Deutsches Europa (IV)
SOMMERSERIE: Seit dem Griechenland-Debakel ist das “deutsche Europa” in aller Munde. Dabei ist die deutsche Dominanz in Euroland nicht neu, wie diese vierteilige Serie mit Beiträgen aus diesem Blog zeigt.
TEIL 4, Repost vom 3.7.2015
Es hätte eine demokratische Reifeprüfung für EUropa werden können: Das Referendum über den Sparkurs in Griechenland. Doch Berlin, Brüssel und Frankfurt funktionieren die Volksabstimmung zu einem Tribunal gegen Syriza um – sie wollen ein Exempel statuieren.
Erinnert sich noch jemand an Juli 2012? Schon damals stand Griechenland am Abgrund, die Eurogruppe verweigerte Hilfe, Deutschland schrie „Grexit!“. Tsipras war noch nicht da, Merkel und Schäuble schon.
Jetzt wiederholt sich die Geschichte – weil unsere Politiker nichts aus ihr gelernt haben, nichts lernen wollten. Wieder wird ein Exempel an Griechenland statuiert, wieder treiben es die Chefs auf die Spitze.
Hier das – unvollständige – Programm der Züchtigung, wie es sich diese Woche dem staunenden Publikum präsentierte:
- Da ziehen die Gläubiger ihr Memorandum – pardon: ihr „Angebot“ – just in dem Moment zurück, da Athen ein Referendum ansetzt. Merke: Wage es nicht, das Volk zu befragen!
- Da dreht die EZB den Geldhahn zu, obwohl die griechischen Banken Kredite nötiger haben denn je. Merke: Geldpolitik ist POLITIK – Geld gibt es nur gegen Wohlverhalten.
- Da werden Gespräche in dem Moment abgebrochen, da Tsipras wichtige Konzessionen macht und sie in einen Gegenentwurf einbettet. Merke: TINA – There is no alternative.
- Da wird eine Kontaktsperre über eine gewählte Regierung verhängt – auf deutsche Weisung. Merke: Merkels Wunsch ist EUropas Befehl, Frankreich (das weiterreden wollte) kuscht, wenn es ernst wird.
- Da droht ein Niederländer mit dem Grexit, wenn die Griechen nicht brav Ja sagen. Merke: Dieses ist keine WährungsUNION, sondern ein exklusiver Club, in dem nur die Bonität zählt.
- Da fordert ein Karlspreisträger und gescheiterter Spitzenkandidat, den griechischen Premier zu stürzen und eine Technokratenregierung einzusetzen. Merke: Mir fehlen die Worte!
Über all das könnte man achselzuckend hinweggehen, ginge es „nur“ um Griechenland. Doch Griechenland interessiert „uns“ schon gar nicht mehr, wie Merkel in ihrer unvergleichlichen Art deutlich gemacht hat.
Nein, das Exempel gilt nicht oder nur noch am Rande den „Pleite-Griechen“, die nur noch die Wahl zwischen Pest (Memorandum) und Cholera (Grexit) haben sollen, also keine.
Das Exempel wird für „uns alle“ statuiert – damit niemand mehr auf die Idee kommt, die ehernen Regeln im deutschen Europa in Frage zu stellen! Der nächste Test wird übrigens Spanien sein…
Hiermit endet die kleine Sommerserie. Mehr zum deutschen Europa hier.
Peter Nemschak
9. August 2015 @ 11:35
Und wie erklären Sie Venezuela? Schuld sind aus Ihrer Sicht sicher die USA. Mit einer unternehmerfeindlichen Ideologie wie wir sie nicht nur in Griechenland sondern auch in Frankreich derzeit sehen, werden Sie kein Wachstum zusammenbringen, das sie verteilen können. Wer soll denn investieren, wenn nicht die Vermögenden? Nehmen Sie ein anderes positives Beispiel des Kapitalismus: Singapur. Zum weitaus überwiegenden Teil hat sich die Menschheit für Individualismus und Kapitalismus entschieden, selbst im ehemals maoistischen China, offenbar, weil das System unter den möglichen Alternativen die relative beste Alternative darstellt und ungemein anpassungsfähig ist. Was Solidarität, ein Lieblingswort der Linken betrifft, funktioniert sie ungleich besser auf individueller als auf Makroebene. Menschen spenden einerseits großzügig für Bedürftige, andererseits wenn es um das Steuerzahlen geht, bedienen sie sich gerne der Schattenwirtschaft, um Steuern zu vermeiden. Erklären Sie den Menschen in Deutschland, warum sie finanziell für das jahrzehntelange Politikversagen im Süden finanziell aufkommen sollen.
