Die wahren Risiken
Nach “Bild” und “Handelsblatt” erklärt nun auch der “Economist” Frankreich zum Risiko für die Eurozone. Als “Zeitbombe im Herzen Europas” wird die französische Wirtschaft präsentiert – pünktlich zum Besuch von Premier Ayrault bei Kanzlerin Merkel. Zu dumm, dass derzeit gerade die Niederlande abstürzen, Deutschlands traditionell engster Partner – und nicht Frankreich, das sich recht gut hält. Die wahren Risiken liegen ohnehin ganz woanders: ein Überblick.
- Externe Schocks. Ob die Krise im Nahen Osten, der Atomstreit mit Iran oder der “fiscal cliff” in den USA: Die Gefahr von externen Schocks hat sich in den letzten Tagen dramatisch erhöht. Für die verwundbare Eurozone sind sie das größte Risiko, denn sie könnten die Rezession verlängern und zu neuen Verwerfungen führen. An den Börsen wächst die Nervosität schon, EZB-Chef Draghi warnte vor neuen Attacken auf den Euro.
- Rezession in Deutschland. Schon jetzt fehlt der Eurozone der Konjunkturmotor. Kanzlerin Merkel arbeitet zudem daran, eine aktive, antizyklische Wirtschaftspolitik künftig völlig unmöglich zu machen. Solange Deutschland die Eurozone mitzieht, fällt dies nicht weiter auf. Doch wenn auch das größte Euroland in die Rezession rutscht, wird es ernst. Die Lage in den Niederlanden ist ein Warnsignal, denn beide Volkswirtschaften sind eng verflochten.
- Der Streit um Griechenland. Die Euro-“Retter” haben sich über die weitere Strategie für Griechenland völlig zerstritten. IWF-Chefin Lagarde fordert einen neuen Schuldenschnitt, Finanzminister Schäuble mauert. Dabei hat er vor einem Jahr selbst einen Schuldenschnitt gefordert – für die Banken. Der ist wirkungslos verpufft, nun sind die Staaten dran. Im schlimmsten Fall könnte über den Streit die Troika zerbrechen – dann stünde Europa allein im Regen.
- Die Lage in Spanien. Noch vor zwei Jahren stand Spanien besser da als Deutschland. Wegen der Bankenkrise und der verfehlten “Rettungs”politik ist Madrid nun zum Brandherd geworden. Das Land muss mit Rekordarbeitslosigkeit, Rezession, Schulden und Sezessionsbestrebungen gleichzeitig kämpfen, zudem gehen die Bürger auf die Barrikaden. Die EZB könnte helfen, doch die von Berlin diktierten Konditionen verzögern einen Feuerwehr-Einsatz.
- Die Blockade in Brüssel. Nichts geht mehr in der EU. Griechenland, Bankenunion, EU-Budget – alle wichtigen Entscheidungen wurden vertagt, Einigung ist nicht in Sicht. Deutschland nimmt dabei, sieht man einmal vom Budgetstreit ab, keine konstruktive Rolle ein. Berlin blockiert ausgerechnet die wichtigsten Entscheidungen zur Stabilisierung des Euro – im Bundestagswahlkampf will man keine Wähler verschrecken.
Wenn das so weiter geht, könnte Deutschland zum größten Risiko für die Eurozone werden…
Zu diesem Thema siehe auch “Risiko Deutschland”
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melina
17. November 2012 @ 12:41
@ebo, das stimmt natürlich auch. Es gibt ja jeden Tag neue, leicht durchschaubare Manöver, die von den eigentlichen Problemen ablenken sollen. Nennt sich, glaube ich, Wahlkampf oder so… Merkel blockiert alles, was ihre Wiederwahl gefährden könnte. Die einzige Strategie, die sie wirklich konsequent verfolgt, egal welche Folgen das hat.
“The US elections are over and the Greece situation did not blow up just as it wasn’t supposed to before the polls there. Now we may have a new milestone to wait for, as sources in Europe suggest that German Chancellor Angela Merkel will not be looking for a comprehensive solution for Greece before the elections in her country…”, schreibt Alexis Papachelas in der Ekathimerini (Waiting for a German move, 11.11.12)
Die Griechen werden aber nicht so lange warten und das können sie auch gar nicht. Es ist ein hochgefährliches Spiel, das Merkel da treibt, wenn sie versucht, den Fokus von den glimmenden Brandherden auf F umzulenken. Da braucht es dann nur noch einen kleinen “externen Schock” wie Du unter Punkt 1) aufgeführt hast, und schon bricht das Kartenhaus zusammen.
ebo
17. November 2012 @ 11:54
@melina Nun ja, so stark sind die Gewerkschaften in Frankreich gar nicht. Ich denke, es handelt sich vor allem um ein riesiges Ablenkungsmanöver, um vergessen zu machen, dass Deutschland derzeit alle Schritte zur Überwindung der Eurokrise blockiert. Man baut den Popanz Wettbewerbsfähigkeit auf, um die Debatte von Eurobonds, Bankenunion, Griechenland, Spanien etc. abzulenken. Außerdem will man Hollande weichkochen für den nächsten wichtigen EU-Gipfel im Dezember…
melina
16. November 2012 @ 23:52
@ebo, es ist nicht zwecklos, gegen den Mainstream anzukämpfen, ganz im Gegenteil ist es wichtiger denn je. Das aber mal nur am Rande.
