beginnen für Neoliberale erst mit der Verwendung von Steuermitteln für Zwecke, die weniger den Eliten als der breiten Masse oder gar den hilfsbedürftigen Teilen der Gesellschaft dienen. Diese Geldausgaben sind aus neoliberaler Sicht unproduktiv und auf ein Minimum zu begrenzen. Die Schuldenbremse soll diese Sektoren staatlicher Haushaltstätigkeit unter permanenten Kürzungsdruck und Rechtfertigungszwang stellen und dadurch die Mittelverwendung in diesen Bereichen reduzieren.
Würde es bei der Schuldenbremse im Rahmen der Austeritätspolitik wirklich um die nachhaltige Begrenzung von staatlichen Schulden gehen, müssten insbesondere die Neoliberalen bei schuldenfinanzierten Sonderausgabenprogrammen wie der „100 Mrd. Zeitenwende Militärausgaben“ oder Rettungsschirmen für Banken auf die Barrikaden gehen. Das sind Schuldenaufnahmen, die die Dimensionen „normaler“ staatlicher Schuldenaufnahme tatsächlich komplett sprengen und damit den erbitterten Widerstand echter „Schuldenbegrenzer“ verlangen. Theoretisch.
Dass dies erkennbar nicht passiert, führt doch zu dem zwingenden Schluss, dass es für Verfechter der Austerität eben gute und schlechte Staatsschulden gibt, je nach dem Zweck der Mittelverwendung. Von daher stoßen wir gemäß Münchau weniger an Grenzen, was eine auf Regeln basierte EU leisten kann, sondern vielmehr an die ideologischen und analytischen Grenzen des hier wiedergegebenen Autors.