OXIgen
9. August 2015 @ 15:54
@Peter Nemschak
Venezuela könnte man Ihnen durchaus in relativ wenigen, einfachen Sätzen erklären, wenn Sie zu diesem Thema Nachhilfe benötigen. Klar sind die USA Schuld, dass wissen sogar die USA selber. Aber hier geht es um Europa.
Das mit den “unternehmerfeindlichen Ideologien” und dem Wachstum ist etwas schwieriger. Wachstum im Kapitalismus wird immer nur in eine Richtung verteilt, nämlich nach oben. Es nach unten zu verteilen, hieße Sozialismus. Das Wort alleine dürfte Sie schon in Schnappatmung verfallen lassen. Von der Tatsache, dass es in einem endlichen System kein unendliches Wachstum geben kann, will ich, Ihrer Gesundheit zuliebe, gar nicht erst reden.
In einem muss ich Ihnen zustimmen: Solidarität funktioniert auf der Individualebene tatsächlich besser. Dies aber nicht, weil gute Menschen den Bedürftigen großzügig spenden, sondern weil es auf der Makroebene keine Solidarität gibt
winston
9. August 2015 @ 08:02
Carlo
Das Griechische “Geldsystem” liegt in Frankfurt und heisst EZB. Die EZB ist nichts anderes als eine Kopie der BUBA, das war u.a. eine der Bedingungen Deutschlands für den Euro. Sie verfolgt explizit deutsche Interessen, dies konnte man deutlich in den Jahren 2003-5 beobachten, als Deutschland eine innere Abwertung von 15% durchführte während Spaniens, Griechenlands, Irlands, Portugals Volkswirtschaften völlig überhitzten. Sie brauchten dringend eine deutliche Leitzinserhöhung um die Volkswirtschaft abzukühlen, die EZB tat aber nix um Schröders Agenda nicht zu gefährden. Deutschland profitierte massiv von den überhitzten Volkswirtschaft, den der kollabierende deutsche Binnenmarkt wegen Agenda 2010 konnte mit Exporten in den heutigen Krisenländer gegen bilanziert werden, natürlich alles auf Pump und Kredit. Hätte Deutschland die DM gehabt wäre eine innere Abwertung nicht möglich gewesen, den die anderen Staaten hätten sofort mit einer äusseren Abwertung von 15% reagiert und der ganze Vorteil wäre verpufft.
Die EZB verfolgt ausschliesslich neoliberale Ziele, Abschaffung des Sozialstaates, Privatisierungen, Lohn und Pensionskürzungen und setzt das, wenn es sein muss mit Gewalt und Erpressung durch, siehe Zypern und Griechenland, wenn der Staat nicht spurt, schneidet man kurzerhand die Geldversorgung ab, fertig, das wird sich auch nicht ändern. Es gibt nur eine Möglichkeit dies zu ändern, aus dem Euro austreten und die Zentralbank unter Staatlicher Kontrolle setzen, alles andere führt zu nix. Griechenland hat eine 60% überbewertete Währung und wird innerhalb des Eurosystems niemals auf die Beine kommen, im Gegenteil, die Volkswirtschaft erodiert immer mehr, gilt nicht nur für Griechenland. Die Euro-Zone ist ein abgrundtiefes Neoliberales Konstrukt da die Euro-Zone kein Staat ist. Die Regierungen haben keine Macht, der Markt setzt sich auf ganzer Linie durch, wesentlich schlimmer als Chile der Chicago Boys und wie in Chile wird sich Europa erst erholen wenn man dieses Konstrukt zum Teufel jagt, allen voran die EZB. Entweder wacht die Europäische Linke auf und setzt dem ganzen Wahnsinn ein Ende oder die Europäischen Rechtsradikalen werden in den nächsten 5-10 Jahren massiv an Macht gewinnen.
Die Chilenische Volkswirtschaft rutschte als Hayek und die Chicago Boys dort rumpfuschten in eine tiefe Rezession, Chile erholte sich erst wieder als sie die Chicago Boys zum Teufel jagten, soviel zu Chile.
