Afghanistan, Indopazifik – und nun die Ukraine? Die Woche der Wahrheit
Mehrere EU-Politiker haben Russland und die USA davor gewarnt, im Ukraine-Konflikt allein zu entscheiden. Doch in der Woche der Wahrheit spielt die EU kaum eine Rolle. Ein US-Alleingang wäre keine Premiere.
Der SPD-Außenexperte Michael Roth hat Russland und die USA davor gewarnt, Entscheidungen über die Köpfe der Europäer hinweg zu treffen. “Wir leben nicht mehr im 20. Jahrhundert, wo man sich die Welt aufteilen kann in eine russische und eine amerikanische Einflusssphäre”, sagte der Vorsitzende des Außenausschusses im Bundestag.
Ähnlich hat sich auch schon der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell geäußert. Auch er fordert einen Platz am Verhandlungstisch – und warnt vor einem “Yalta 2”. Auch Russland werde mit der EU reden müssen, so der Spanier. Seine letzte Reise nach Moskau vor einem Jahr war allerdings ein Desaster – Borrell wurde regelrecht vorgeführt.
Und es sind auch nicht nur die Russen, die die Europäer gering achten. Die Amerikaner sind nicht besser – auch wenn US-Präsident Joe Biden beteuert, er werde nichts ohne seine europäischen Alliierten entscheiden. Die Erfahrung der letzten Monate spricht eine andere Sprache.
Erst hat Biden den Nato-Einsatz in Afghanistan beendet – ohne Konsultationen und ohne die nötigen Sicherheitsmaßnahmen, etwa in der Hauptstadt Kabul. So waren tausende Europäer und afghanische Hilfskräfte über Nacht der Gewalt der Taliban ausgesetzt, der Abzug geriet zur Flucht.
Dann hat er eine neue Allianz im Indopazifik geschiedet – mit den aus der EU ausgeschiedenen Briten, aber ohne die ebenfalls in der Region engagierten Franzosen. Dies führte sogar zu einem diplomatischen Eklat zwischen Paris und Washington, auch in Brüssel war man not amused.
Vor diesem Hintergrund ist schwer verständlich, wieso die EU-Politiker sich schon wieder den Amerikanern in die Arme werfen – und warum sie keine eigenen Treffen mit Russland organisieren. Wo bleibt der EU-Russland-Gipfel, den Deutschland und Frankreich im letzten Jahr vorgeschlagen haben?
Warum gibt es nicht wenigstens eine Abstimmung der europäischen Nato-Mitglieder? Seit Jahren wir über eine “europäische Säule” in der Militärallainz geredet, der französische EU-Vorsitz fordert “europäische Souveränität”. Doch nun, da es darauf ankommt, passiert – nichts!
Und wieso lässt sich die EU für die Zwecke der USA und der Nato einspannen? Brüssel droht nun mit wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen, die nicht nur Russland, sondern auch EUropa ins Mark treffen würden. Und das nur, weil die Nato die Ukraine weder aufnehmen noch verteidigen will…
Siehe auch “Nato sagt Nein zu Moskau – und zu Kiew”
Udo Link
11. Januar 2022 @ 12:23
Erst im September gaben Biden und Macron ein gemeinsames Kommuniqué heraus,
worin “die strategische Bedeutung des französischen und europäischen Engagements im Indopazifik”
(der Region, die sich in Washingtons Geopolitik von der Westküste der Vereinigten Staaten bis zu der Indiens erstreckt) erläutert wird.
Und im Oktober fand in Brüssel das Treffen der 30 Verteidigungsminister statt.
Es hat einen “Innovationsfonds” mit einer ersten Zuweisung von 1 Milliarde Euro geschaffen, der von 17 europäischen Ländern, aber nicht von den Vereinigten Staaten, für die Entwicklung der fortschrittlichsten Technologien für den Kriegseinsatz gezahlt werden soll.
Das Treffen beschloss, “die Geschwindigkeit und Effizienz unserer nuklearen Abschreckung zu verbessern”, d.h. die Stationierung neuer Atomwaffen in Europa,
natürlich mit der Motivation, sich gegen die “wachsende Raketenbedrohung durch Russland ” zu verteidigen.
