Anmerkungen zum Haftbefehl gegen Putin
Der Internationale Strafgerichtshof hat einen Haftbefehl gegen Russlands Präsident Putin ausgestellt. Warum gegen Putin und nicht gegen den früheren US-Präsidenten Bush, der vor 20 Jahren den Irakkrieg befahl? Warum wegen der Deportation von Kindern, und nicht wegen der Gräuel von Butscha?
Diese Fragen drängen sich geradezu auf, wenn man sich mit dem ICC beschäftigt. Schließlich war der Staatsanwalt am Strafgerichtshof, Karim Khan, bei seinen Ermittlungen drei Mal persönlich in der Ukraine, unter anderem in der Region Kiew, wo es in Butscha ein Massaker gab.
Doch ausgerechnet Butscha spielt in dem Haftbefehl keine Rolle. Hat Kahn vor Ort nicht genug Beweise gefunden? Warum stellt er die Kinder ins Zentrum der Ermittlungen, wo doch Millionen Frauen und Kinder aus der Ukraine flüchten konnten und in Sicherheit sind? Warum betrachtet er nicht “the big picture”?
Diese Fragen stellt auch der “Verfassungsblog”. “Ein kleiner Ausschnitt der Geschehnisse im Ukraine-Krieg genügt dem ICC, um ein Strafverfahren zu starten”, schreibt Dr. Robert Frau. “Es geht nicht um Verbrechen gegen die Menschlichkeit und nicht um den Vorwurf des Völkermordes.”
Das passt zur bisherigen Arbeit Khans. Offenbar geht der Brite sehr selektiv vor. So hat er sich bei seinen Ermittlungen im Irak 2021 ausschließlich auf die Gräueltaten des “IS” konzentriert. Die Verbrechen der USA und ihrer Alliierten waren von vornherein kein Thema.
Auch in Afghanistan konzentrierte sich Khan auf die Gegner des Westens – die Taliban. Nach einem Bericht von “The Intercept” wurden die Verbrechen der USA und der Nato gezielt ausgeblendet. Diese wurden “entpriorisiert”, also unter den Tisch gekehrt – auf Druck der USA.
Die USA üben auch jetzt wieder Pressionen aus. US-Präsident Biden hat den Haftbefehl gegen Putin zwar begrüßt. Doch Washington will Den Haag nicht aktiv unterstützen – offenbar aus Sorge, den Gerichtshof so indirekt anzuerkennen. Die Beweise dürften denn auch vor allem aus Kiew kommen.
Auch die EU ist erstaunlich zurückhaltend. In einem Entwurf für den EU-Gipfel nehmen die Staats- und Regierungschefs lediglich den Haftbefehl “zur Kenntnis”. Das ist fast schon eine Beleidigung – angesichts der Vehemenz, mit der die EU sonst die Bestrafung aller (russischen) Kriegsverbrecher fordert.
Der Grund liegt auf der Hand: Die EUropäer wollen Putin nicht “nur” wegen “einfacher” Kriegsverbrechen hinter Gitter bringen – sondern wegen Angriffskrieg, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Da der ICC für Angriffskriege nicht zuständig ist, planen sie ein Sondertribunal.
Ein eigenes “International Centre for Prosecution of the Crime of Aggression against Ukraine (ICPA)” wird derzeit in Den Haag aufgebaut, sehr zum Mißfallen des ICC. Der Strafgerichtshof bekommt Konkurrenz und sah sich wohl auch deshalb genötig, schnell gegen Putin vorzugehen…
Juristisch umstritten, praktisch nutzlos
Und was bringt nun der Haftbefehl? Juristisch ist er höchst umstritten: Normalerweise gelten Präsidenten als immun – jedenfalls, so lange sie im Amt sind. Und praktisch dürfte er nichts bewirken. Selbst in Brüssel und Berlin rechnet niemand damit, dass Putin tatsächlich verhaftet wird.
Letztlich hat das Urteil vor allem symbolische Bedeutung. Es zeigt, dass der Westen es ernst meint und Putin an den Kragen will. Gleichzeitig unterstreicht es noch einmal, dass der ICC auf einem Auge blind ist.
Verfolgt wird nur, wer den Interessen der USA und der EU schadet. Alle anderen werden geschont – wie in Irak und Afghanistan. Mr. Kahn hat, unter Leitung des polnischen Gerichtspräsidenten Piotr Hofmanski, ganze Arbeit geleistet…
Mehr zum ICC hier
P.S. Der Generalbundesanwalt wird nicht wegen möglicher Kriegsverbrechen im Irak ermitteln, meldet die “Berliner Zeitung”. Warum wundert mich das gar nicht mehr? Weil wir es hier mit westlicher Doppelmoral zu tun haben, wie es auch in der Phoenix-Runde hieß!
european
24. März 2023 @ 07:38
Ungarn hat sich positioniert. Sie werden Putin trotz Haftbefehl nicht festnehmen.