Übrigens wollte Hayek das Chile Experiment auch in UK anwenden, erhielt aber von Thatcher ein Tritt in den Arsch.
Carlo
9. August 2015 @ 13:52
@ Winston
Ich will es kurz machen. Sie beschreiben die Fehler des europäischen Währungssystem, die ich ebenfalls so sehe. Ich meinte aber tatsächlich eine “Modernisierung” des Geldsystems. Das heißt, die Art und Weise wie Geldzeichen erzeugt werden und wer deren Menge kontrolliert. Das können die Griechen in Athen ändern, aber nicht in Frankfurt.
Ich hoffe, damit sind die Unklarheiten beseitigt.
OXIgen
9. August 2015 @ 15:15
@winston
Ich kann Ihrem Kommentar nur zustimmen. Die Euro-Zone ist in der Tat ein Konstrukt, dass sich jeglicher demokratischen Kontrolle entzieht, ausschließlich Kapitalinteressen dient und deshalb schleunigst aufgelöst werden muss.
Die Europäische Linke befindet sich in einem schweren Dilemma, denn in ihren Reihen geht ein Gespenst namens Nationalismus um. Allein die Vorstellung, dass die EZ-Staaten ihre volle nationale Souveränität und ihre Währungshoheit wieder zurück bekommen könnten oder sollten, löst bei den meisten Linken ideologische Beissreflexe aus. Das wird als Rückfall in die europäische Steinzeit gedeutet, da werden sogar innereuropäische Kriegsgefahren heraufbeschworen, nur um nicht als Anti-Europäer dazustehen. Oskar Lafontaine brachte es auf den Punkt: “Der Euro ist ein Rückschritt im historischen Projekt der europäischen Integration” und wurde dafür von den eigenen Genossen angefeindet.
So lange dieses Euro-Tabu innerhalb der Linken nicht gebrochen ist, werden Sie leider vergeblich auf ein Aufwachen warten müssen. Ich frage mich manchmal, wie wir in einem friedlichen Europa vor dem Euro überhaupt leben konnten.
Peter Nemschak
8. August 2015 @ 22:20
Ich möchte keineswegs die chilenische Militärjunta verteidigen, aber heute geht es Chile wirtschaftlich ungleich besser als dem sozialistisch geführten herabgewirtschafteten Venezuela. Wer soll defizitäre Staatsfirmen mit einem Überhang an Beschäftigten finanzieren? Einen großzügigen Sozialstaat muss man sich zuerst einmal leisten können. Außer Umverteilung haben die Sozialisten bisher nichts zur Mehrung des Volkseinkommens beigetragen. Für den Würgegriff der griechischen Oligarchen kann die EU nichts. Von diesen sich zu befreien ist Sache Griechenlands. Mir scheint, Sie leben in einer Traumwelt.
Peter Nemschak
8. August 2015 @ 13:01
@OXIgen Was hat meine Sicht der Dinge mit den Chicago Boys zu tun? Zuerst muss eine Gesellschaft selbst bereit sein ihre Probleme zu lösen, was Griechenland bisher nicht war. Die Bedingungen des Hilfspakets sollen dazu beitragen, dass Griechenland endlich den Weg der Modernisierung beschreitet und alte Strukturen hinter sich lässt. Solange Geld bedingungslos nach Griechenland floss, war von Veränderungsbereitschaft keine Rede. Das hat mit neoliberal nichts zu tun, sehr wohl aber mit lebensnahen Pragmatismus. Wenn die griechische Bevölkerung ihren materiellen Lebensstandard an jenen im Norden annähern will, bleiben harte Reformen nicht erspart. Offenbar will sie das, da die Mehrheit für die Beibehaltung des Euros ist.
Carlo
8. August 2015 @ 14:27
Die Bedingungen der bisherigen “Rettungspakete” waren eindeutig neoliberal. Um das zu erkennen muss man sich nur den “Washington Consensus” ansehen, auf deren Grundlage der IWF Geld verleiht (nicht vergibt). Die Bedingungen für die erneute “Hilfe” sehen nicht anders aus.
Wenn man in Griechenland tatsächlich etwas modernisieren will, sollte man beim Geldsystem beginnen.