In Frankreich ist die Debatte über Wettbewerbsfähigkeit und Strukturreform ja schon unter Sarkozy heftig geführt worden, natürlich mit der unumwundenen Unterstützung Merkels. Der Gallois-Bericht lag schon letzten Oktober vor und wurde dann nur aus Rücksicht auf die Wahlen zurückgehalten, da Gallois seinem Parteikollegen Hollande nicht in den Rücken fallen wollte. Wohlgemerkt: die Initiative geht nun von den frz. Sozialdemokraten aus, die – die Schröder-Agenda als Erfolgsmodell fest im Blick –
F ebenfalls zum Lohndumpingland machen wollen, um im sogenannten Wettbewerb zu bestehen. Wie fragwürdig dieses Vorhaben ist, wird von den frz. Linken und den Gewerkschaften derzeit thematisiert und mit einem beachtenswerten Gegenentwurf beantwortet.
Wenn man aufmerksam verfolgt, was sich da abspielt, muss man sich die Frage stellen, warum ausgerechnet D darauf pocht, die Franzosen “wettbewerbsfähig” zu machen und ihnen dafür eine Prekariats-Politik à la Gerd S. zu verpassen. Eigentlich ist es widersprüchlich, den eigenen Konkurrenten mit einem (scheinbar) erfolgreichen Modell zu stärken. Diesen Widerspruch gilt es aufzulösen, denn
eine echte Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs kann Merkel doch gar nicht wollen, wenn wir mal bei ihrer selbstgestrickten Makroökonomie bleiben.
Ich denke, hier liegt der Hund begraben. Es geht gar nicht darum, den Europartner fit zu machen, um gemeinsam mit ihm in den Kampf um die Märkte zu ziehen. Es geht darum, das größte Hindernis neoliberaler Planspiele in Frankreich zu überwinden, nämlich die immer noch sehr starken Gewerkschaften. Das G-Wort ist das große rote Tuch für den Neocon, sein erstes Ziel ist es immer und überall, die Gewerkschaften zu entmachten.
Unter Schröder ist das in D prima gelungen, denn der hat es verstanden, sie ins Boot zu holen und ihnen die alleinige Verantwortung angedroht, falls die ganze Chose den Bach runter geht. Wirklicher Widerstand wurde ihm nicht entgegen gebracht und alle glaubten, sie hätten das Beste getan. Wer noch das Schröder-Blair-Papier in Erinnerung hat, kennt die Rhetorik. Genau das versucht man jetzt in Frankreich. Die Gewerkschaften sind das eigentliche Ziel, sie sollen mit sozialdemokratischen
Parolen über den Tisch gezogen und entwaffnet werden. Erst dann kann man die totale Prekarisierung anpacken.
Warum diese Prekarisierung Frankreichs im Interesse von Merkel&Co ist, kann man sich dann leicht ausrechnen. Ein Konkurrent ohne schlagkräftige Arbeitnehmerschaft ist dann nämlich keiner mehr. Très simple. In diesem Zusammenhang sind auch Merkels Verzögerungstaktik und ihre scheinbar sinnlosen Pirouetten zu sehen. Alles Kalkül.