Ich vermute, dass sich mehr Länder dieser Ansicht anschließen werden.
Helmut Höft
22. März 2023 @ 09:34
Gleichzeitig unterstreicht es noch einmal, dass der ICC auf einem Auge blind ist. „Unser“ Gerichtshof, auf einem Auge blind? *tststs* Wer hätte das gedacht?
Thomas Damrau
22. März 2023 @ 08:55
@european
Danke für den Hinweis.
Wenn man das abgereicherte Uran nicht in einem Krieg in fernen Ländern verschießt, muss man es für viel Geld im eigenen Land sicher lagern, um gesundheitliche Schäden bei der eigenen Bevölkerung zu vermeiden.
So gesehen ist die Verklappung in ukrainischer Erde doch ein grandioser Lösungsbeitrag zum Thema “Endlagerung von Atommüll”.
Thomas Damrau
22. März 2023 @ 07:17
Der ICC war schon immer – insbesondere in Afrika – umstritten, weil er gerne gegen Autokraten außerhalb des „Wertewesten“ ermittelt hat und auf der anderen Seite konsequent über die Schweinereien des Wertewesten hinweggesehen hat. Das ist in vielen Ländern des Südens als Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln wahrgenommen worden.
Seltsam war auch die Reaktion des ukrainischen Generalanwalts ( https://www.deutschlandfunk.de/historische-entscheidung-reaktionen-ukraine-auf-putin-haftbefehl-dlf-650cc313-100.html , 0:50 ). Bei mir entsteht ein seltsames Gefühl, wenn das mutmaßliche Opfer einer Straftat den Ankläger als seinen Freund bezeichnet.
european
22. März 2023 @ 07:16
Großbritannien liefert Uranmunition in die Ukraine:https://responsiblestatecraft.org/2023/03/21/uk-to-send-controversial-depleted-uranium-rounds-to-ukraine/
Die Folgen dieses abgereicherten Urans, dieser „harmlosen“ und schlagkräftigen Waffe kann man in Frieder Wagner’s Todesstaub sehen, eine Dokumentation über die verheerenden Wirkungen dieser Uranmunition im Irak, die hohen Sterbezahlen und Missbildungen von Kindern, Totgeburten uvm., an den enormen Zahlen von Brustkrebs und Lungenkrebs im Kosovo, an der Zahl der verstorbenen US-Soldaten, die im Golf-Krieg damit gekämpft haben, ohne es zu wissen.
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/europa/50297_Kosovo-wurde-zum-kleinen-Hiroshima.html
https://www.aljazeera.com/features/2013/3/15/iraq-wars-legacy-of-cancer
Hier zur Doku „Todesstaub“ – https://youtu.be/kLuR8UGco6k
Abgesehen davon, dass dann damit das Land für die ukrainischen Bewohner nicht nur unbrauchbar, sondern gefährlich wird. Die Erfahrungen und Statistiken aus den anderen Ländern zeigen das. Das Land wird dann damit auch kein Weizenlieferant mehr sein können, denn dieser feine Staub legt sich auf alles und bleibt im Boden. Es ist alles kontaminiert.
KK
21. März 2023 @ 18:08
@ european:
„Sollte sie [Ursula von der Leyen] ihn nicht wieder bekommen, winkt mit Sicherheit irgend ein Posten…. Die USA werden sich erkenntlich zeigen, dass sie Europa verraten hat.“
Erkenntlich zeigen könnten sich die USA bei ihren willfährigen Exekutoren in EUropa – nicht nur vdL, da stehen sicher einige mehr noch auf der Liste, die mehrere Großraumjets füllen würden – doch am einfachsten dergestalt, dass sie ihnen und deren Familien ein sicheres und schmuckes Domizil nebst Auskommen in den USA zur Verfügung stellen, wenn erst in EUropa der (Atom-)Krieg tobt…
KK
21. März 2023 @ 17:51
“Warum wegen der Deportation von Kindern, und nicht wegen der Gräuel von Butscha?”
1. Weil die “Deportation von Kindern” kein belegtes Spiegelbild mit westlichen Tätern erzeugt, mit dem gleichzeitig auch die USA oder andere NAhTOd-Staaten am Pranger stünden.