OXIgen
8. August 2015 @ 16:32
@Peter Nemschak
Was Ihre Sicht der Dinge mit den Chicago Boys zu tun hat? Ganz einfach: vieles (wenn nicht gar das meiste) von dem, was Sie in Ihren Kommentaren schreiben, könnte direkt aus der Feder von Milton Friedman stammen. Im übrigen ist eine Analogie zu Chile in Verbindung mit Griechenland gar nicht so weit hergeholt, wenn man z.B. die Militärjunta in Griechenland näher beleuchtet.
Woher nehmen Sie das Argument, die griechische Gesellschaft sei nie bereit gewesen, ihre Probleme selbst zu lösen? Können Sie das belegen? Ich weiß von vielen Lösungsversuchen, die jedoch daran scheiterten, dass sich die normale Bevölkerung unablässig im Würgegriff der Oligarchen und ihrer Handlanger befand. Außerdem saßen die Schrecken der Junta noch lange tief im kollektiven Gedächtnis und sind bis heute nicht verschwunden.
Welches Geld und wie viel davon ist bedingungslos nach Griechenland geflossen und wann bitte? Klären sie mich doch bitte auf, mir sind nämlich solche Geldflüsse nicht bekannt.
Kommen wir zu den Konditionalitäten des sogenannten Hilfspakets. Griechenland muss also “den Weg der Modernisierung” einschlagen und die alten Strukturen zerschlagen. Modernisierung ist der neoliberale Euphemismus für Sozialabbau, Ausplünderung durch Privatisierung, Massenentlassungen etc. Und nicht zu vergessen: marktkonforme Demokratie, also praktisch keine mehr. Das ist Ihrer Meinung nach der richtige Weg und damit sind wir wieder beim Laissez faire und seinen Missionaren. Und damit bei Gläubigen, die rationalen Argumenten nicht zugänglich sind.
Eines aber müssen Sie aber bitte noch erklären: welchen lebensnahen Pragmatismus sollte ein griechischer Arbeitnehmer mit Hungerlohn anwenden, um den Lebensstandard an den Norden anzunähern? Sich einfach zu Tode hungern um seinen gebeutelten Arbeitgeber und den Staat zu entlasten?
Peter Nemschak
7. August 2015 @ 17:39
@ebo ich nehme nicht die Banken in Schutz, die ihre kommerziellen Interessen verfolgen sondern die Regierungen Griechenlands, die ausschließlich dafür verantwortlich waren und sind, dem Wohl des Landes als Gesamtes zu dienen. Gegen die Germanisierung haben die Länder im Süden so lange nichts einzuwenden, als dies bedeutet, das Wohlstandsniveau Deutschlands zu übernehmen, ohne dafür die gesellschaftlichen und institutionellen Voraussetzungen bei sich selber zu schaffen. Auf welcher Seite man unter diesen Umständen von Mangel an Fairness sprechen muss, bleibt zu beurteilen Ihnen überlassen.
winston
7. August 2015 @ 15:54
Den Euro kann man mit einem 10000m lauf vergleichen.
1. Deutschland mit idealen Outfit, Puma Sportschuhen und Hosen und leichtes Shirt.
2. & 3. Holland und Österreich mit Anzug und Rucksack von 5 Kg.
4. Finnland mit Anzug und Rucksack von 10 Kg.
5. Frankreich mit Anzug und Rucksack von 15 Kg.
6. Italien mit Anzug und Rucksack von 20 Kg.
7. Spanien mit Anzug und Rucksack von 30 Kg.
8.& 9. Portugal und Griechenland mit Anzug und Rucksack von 60 Kg.
Was in Griechenland zur Zeit abläuft ist einmalig und ein Unikum in der modernen Wirtschaftsgeschichte und stellt sogar die grosse Depression der 30er Jahre in den Schatten, nicht wegen der Tiefe der Depression sondern wegen der Länge.
Rezessionen und Depressionen dauern in der Regel 2-3 Jahre, danach setzt meistens eine scharfe V Erholung ein.
In der Euro-Zone hat man sämtliche Makroökonomische Gesetze ausser Kraft gesetzt, sowas ist sehr gefährlich.
