Falscher Hebel, falsche Zeit
Die EU-Kommission hat einen “Aktionsplan” für eine “Kapitalmarktunion” vorgelegt. Man wolle die Investitionsschwäche beheben, so Kommissar Hill. Doch das hat Brüssel schon vor einem Jahr versucht – vergebens.
Warum investiert denn keiner? Folgt man der EU-Kommission, so kann es nur noch an “Investitionshemmnissen” liegen. Denn einen milliardenschweren “Fonds für strategische Investitionen” (EFSI) gibt es ja schon.
Es geht also mal wieder um neoliberale Angebotspolitik. Diesmal sollen KMUs leichter Kapital und große Anleger (z.B. Versicherungen) mehr Sicherheiten bekommen, damit sie endlich investieren.
Dafür nimmt Brüssel auch gern neue Risiken in Kauf. So werden die umstrittenen Verbriefungen, die während der globalen Finanzkrise untersagt worden waren, kurzerhand wieder zugelassen.
Und das ausgerechnet jetzt, da viele Zeichen auf eine neue Finanzkrise hindeuten. Fast möchte man lästern, dass Hills Initiative ein schlechtes Omen ist (McCreevy lässt grüßen).
Fest steht, dass Hill am falschen Hebel ansetzt. Seine Kapitalmarktunion ist ein mittelfristiges Projekt, wo es doch kurzfristige Impulse braucht. Sie setzt auf der Angebotsseite an, obwohl Nachfrage fehlt.
Zudem sind die Finanzierungsprobleme in Südeuropa vor allem auf die ungelöste Eurokrise zurückzuführen – und nicht auf einen angeblich unzulänglichen Kapitalmarkt, der nun nach US-Muster aufgeblasen wird.
In drei Jahren wolle er gerne Rechenschaft ablegen, sagte Hill. Doch wenn sein Plan genauso floppt wie Junckers EFSI, dann könnte es zu spät sein – die nächste Krise dürfte diese EU nicht überleben…
Nemschak
2. Oktober 2015 @ 10:56
@ebo Gegen eine gesamthafte bzw. intelligent vernetzte Lösung des europäischen Banken- und Kapitalmarktproblems hätte die City of London nichts einzuwenden. Da gibt es keinen Widerspruch. Um die betroffenen Profis, angefangen von der EZB bis zu den diversen Aufsichtsbehörden und Regulatoren unter einen Hut zu bringen bedürfte es allerdings eines anderen Kalibers als Hill. Schauen Sie sich einmal sein CV an.
GS
1. Oktober 2015 @ 20:11
Brüssel ist eben auch verzweifelt darüber, dass der europäische Finanzmarkt sich einfach nicht erholen möchte. Man sieht das sehr gut an den Aktienkursen der Banken. Die schaffen es bisher nicht auf ihre Hinterbeine. Die nächste größere Überraschung könnte ich mir bei der Deutschen Bank vorstellen, die anscheinend in jeder denkbaren hässlichen Machenschaft verstrickt ist und gleichzeitig von allen Großbanken die höchste Leverage Ratio zu haben scheint.
Nachfragesteigernde Politik hin oder her, der Finanzsektor in Europa bleibt schwach und balanciert m.E. einfach weiter am Abgrund. Die Nervosität in Brüssel steigt, vermute ich.
Nemschak
1. Oktober 2015 @ 21:49
Es gibt zu viele und zu schlecht regulierte Banken. Wer kontrolliert den Baseler Ausschuss der die Eigenkapitalerfordernisse für die Banken festsetzt?
Nemschak
2. Oktober 2015 @ 10:37
Die Besetzung des für den Kapitalmarkt zuständigen Kommissars durch einen Vertreter eines Nicht-Eurolandes, der keinerlei Motivation hat, heikle, den Euro betreffende Themen anzugehen, ist ein Teil der institutionellen Schwächen der EU. Das Thema Euro, Staaten, Banken und Kapitalmarkt ist eng vernetzt. Solange portugiesische, spanische, italienische und griechische Banken risikolos und ohne Eigenkapitaleinsatz mit Staatspapieren ihres Heimatlandes Geld verdienen können, haben sie keinen Anreiz, relativ risikoreiche Klein- und Mittelbetriebe zu finanzieren. Von den derzeit geltenden Basel-Regeln profitieren marode Staaten und Banken, erstere, weil sie ihren Finanzbedarf zu unnatürlich günstigen Konditionen decken, letztere, weil sie mit leicht verdientem Geld ihre Kapitalpolster auffetten können, allerdings zu Lasten der Masse der Sparer, denen die finanzielle Repression ihre Vermögen real auffrisst. Alles hat seine Preis. Sollte Hill der Zusammenhang bekannt sein, ist er ein armseliger politischer Feigling und das europäische Parlament, das solche Verhaltensweisen duldet, seinen Namen nicht wert.
ebo
2. Oktober 2015 @ 10:45
Es geht darum, der City of London einen Gefallen zu tun – dort wird doch auch mit Euro-Kapital gehandelt!
Peter Nemschak
1. Oktober 2015 @ 19:00
@ebo Hill ist eine reine Politbesetzung ohne fachlichen Hintergrund, Exekutor von fremden Gutachten und Beratern. Er ist ein klassischer Fall von abgeschobenem nationalen Politiker, ein Leichtgewicht, dessen Herkunftsland wenig Interesse an der EU hat: englisches Oberklassen Old Boys Network. Nothing to report home about.