2. Putin ist wohl auch keine Anordnung nachzuweisen, die andere Kriegsverbrechen als eben die auf die Kinder bezogenen beträfe. Nicht jede Kriegshandlung ist per se ein Kriegsverbrechen, und m.W. hat Putin niemals öffentlich eine Order im Sinne von “Gehet hin und vergewaltigt und völkermordet!” ausgegeben.
3. Weil in Butscha und anderen Orten der Ukraine mutmasslich nicht nur Russen Täter waren; ukrainische Täter sollen aber geschont werden, da darf man natürlich nicht zu tief buddeln, nachher kommen zu viele weisse Armbinden an den Leichen ins Blickfeld. Denn wenn man die Kriegsverbrechen der falschen Täter aufdeckt, läuft man womöglich wie Julian Assange Gefahr, ebenfalls in Belmarsh oder einem anderen Knast zu versauern. Wer möchte das schon?
Es ist ein zynisches Possenspiel.
european
21. März 2023 @ 17:48
Wenigstens hier werden diese Fragen regelmaessig gestellt. Auf anderen Portalen, wie Telepolis, nur manchmal. Bei den meisten nie.
Vielleicht kann man mal herausarbeiten, wieviele Eigeninteresen sich unter dem Schirm „Ukraine“ verbergen? Ursula von der Leyen will ihren Posten wieder haben und die Ukraine ist ein gemeinsamer Nenner. Sollte sie ihn nicht wieder bekommen, winkt mit Sicherheit irgend ein Posten in einem neokonservativen ThinkTank oder aber bei der UN. Die USA werden sich erkenntlich zeigen, dass sie Europa verraten hat. Polen hat grosse wirtschaftliche Schwierigkeiten und in diesem Jahr Wahlen. Der deutsche Bundeskanzler wird m.E. nach erpresst (wirecard oder CumEx oder irgend eine andere Schweinerei von der wir nichts wissen). Die Aussenministerin ist als Absolventin des YL Programm des WEF anerkanntes Sprachrohr der USA und plappert auch brav alles nach, damit es nach diesem Posten noch einen naechstem Posten in diesem korrupten Konstrukt gibt. Die Interessen der USA liegen auf der Hand, es geht um die Weltmacht und die Unipolaritaet sowie die Zerschlagung Russlands und die Verteilung des Baerenfells. UK hat nach dem Brexit noch nicht wieder einen Platz in dieser Welt gefunden und weiss nicht wohin mit sich. Die Schweden koennen mit ihrer Minderheitsregierung ohne die EU-skeptischen Schwedendemokraten nahezu nichts machen. Da kommt so ein gemeinsamer „Feind Putin“ gerade recht.
Das ist das, was mir so spontan einfaellt. Politisch wirklich bewanderte werden noch viel mehr dazu finden.
Es gab irgendwann mal einen Hercule Poirot Film. Den Namen weiss ich nicht mehr. Er spielte in einem Hotel. Es geschah ein Mord und wirklich jeder der Gaeste hatte einen triftigen Grund.
So kommt mir das vor. Keine wirkliche Gemeinsamkeit, aber einen gemeinsam konstruierten Feind.
ebo
21. März 2023 @ 18:12
Zwischendurch war mal von einem Chef-Posten in der Nato die Rede. Würde passen…
KK
21. März 2023 @ 17:36
@ Hekla:
„Wir leben am Beginn einer fürchterlichen Dystopie (oder schon mittendrin?)“
Mittendrin – und so langsam fürchte ich, seit 1914 war die nie wirklich weg!
Hekla
21. März 2023 @ 17:26
Damit geht auch der IStGH den Weg der EU: ein absolut redlicher Gründungsgedanke mutiert zum Instrument zur Durchsetzung unredlicher politischer Ziele eines Drittstaates (der weder den IStGH erkennt noch EU-Mitglied ist, also in jeder Hinsicht eine fremde Macht ist).
Wir leben am Beginn einer fürchterlichen Dystopie (oder schon mittendrin?), in der alles, was einen höheren menschlichen, zivilisatorischen Wert hatte, genau von denjenigen zerstört wird, deren verdammte Pflicht es eigentlich ist, es zu schützen. Europa und seine Werte werden nicht von Putin entwertet und zerstört, sondern von Leuten wie Khan oder von der Leyen.
MarMo
21. März 2023 @ 22:34
Gut auf den Punkt gebracht!
Herbert Kranz
21. März 2023 @ 16:50
Inzwischen erkennt doch jeder den Schwachsinn aus Brüssel. Was soll denn der Quatsch hinter dem Misthaufen der EU? Die USA wissen schon warum sie diesen Laden nicht anerkennen…