@ Oxigen
Exellenter Post
OXIgen
7. August 2015 @ 15:40
Ach, Peter Nemschak,
Ihr neoliberales Mantra ist ja sowas von abgenudelt, dass man es ohnehin nicht mehr wahrnimmt. Wenn doch, muss man feststellen, dass Sie eine wirklich erstaunliche Resistenz gegen historische, ökonomische und soziale Fakten in Europa an den Tag legen.
Es ist immer einfach, den Griechen ein fortgesetztes politisches Versagen im eigenen Land vorzuwerfen, wenn man den Kontext der europäischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte ausblendet. Gewiss sind viele Probleme hausgemacht, was nicht einmal innerhalb der Syriza bezweifelt wird. Damit sind sie aber noch lange nicht gelöst.
Sich von einem durch und durch korrupten System zu emanzipieren, ist keine Frage von Monaten, sondern von Jahren und Jahrzehnten. Vor allem dann, wenn einem auch noch die Souveränität verweigert wird, genau diese Übel endlich an der Wurzel zu packen.
Dass Sie das, so aus der Fankurve der Chicago Boys heraus, nicht gerade begeistert, wundert mich nicht. Sitzen in Ihrer Ecke doch eher die schlichten Gemüter, die sich mit Parolen wie “Hausaufgaben machen!” zufrieden geben.
Peter Nemschak
7. August 2015 @ 17:44
Woher nehmen Sie Ihren Optimismus, dass es Syriza, nach wie vor durchsetzt von linken Modernisierungsverweigerern, besser machen wird als die Vorgänger?
OXIgen
7. August 2015 @ 19:08
@Peter Nemschak
Nun, von meinem Optimismus bezüglich der Syriza ist nicht mehr viel übrig, da es die Syriza als solche inzwischen nicht mehr gibt. Da haben die neuen Kolonialherren ganze Arbeit geleistet. Der Tsipras-Flügel wird pasokisiert, also den Weg der SPD gehen und der Rest der “linken Modernisierungsverweigerer”
(interessanter Orwellscher Neusprech!) wird verbittert neue Allianzen suchen.
Auch von meinem linken Standpunkt aus ist eines klar: Griechenland hatte am 25. Januar 2015 die Syriza nicht aus mehrheitlicher linker Überzeugung sondern aus schierer Verzweiflung gewählt. Um durch den Bruch mit dem alten System überhaupt eine Chance zu bekommen. Es war einen Versuch wert und immerhin hat es dazu geführt, dass erstens Deutschlands Maske vom benevolenten Hegemon endgültig gefallen ist und dass unsere lieben “Partner” in der EU künftig auf der Hut sein werden. Oder besser noch: eine Lehre mit Konsequenzen daraus ziehen. Das ist zwar ein kümmerliches Resultat, aber nach einem alten griechischen Sprichwort ist Nichts immer noch besser als Garnichts.
Peter Nemschak
7. August 2015 @ 15:02
@ebo….. allerdings hat sie vor Einführung des Euro noch nie eine vergleichbare Scheinblüte erlebt. Eine kluge, disziplinierte griechische Politik hätte diese Scheinblüte verhindern können.
ebo
7. August 2015 @ 16:14
Die angebliche Scheinblüte wurde von deutschen österreichischen und französischen Banken finanziert, die offenbar keine Probleme sahen. Als es dann Probleme gab, wurden sie von den Gläubigern schadlos gehalten. Ein schöner Bankensozialismus, den die Griechen mit der schlimmsten Depression aller Zeiten bezahlen
Peter Nemschak
7. August 2015 @ 16:46
Nochmals: hätte die griechische Politik die Scheinblüte verhindern können? Warum diese stetige Umkehr von Opfer und Täter? Warum die Unfähigen und Korrupten in Schutz nehmen?
ebo
7. August 2015 @ 17:19
Warum nehmen Sie die Banken und Ratingagenturen sowie ihre Berater (Goldmänner) in Schutz, die die griechische Misere verschleiert und in voller Kenntnis unverantwortliche Kredite gewährt haben?
Carlo
7. August 2015 @ 16:37
Mit der Scheinbläte haben Sie Recht. Eine kluge, disziplinierte, griechische Politik wäre gewesen, die Drachme als Zweitwährung zu behalten, um zu verhindern, dass Wohlstand aus den Regionen nach Kerneuropa abfliessen kann. (Prof. Lietaer macht dies, in einem aktuellen Interview, am Beispiel Ghanas im 19. Jahrhundert klar – http://tldrify.com/aom )
Aber das widerspräche der Konzeption des Euro.