cource
16. November 2012 @ 21:06
die geldentwertung die mit dem € kam wollte auch niemand–wichtig war nur dass das volksvermögen reduziert wurde und der kleine man wieder von vorne anfangen musste sich ein polster zu schaffen
cource
16. November 2012 @ 20:49
man könnte doch auch diese so genannte eurokrise benutzen um einen grund für die nächste geldentwertung zu haben–einfach euro kollabieren lassen und dann eine neue währung anbieten, die dann aber nur noch die hälfte wert ist
ebo
16. November 2012 @ 21:00
@cource aber wer sollte so etwas wollen? Das Problem ist, dass sich die “Retter” immer nur Zeit kaufen, gleichzeitig aber auf die falsche Medizin setzen. Deshalb wird die Sache immer schlimmer. Es kann mir doch niemand erzählen, dass die größte Wirtschaftsunion der Welt wegen eines Landes kollabiert, das nicht mal so stark wie Bayern ist…
melina
16. November 2012 @ 10:57
Nachtrag: irgendwie habe ich den Eindrück, dass jetzt von den neoliberalen Medien
in einer Art konzertierter Aktion versucht wird, F in eine Krise hinein zu schreiben, die
so (noch) nicht existiert. So als flankierende Maßnahme, wenn auch in F der Arbeitsmarkt weiter liberalisiert werden soll. Siehe den Gallois-Report und die Bereitschaft von Hollande, einen großen Teil der Empfehlungen umzusetzen. Obwohl er vor der Wahl natürlich das Gegenteil beteuert hat. Da kämen von den Medien angeheizte Krisenszenarien gerade recht…
ebo
16. November 2012 @ 11:13
@melina diesen eindruck habe ich auch. Erst wollte ich sogar einen Post in diesem Sinne schreiben,aber es ist zwecklos, gegen den Mainstream anzukämpfen. Was allerdings bedenklich ist, ist der Umstand, dass selbst in Frankreich nur noch über Wettbewerbsfähigkeit und Strukturreformen gesprochen wird – als Agenda-Politik nach deutschem Muster. Unverstanden bleibt, dass die Agenda 2010 just das Ziel verfolgte, Frankreich auszustechen. Jetzt hat man es “geschafft”, und wirft dies auch noch den Franzosen vor…
melina
16. November 2012 @ 10:47
Merkel&Co haben bereits einen so großen Schaden in Europa angerichtet, dass es für alle besser wäre, die Eurozone aufzulösen und die Länder zu ihren nationalen Währungen und ihrer vollen Haushaltssouveränität zurückkehren zu lassen. Also auch
weg mit ESM, Fiskalpakt und anderen krisenverschärfenden Maßnahmen und statt
dessen eine Art gemeinsamer Fonds, der den schwer geschädigten Südländern wieder auf die Beine hilft, ohne dass sie an der Zinslast völlig zugrunde gehen. Wenn man
wirklich wollte, gäbe es sicher eine Reihe von Instrumentarien, mit denen man dies bewerkstelligen könnte. Sich nach dem gescheiterten Euro-Experiment in Freundschaft zu trennen und sich solidarisch zu verhalten, würde wahrscheinlich von den meisten
Menschen in der Eurozone als Lösung angesehen.
ebo
16. November 2012 @ 10:29
Die einfachste Lösung wäre, dass Deutschland aus dem Euro aussteigt, vielleicht zusammen mit Finnland und den Niederlanden. Die drei hängen sowieso ständig zusammen und blockieren die überfälligen Hilfen für den Rest der Zone… Allerdings würde dies den Niederländer in der aktuellen Verfassung schlecht bekommen. Und Finnland hat auch Probleme, Stichwort Nokia…
ebo
16. November 2012 @ 10:00
Kann man so sehen. Ich habe erstmal nur die Risiken für den Euro erörtert – nicht die Risiken, die er immanent mit sich bringt. Wenn GR oder ESP keinen Euro hätten, wären sie längst raus aus dem Schlamassel. Auch Frankreich stünde besser da, D hingegen deutlich schlechter, denn für die deutsche Wirtschaft ist diese Währung deutlich unterbewertet…
Wirtschaftsphilosoph
16. November 2012 @ 10:14
Sie unterstellen, dass eine unterbewertete Währung von Vorteil ist. Für Exporteure ist das so, für die gesamte Volkswirtschaft nicht. Hinzu kommt, dass die Exporte nach Griechenland etc. letztlich nicht von diesen Ländern, sondern Deutschland selbst bezahlt werden. Das ist absurd und zeigt, dass der Euro allen schadet. Irgendwann lässt sich diese simple Tatsache nicht länger verbergen und wird der Euro zerbrechen. Auch das wird nicht schön, doch mit jedem Tag des Zuwartens steigen die Kosten (nicht nur finanziell und wirtschaftlich, sondern auch menschlich und sozial, siehe Griechenland). Wir sollten uns schon jetzt Gedanken machen, wie eine Post-Euro-EU aussehen könnte.
Wirtschaftsphilosoph
16. November 2012 @ 09:57
Sie haben das größte Risiko bzw. sichere Problem vergessen: Der Euro selbst ist für den ganzen Mist verantwortlich. Souveräne Staaten brauchen jeweils eine eigene Währung, alles andere ist Ablenkung.
Citizen-E
16. November 2012 @ 15:32
Und sie haben leider nicht verstanden worum es hier geht. Die Bundesrepublik Deutschland war niemals souverän, das galt zwischen 1949-90 und das galt seit 1990 bis heute. Wenn Sie jedoch konsequent sein wollen, sprechen Sie bitte auch den 16 bundesländern die Möglichkeit eine Einhaltswährung zu halten ab, da es sich nach dem jeweiligen Verfassungsverständnis der Bundesländer, auch um souveräne Einheiten in einem Bundesstaat handelt. Die EU ist im Endeffekt nur nach oben nicht nach unten gedacht. Der Euro war nie das Problem und wird es auch nie sein. Was hier zu bemängeln ist, ist ein solider europäischer Finanzausgleich zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Was wir mit dem Budget sogar hätten, wenn auch etwas unpraktisch umgesetzt.