Die Bedeutung der Botschaft ist klar und Russland wiederum betrachtet diese Länder als Bedrohungsquelle und ergreift nun auch Gegenmaßnahmen.
Die Botschaft wurde wie üblich von unserer Regierung und unserem Parlament ignoriert, und natürlich auch von den Medien.
Der Warschauer Pakt ist aufgelöst , die NATO existiert weiter und steht unmittelbar vor Russland. Mit ehemaligen Mitgliedern des WV . Die USA sind 2011 zum ersten Mal auf eigenem Territorium ( mit 3000 Toten) getroffen worden und sind in ein nationales Trauma verfallen.
Russland mit 127 Millionen Toten verweigert man die Sorge um die eigene Sicherheit?
Zur Erinnerung , NACH 1945 initiierte und führte die USA mehr als 150 Putsche ,Interventionen und Kriege! Mit mehr als 6 Millionen Toten und unzählig vielen entwurzelten Menschen. Für deren letzte darf Deutschland Nachkriegsfürsorge leisten. Es reicht!
US-Militäreinsätze und Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/USA/kriege.html
Seit 1945 sechs Millionen Tote in US-Kriegen
https://www.journal21.ch/artikel/seit-1945-sechs-millionen-tote-us-kriegen
Die inneren Widersprüche der USA mit Spaltung der Gesellschaft und Überschuldung brauchen ein Ventil . Die Vereinigten
Staaten werden von niemandem bedroht, sie brechen von innen heraus zusammen. Um ihre Vormundschaft über ihre Verbündeten aufrechtzuerhalten,
braucht man nach bewährtem Rezept, äußere Feinde.
Scheinbar vergessen:
Kein Land in Europa kann heute sicherer sein als der mögliche Gegner.
Jeder muss also schon im eigenen Interesse Mitverantwortung übernehmen für die Sicherheit des anderen.
Darauf beruht das Prinzip gemeinsamer Sicherheit. Es verlangt, dass jede Seite der anderen Existenzberechtigung und Friedensfähigkeit zubilligt.
Willy Brandts Entspannungspolitik – einst von SPD gestaltet –ist heute verspielt –aber für uns alle in Europa überlebensnotwendig!
Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein, …. Im Innern und nach außen.
Gute Nachbarn von allen, nicht nur von Franzosen, auch von den Polen, auch von den Holländern und den Tschechen, und ja, den Russen.
Michael
12. Januar 2022 @ 10:01
Danke für die klaren Worte!
Udo Link
11. Januar 2022 @ 10:47
Ihren Kommentar teile ich zu hundert Prozent!
Der Zustand unserer Gesellschaft ist zu einem entscheidenden Anteil der Verweigerung der Medien ,ihrem gesellschaftlichem Auftrag der Information und Kontrolle als 4. Instanz nach zu kommen, geschuldet.
Statt dessen Belehrung , Framing und Gendern.
Bereits vor mehr als einem viertel Jahrhundert , genau 1993 schrieb der damalige Bundespräsidenten Richard v. Weizsäcker der Politik in das
Stammbuch geschrieben :
„In der Tat geht der Einfluss (gemeint sind die Parteien, ) weit über den öffentlichen, staatlichen Bereich hinaus.
Er reicht direkt in die Medien und bei der Richterwahl in die Justiz, aber auch in die Kultur und den Sport, in kirchliche Gremien und Universitäten.
Die Parteien haben sich zu einem ungeschriebenen sechsten
Verfassungsorgan entwickelt, das auf die anderen fünf einen immer weiter
gehenden , zum Teil völlig beherrschenden Einfluss entwickelt hat.
Der Hauptaspekt des ,,erlernten” Berufs unserer Politiker besteht in der
Unterstützung dessen, was die Partei will, damit sie einen nominiert,
möglichst weit oben in
den Listen, und in der behutsamen Sicherung ihrer Gefolgschaft , wenn man oben ist.
Man lernt, wie man die Konkurrenz der anderen Parteien abwehrt und sich gegen die Wettbewerber im eigenen Lager durchsetzt.
Doch wo bleibt der politische Wille des Volkes?
In einer Demokratie kommt es auf die gesamte Gesellschaft an, auf ihren Willen,ihre Moral, ihre Einsicht ,ihren Geist…. “.
Ende des Zitats.