Nationale Regierungen und Parlamente verlieren durch den Euro eines ihrer wichtigsten Instrumente zur Lösung nationaler Aufgaben – die Währungshoheit. Für die Bürger auf Dauer ein schlechtes Konzept.
Mit schlechten Konzepten ist es wie mit einem schlechten Formel 1 – Rennwagen. Die Fahrer können noch so klug, gut und diszipliniert sein und ausgetauscht werden, einen Sieg werden sie dadurch kaum erringen.
OXIgen
7. August 2015 @ 12:43
Europa – die Heilige Kuh und ihr Goldenes Kalb
Während der Europawahl im Mai 2014 machte ein französischer TV-Sender Umfragen vor einem Wahllokal in Nordfrankreich und wollte von den Passanten wissen, warum ihrer Meinung nach der Front National so gewaltig an Stimmen zulegen konnte. Ein älterer Mann antwortete ohne zu zögern: “Weil die Linke komplett versagt hat. Weil die Linken stur am Euro festhalten, der uns alle irgendwann umbringen wird.” Der Mann hatte Recht.
Das Wahlergebnis war ein Schock für die gesamte europäische Linke, die sich auf der Suche nach den üblichen Schuldigen verzweifelt die Haare raufte und im Traum nicht darauf kam, die Schuld auch bei sich selber zu suchen. Denn die schöne Königstochter Europa, dereinst von Zeus in Gestalt eines Stieres nach Kreta entführt, ist heute eine alte, aber heilige Kuh, die um keinen Preis geschlachtet werden darf. Vor allem darf kein Linker Hand an sie legen, denn sie steht für das große Friedensprojekt und ist damit ebenso tabu wie ihr maßlos gefräßiges Goldenes Kalb, die Eurozone. Egal, ob dieses kleine Monster den europäischen Völkern nach und nach die Haare vom Kopf frisst, es darf nicht angerührt werden. Wer das dennoch wagt, kann nur von rechts kommen, denn Linke tun sowas nicht.
Als im Morgengrauen des 13. Juli 2015 das kleine Griechenland in einem finsteren germanischen Ritual dem Gott Mammon geopfert wurde, war die ganze Welt empört und aufgescheucht. Und wieder raufte sich die Linke, diesmal weltweit, die Haare und fragte sich, wie das geschehen konnte. Tsipras, die neue Lichtgestalt linker Träumer hatte kapituliert und sich nach einem verzweifelten Kampf letztlich widerstandslos auf den Scheiterhaufen der Troika führen lassen. Schäuble, dieser Savonarola der Austerität konnte seine Freude an dem demütigenden Schauspiel nur schwer verbergen. Dass dabei gerade die europäische Demokratie endgültig zu Bruch ging, störten ihn und seine Schergen offenbar nicht. Die Hohen Priester des Finanzkapitals wollten Blut sehen und er lieferte.
Und was tat die Linke, als die Schockstarre langsam nachließ? Richtig: nichts! Nichts außer sich mit der üblichen Larmoyanz in endlosen Artikeln und Blogs gegenseitig den Verlust der europäischen Werte zu bestätigen, was immer die auch sein mögen. Statt endlich die Dinge beim Namen zu nennen, schrieb und sprach man Nekrologe auf die gemeuchelte Demokratie. Oder fragte sich, ob Tsipras nun ein Verlierer oder ein Verräter oder doch eher beides ist.
Die Unterwerfung Griechenlands war ein sinnloses Opfer und hätte vermieden werden können, wenn die Linken in Europa schon vor längerer Zeit ihre Scheuklappen abgenommen und der Wahrheit ins Auge gesehen hätten: die Schlachtung des Goldenes Kalbs, jener Eurozone also, die nur die Reichen immer fetter macht und die Armen buchstäblich krepieren lässt, darf kein Tabu mehr sein. Was nutzt ein starres Festhalten an romantischen Ideologien von Internationalismus und europäischem Frieden, wenn dieses neoliberale Monster täglich mehr Menschenopfer fordert? Wäre die für das Überleben (nicht nur) der südeuropäischen Länder dringend notwendige Auflösung der Eurozone schon längst vor dem Wahlsieg der Syriza auch bei den Linken europaweit ein unerschrocken und angstfrei diskutiertes Thema gewesen, hätten Tsipras und Varoufakis weitaus bessere Karten gehabt. Selbst ein Savonarola hätte dabei mit Blick auf den eigenen Scheiterhaufen womöglich den Kürzeren gezogen.
