Wann tritt eigentlich Juncker zurück?
Seit Tagen läuft eine bizarre Kampagne gegen EU-Kommissionschef Juncker. Er sehe blass aus und trinke wohl zu viel, heißt es von “Politico” bis “Bild”. Bisher ohne Wirkung – doch nun kommt der Zangengriff.
Auf der einen Seite wird Juncker von den Gegnern des Freihandelsabkommens CETA und nationalen Politikern wie SPD-Chef Gabriel angegriffen – weil Juncker CETA im Alleingang durchboxen will.
Ausgerechnet beim Brexit-Gipfel hat der Luxemburger angekündigt, das er die nationalen Parlamente nicht beteiligen will. “Unglaublich töricht”, schimpft Gabriel über dieses Brüsseler Manöver.
Auf der anderen Seite blasen die Neoliberalen zum Angriff. Ihnen ist die Junckers “politische Kommission” ein Dorn im Auge, weil sie nicht hart genug gegen die “Schuldensünder” durchgreife.
Angeführt werden sie, wie üblich, von Finanzminister Schäuble. Der will gleich die ganze EU-Kommission entmachten und die Budget-Kontrolle einer neuen, “unabhängigen” Behörde übertragen.
Bisher wurde Juncker immer von Kanzlerin Merkel gestützt, die ihn – vor allem seit der Flüchtlingskrise – als treuen, wenn nicht sogar letzten Verbündeten schätzt.
Bleibt die Frage, wann Merkel sich öffentlich hinter Juncker stellt. Danach könnte alles ganz schnell gehen…
S.B.
30. Juni 2016 @ 10:03
Juncker kann offenbar nur auf zwei Wegen entmachtet werden: Durch Ableben oder durch das Ende der EU. Da gibt es keinen Unterschied zur DDR, was bei dem einen oder anderen Bedenken auslösen sollte.
Susanne
29. Juni 2016 @ 18:45
Ja, wenn Merkel Juncker ihr vollstes Vertrauen ausspricht, wird die SPD Schulz vorschlagen. Die Frage der Anschlussverwendung ist noch immer nicht gelöst.
Peter Nemschak
30. Juni 2016 @ 08:25
Es ist gefährlich, sehr gefährlich sogar, wenn Merkel ihr vollstes Vertrauen ausspricht.
kaush
29. Juni 2016 @ 18:40
Bizarr ist die Verweigerung von Juncker, Schulz und Tusk Verantwortung zu übernehmen und sich an ihre Stühle zu klammern.
Insofern kann ich mich dem hier nur anschließen:
“…Doch Juncker kämpft mit Martin Schulz einfach weiter – wie weiland 1989 die letzten Ostkader an den Sieg des Sozialismus glaubten.
Sein politisches Schicksal hängt jetzt am seidenen Faden der Kanzlerin. Sie könnte seinen Rücktritt erzwingen, wartet damit freilich noch, weil sie – so hört man aus dem Kanzleramt – in diesen Tagen die Krise Europas nicht noch weiter verschärfen will.
Möglicherweise aber wäre ein Rücktritt Junckers gar keine Verschlimmerung der Krise, sondern der überfällige, erste Schritt zu ihrer Überwindung hin zu einem glaubwürdigen Neubeginn.
Denn wenn Juncker und Schulz sich weiter durchwurschteln, von neuen Milliardenprogrammen und Vertiefung schwadronieren und an ihren Ämtern kleben bleiben, dann werden die Neo-Nationalisten von Le Pen in Frankreich bis Wilders in Holland und Strache in Österreich weiter Zulauf bekommen und die EU vollends sprengen. Die EU braucht einen Reformprozess raus aus der Juncker-Schulz-Kungelkultur, sie braucht eine Reform an Haupt und Gliedern – mit dem Haupt sollte es jetzt beginnen.”
http://www.theeuropean.de/wolfram-weimer/11096-brexit-erschuettert-europa
hyperlokal
29. Juni 2016 @ 17:02
Nun ja, jetzt bläst der Gabriel die Backen auf, um dann später um so leichter CETA in der großen Koalition nur mit kleinen kosmetischen Änderungen passieren zu lassen. Dem Mann sollte man nirgends und niemals über den Weg trauen.
Peter Nemschak
30. Juni 2016 @ 08:54
Nachdem Sie offenbar schwere Bedenken gegen CETA haben, gehe ich davon aus, dass Sie die Entwürfe im Detail studiert haben. In welchen Punkten sehen Sie Nachteile und Risiken für die EU allgemein und Deutschland im besonderen. Auf den ersten Blick scheint mir das Abkommen für ein stark exportorientiertes Industrieland wie Deutschland vorteilhaft, da Kanada als Rohstoffproduzent eher eine Ergänzung als Konkurrenz für Deutschland darstellt. Aber Sie wissen sicher mehr darüber als ich.
MM
29. Juni 2016 @ 16:32
@Peter Nemschak Kennen Sie die juristische Argumentation des juristischen Dienstes der Kommission ? Es gab im Januar 2016 eine Expertenanhörung im Bundestag bei der die anwesenden Rechtswissenschaftler sich mehrheitlich für eine Beteiligung des dt. Parlaments ausgesprochen haben. https://www.das-parlament.de/2016/3_4/innenpolitik/-/402378 Außerdem wurde im Gutachten von Prof. Nettesheim festgestellt, dass Ceta Auswirkungen auf den politischen Gestaltungsspielraum von Ländern und Kommunen haben könnte http://www.taz.de/!5304561/ . Können Sie mir als juristischem Laien erklären wieso es sich bei Ceta um ein reines EU Handelsabkommen handeln soll ?
Peter Nemschak
30. Juni 2016 @ 08:41
Sie können, wenn Sie es darauf anlegen, in Sachen CETA juristisch ewig streiten. Es geht hier um ein politisches Problem. Die Kommission würde sich überhaupt nichts vergeben, wenn sie die nationalen Parlamente in den Entscheidungsprozess einbindet. Immerhin müssen auf EU-Ebene im Rat nationale Minister, die ihren nationalen Parlamenten verantwortlich sind, mit qualifizierter Mehrheit entscheiden. Für eine stärkere Kontrolle der Kommission durch nationale Parlamente spricht, dass der Druck auf die Kommission steigt sorgfältiger zu arbeiten. Auch das europäische Parlament darf sich und seine Kontrollmöglichkeiten nicht überschätzen. Seine parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten sind derzeit schwächer als die nationalen. Wenn die nationalen politischen Kräfte mit der Arbeit der Kommission unzufrieden sind, haben sie sich diesen Umstand zum guten Teil aber selbst zuzuschreiben. Es ist eher Zufall als System, dass die besten politischen Talente und Zukunftshoffnungen von den nationalen Parteien in die supranationalen Institutionen entsandt werden.
Peter Nemschak
29. Juni 2016 @ 14:01
CETA ist im Unterschied zu TTIP ein reines Handelsabkommen und damit rechtlich in der Kompetenz der EU. Ob es allerdings politisch gescheit ist, in der jetzigen aufgeheizten Stimmung CETA durchzuziehen, darf bezweifelt werden. Wenn man Cameron über den Sommer Zeit gibt zurückzutreten, hat sich Juncker diese Zeit auch verdient. Mit seinem “jetzt erst recht” kurz nach dem BREXIT hat er sich nicht für einen Kurswechsel empfohlen. Ich könnte mir vorstellen, dass im Stillen bereits der Auftrag ergangen ist, nach einem politischen Ausgedinge für ihn zu suchen.