Nocheiner
1. Oktober 2015 @ 17:14
Also reichen die Bruttolohnsteigerungen nicht. Vor allem nicht, weil die Steigerungen vielfach hinter der Steigerung der Stundenproduktivität zurückgeblieben sind. Und die Masse der Leute hat mehr von Lohnsteigerungen als von Steuersenkungen.
Nocheiner
1. Oktober 2015 @ 11:08
Wie wäre es mal zur Abwechslung mit steigenden Löhnen? Man stelle sich nur mal vor, die Leute hätten mehr Geld zum Einkaufen… Die Ausgaben für Sozialversicherungen und Steuern haben sich in den letzten Jahrzehnten nicht so gravierend verändert. Was sich aber auch nicht wesentlich verändert hat, sind die Reallöhne der breiten Bevölkerung, die sind seit 20 Jahren auch nicht wesentlich gewachsen.
Und man hätte auch gleich was gegen die unsäglichen Leistungsbilanzüberschüsse unternommen…
Wie wäre es, einfach mal eine Wirtchaftspolitik für die Masse der Menschen zu machen und nicht nur für die globalen Konzerne?
Nemschak
1. Oktober 2015 @ 15:13
Bruttolohnsteigerungen hat es in Deutschland in den letzten Monaten gegeben. Wie viel ist netto auf Grund der Steuerprogression übrig geblieben?
Nemschak
1. Oktober 2015 @ 09:32
Leute, welche gegen die Aufnahme der Flüchtlinge sind, mögen sich damit trösten, dass die hohe Zahl an Flüchtlingen unmittelbar über die Grundversorgung der Konjunktur einen Impuls verleihen wird. Mittelfristig wird die Steuerleistung der Flüchtlinge, die in den Arbeitsmarkt integriert sind, die ursprünglichen Kosten für die Gesellschaft reduzieren, langfristig das demografische Defizit verringern helfen.
GS
1. Oktober 2015 @ 13:58
So ein Quatsch. Einfach nur wegkonsumieren erhöht vielleicht das BIP, Wohlstand wird damit nicht geschaffen. Und nebenbei: Wenn die Bevölkerung um 1 Mio. wächst, die Wirtschaft aber nur um 0,2 %, dann sinkt die Wirtschaftsleistung pro Kopf. Die Zahl der Konsumenten wächst aktuell gerade viel schneller als der Kuchen.
Langfristig wird das Gros der Flüchtlinge hier gar nichts leisten, sondern hartzen bis zum Abwinken. Bis das Leute wie Du begreifen, ist das allerdings zu spät. Wie mich diese Phrasendrescherei ankotzt.
Nur mal zur Erinnerung: Wir haben derzeit über 200.000 Leute, die irgendwo in Deutschland herumvagabundieren, von denen niemand weiß, wer sie sind und wo sie sind, weil sie sich schlicht jedem Zugriff entziehen. Und Du erzählst hier Geschichten vom Pferd.
Nemschak
1. Oktober 2015 @ 15:11
Erhöhte Konsumausgaben führen zu Mehrrundeneffekten und ziehen erhöhte Investitionen nach sich. Das wird von Nicht-Ökonomen gerne übersehen.
ebo
1. Oktober 2015 @ 18:18
@GS Es geht in diesem Post um die Kapitalmarktunion, nicht um Flüchtlinge. Es ist ein liberaler Brite, der das vorschlägt – beschwer Dich also bei ihm und nicht bei mir, wenn es Dir nicht passt. Dass eine Nachfragelücke besteht, ist ja wohl eindeutig …
GS
1. Oktober 2015 @ 19:57
@ebo
Nemschak hat das Thema aufgebracht, ich habe darauf nur geantwortet. Die Nachfragelücke durch den Import von durch zu 90 % nicht direkt in den Arbeitsmarkt integrierbaren Zuwanderern (Nahles), die auch noch zu 20 % Analphabeten sind (de Maizière) decken zu wollen, ist grotesk. 2017 werden wir mit Familiennachzug bei 7 Mio. Hartzern stehen (aktuell knapp 4,5 Mio.) . Und dann wird das Geschrei nach Rückbau der Sozialsysteme groß werden, das dann alle trifft.
@Nemschak
Danke. Ich habe auch VWL studiert und hab auch die ein oder andere Idee davon, wie Wirtschaft funktioniert. Und berechnet worden sind die Folgen von einer 1 Million Flüchtlinge schon lange anderswo (bspw. im Herdentrieb bei Zeit Online). Mehr als 0,2 % Wachstum kommen kurzfristig nicht raus. Und langfristig sieht es aus o.g. Gründen zappenduster aus.
Nemschak
30. September 2015 @ 16:34
In Spanien und Italien gibt es auch ohne Kapitalmarktmaßnahmen eine leichte Konjunkturerholung Dass in den USA ein größeres Volumen über den Kapitalmarkt und nicht über die Banken finanziert wird, ist ein möglicher Faktor für die größere Investitionsfreudigkeit jenseits des Atlantik, aber nicht der ausschlaggebende. Solange der Staat einen Großteil der Bruttolohnerhöhungen in Form von Steuern und Sozialabgaben wegfrisst, haben die Konsumenten zu wenig Geld zum Ausgeben. Auf Grund der schwachen Entwicklung in den überseeischen Exportmärkten fehlt auch diese Konjunkturstütze.