Natürlich kann man die Gründe für die Kapitulation Griechenlands nicht so simpel verkürzen und sie einfach der gescheiterten Linken in die Schuhe schieben, denn in dieser Tragödie gibt es noch andere gewichtige Mitspieler.
Die Germanisierung Europas mit Hardcore-Austerity für alle ist schon für sich genommen ein Alptraum. Engültig zum Horrortrip wird sie, wenn mit TTIP&TISA auch noch die letzten Bürgerrechte dem Korporatismus zum Opfer fallen und wir alle wieder Leibeigene werden. Wahrscheinlich können wir dann auch hier nicht mehr schreiben, weil ein kritischer EU-Blog als Investionshemmnis deklariert wird, Eric seine astronomischen Strom- und Serverkosten ohnehin nicht mehr bezahlen kann und das Internet überhaupt nur noch den Eliten zugänglich ist. Höchste Zeit, das Monster zu erlegen und den Schlachtplan nicht mehr den Rechten zu überlassen!
Peter Nemschak
7. August 2015 @ 13:12
Griechenland war übrigens schon einmal vor 100 Jahren pleite, wie man in einem Zeitungsartikel aus der damaligen Zeit nachlesen kann. Insolvenz hat Tradition in diesem Land. Dazu braucht man weder den Neoliberalismus noch die Germanisierung zu bemühen; alles hausgemacht.
ebo
7. August 2015 @ 14:41
Und wann ist die griechische Wirtschaft zum letzten Mal um 30 % abgestürzt? Noch nie, nicht mal im 2. Weltkrieg!
zoing
7. August 2015 @ 10:46
Unbewiesene Theorie?
Erstens kann man gemäß Popper Theorien nicht beweisen, nur widerlegen.
Man kann allerdings eine Theorie belegen.
Und, zweitens, die Evolutionstheorie gilt als belegt, aufgrund unzähliger Belege.
Wenn Sie nicht wissen, was die Vorfahren der Primaten waren, warum lesen Sie es nicht nach?
Carlo
7. August 2015 @ 14:31
Eine Theorie ist eine Theorie und kein Naturgesetz. Nur weil es Belege gibt ist damit nichts bewiesen. Eine experimentelle Nachvollziehbarkeit ist bisher nicht gegeben. Daher ist diese Theorie auch nicht widerlegbar.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn sie mir ein paar Literaturhinweise zukommen lassen, in denen die Entwicklungslinien von Lebewesen lückenlos erfasst sind, inklusive der notwendigen Übergangsformen.
Peter Nemschak
6. August 2015 @ 19:20
…das menschliche Verhalten hat sich seit der Urzeit nicht wirklich verändert. Sie können es Natur- oder Sozialgesetz nennen. Auch der Kommunismus ist daran gescheitert.
Carlo
6. August 2015 @ 20:55
Was wissen Sie über die Menschen aus der Urzeit? Vorhin waren wir noch bei der Evolution?
Von welchem Naturgesetz sprechen wir jetzt und was sind Sozialgesetze der Urmenschen? Kannten die Urvölker tatsächlich so etwas wie ein Sozialgesetzbuch?
Kannten die Urmenschen auch Geld und Zinsen und waren sich über deren systemische Wirkung bewusst?
Und welchen Kommunismus meinen Sie? Die freiheitsfeindlichen Systeme unter Stalin, Mao, Ulbricht und Co? War das Kommunismus?
Nicht dass wir uns falsch verstehen, ich bin kein Anhänger kommunistischer Ziele. Ich interessiere mich grundsätzlich nicht für Ideologien und Parteien.
Peter Nemschak
7. August 2015 @ 08:03
… Neid, Gier, Missgunst und so gut wie alles in den 10 Geboten Beschriebene gab es schon immer. Warum sollte sich die Menschheit geändert haben. Alte Eliten werden durch neue ersetzt, welche Sonderrechte für sich beanspruchen und die offene Gesellschaft gefährden. Jedenfalls geht es heute der Mehrheit absolut gesehen besser als im letzten Jahrhundert und davor. Selbst in den Entwicklungsländern ist die absolute Armut zurückgegangen. Dass die griechischen Probleme hausgemacht sind, lässt sich in Zeitungsartikeln nachlesen, die vor mehr als 100 Jahren erschienen sind. Nur gab es damals noch nicht die EU als Sündenbock.