Eine geniale Weitsicht unserer gesellschaftlichen Realität ohne Konsequenzen über jahrzehnte mit dem Ergebnis, dass sich immer mehr Menschen dieser Politik versagen.
european
10. Januar 2022 @ 16:10
Ich will’s ja nicht so laut sagen, aber es gab mal kluge Leute auf dieser Welt, die immer noch Recht haben.
Peter Scholl-Latour dazu
Vom arabischen Frühling in den arabischen Winter
https://www.youtube.com/watch?v=XOo-5TzA1wI
Oder hier: Siegen in Afghanistan? Teil 1-5
https://www.youtube.com/watch?v=k8jR09wsqIE
Oder hier die Präsentation seines Buches “Russland im Zangengriff” von 2006 – über das damals schon überholte Modell der NATO, die spätestens seit dem Fall des Warschauer Paktes obsolet geworden war.
https://www.youtube.com/watch?v=JpbTrlCr1IU
Man kann es nur wiederholen. Sämtliche Regime-change Aktivitäten seitens der NATO, respektive der USA, sind ausnahmslos gescheitert. Die Lage ist heute schlimmer als vorher. Die Auswirkungen einschließlich der Flüchtlingsströme lasten auf Europa nicht den USA. Eine kriegerische Auseinandersetzung mit Russland findet in Europa statt. Nicht in USA.
Das heißt nicht, dass man keine wirtschaftlichen und auch freundschaftlichen Beziehungen unterhalten kann, aber manchmal fördert Distanz auch wieder Nähe.
Weiterhin fällt mir auf, dass nur sehr wenige Journalisten, die sich zu Russland, der Ukraine, Kasachstan u.ä. aggressiv und fast schon kriegstrommelnd äußern – tatsächlich auch russisch sprechen. Ich halte das für fatal. Man darf sich nicht nur auf dpa und NGOs verlassen. Gerade letztere verfolgen sehr oft eine eigene Agenda, nicht zuletzt auch, um ihre eigenen Jobs zu erhalten. Neutrale Berichterstattung ist davon nicht zu erwarten, insbesondere wenn die Finanzierung aus dem Westen kommt.
Es gibt einen jungen Journalisten – Nikita Gerassimov, Doktorand der FU Berlin – der auf seinem Twitter-Account sehr interessant berichtet. Teilweise konträr zu dem, was man ansonsten so zu hören und zu sehen bekommt. Auch den letzten Kasachstan-Konflikt hat er sehr genau begleitet und es ist interessant, was man dort von jemandem erfährt, der die Kultur kennt und auch die Landessprache spricht.
Kostas Kipuros
11. Januar 2022 @ 11:14
Danke für den Tipp – habe mich auf dem Twitter-Account von Nikita Gerassimov umgesehen – und finde ihn sehr aufschlussreich, vor allem aufgrund der konkreten Links zu den Auslassungen der RAND Corporation. In politischen Debatten im Bekanntenkreis fällt nämlich immer wieder auf, dass russische Einmischung in andere Länder unhinterfragt als Gegebenheit und Fakt gesetzt ist, wohingegen westliche Einflussnahme stets als russische Propaganda abqualifiziert wird.
european
12. Januar 2022 @ 14:59
Ich sehe das sehr ähnlich. Es brennt einem förmlich die Augen aus, wie sehr hier mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen wird.
Es läuft bestimmt nicht alles richtig in Russland, aber bei uns auch nicht. Was bilden wir uns eigentlich ein?
Peter Scholl-Latour weist in seinen Interviews sehr zu Recht darauf hin, dass Gorbatschow’s Weg mit Glasnost und Perestroika große Teile des Landes in tiefe Armut gestürzt hat. Gut gemeint ist eben nicht unbedingt gut gemacht und manchmal brauchen Länder Zeit für ihre individuelle Entwicklung. Jelzin brachte danach den Ausverkauf Russlands an die Oligarchen und den faktischen Staatsbankrott. Putin hat zumindest wieder so etwas wie Stabilität in dieses Land gebracht.
Wir bekommen aktuell nicht mal 16 Bundesländer politisch unter einen Hut und maßen uns an, über die Politik eines Landes zu urteilen, das über 8 Zeitzonen verfügt und 144 Mio Einwohner hat.