Carlo
7. August 2015 @ 14:25
Natürlich gibt es die beschriebenen Eigenschaften. Sie sind sicherlich in allen Menschen mehr oder weniger stark vorhanden. Aber die Menschen kennzeichnen sich ebenfalls (mehr oder weniger) durch Gemeinsinn, Kooperation, Liebe, Solidarität, Opferbereitschaft, Empathie.
Natürlich gibt es Eliten. Keine Frage. Die Fragen wären warum gibt es sie, was macht sie dazu? Was ist deren Machtgrundlage?
Wenn ich mich nach den von Ihnen aufgezählten Eigenschaften orientiere, müssten sich, nach Ihrer “Theorie”, stellen die Eliten eine Negativauswahl dar. Das glaube ich aber nicht.
Ob es jemandem besser oder schlechter geht, kann nur der Betroffene selbst beurteilen. Besser und Schlechter sind immer von einem Verhältnis abhängig und können Zustände nicht absolut beschreiben. Mit der Mehrheit ist es ebenso. Mehrheit von was?
Wenn sich ein krebskranker Grieche keine Medikamente mehr leisten kann, aber dafür vor einem Farb-TV verreckt, geht es ihm dann besser als einem griechischen Krebskanken, für den es vor 100 Jahren keine Medizin gab? War das Hungergefühl griechischer Kinder von 100 Jahren anders als heute? Waren Frauen in Griechenland vor 100 Jahren bei einer Hausgeburt glücklicher, wenn sie ihr Baby in den Arm bekamen, als die heutigen, die teilweise ihre Babys nur ausgehändigt bekommen, wenn sie die Krankenhausrechnung cash bezahlt haben?
Sie sehen alles ist sehr relativ. Und das waren nur Beispiele aus Griechenland.
Natürlich sind Probleme in Griechenland zum Teil hausgemacht. Aber in wessen Haus? Der Euro ist nicht der Schuldige in diesem Spiel. Er hat funktioniert, wie er konzipiert war. Er war bestenfalls ein Katalysator. Die Probleme wären über kurz oder lang auch mit der Drachme entstanden.
Aber das ist ein Thema, welches, von Neoliberalen, stets geschickt umgangen wird und wozu Sie sich ebenfalls nicht äußern:
Die Entstehung und systemische Wirkung von Geld und Zinsen.
Peter Nemschak
6. August 2015 @ 09:22
Ob sich Deutschland auf Dauer durchsetzen wird, wird die Zukunft zeigen. In der Evolution hat sich immer das robustere und besser an die Erfordernisse der Umwelt angepasste System durchgesetzt, solange, bis es von einem vitaleren System abgelöst wurde. An diesem Bauprinzip der Evolution wird sich nichts ändern. Bestenfalls kann man die negativen Folgen für die Betroffenen abmildern.
Carlo
6. August 2015 @ 14:02
Wovon schreiben sie da? Was waren denn die Vorfahren der Primaten und was waren deren Vorfahren usw.? Sie wollen eine unbewiesene Theorie zur Begründung von einem Wirtschaftssystem verwenden? Welcher Elefant versklavt seine Artgenossen und lässt sie für sich arbeiten oder welcher Fuchs oder Hamster tut das? Welche Tierart hat je eine andere komplett ausgerottet?
Wenn sie mich fragen: Ich kann ihnen keine Antwort darauf geben. Aber ich bin sicher, das die Natur Gesetzmäßigkeiten unterliegt, die nicht vom Menschen gemacht sind. Wirtschaftsysteme dagegen sind vom Menschen gemacht und können vom Menschen verändert und zum Wohle aller funktionieren.
Nicht die Evolution ist dafür verantwortlich, ob sich politische und ökonomische Eliten in Deutschland, nicht Deutschland, anpassen müssen, sondern ob sich andere Menschen auf Dauer das finanzielle Diktat dieser Eliten bieten lassen.
Wirtschaft ist kein Naturgesetz.