Deutsches Europa (IV)
SOMMERSERIE: Seit dem Griechenland-Debakel ist das “deutsche Europa” in aller Munde. Dabei ist die deutsche Dominanz in Euroland nicht neu, wie diese vierteilige Serie mit Beiträgen aus diesem Blog zeigt.
TEIL 4, Repost vom 3.7.2015
Es hätte eine demokratische Reifeprüfung für EUropa werden können: Das Referendum über den Sparkurs in Griechenland. Doch Berlin, Brüssel und Frankfurt funktionieren die Volksabstimmung zu einem Tribunal gegen Syriza um – sie wollen ein Exempel statuieren.
Erinnert sich noch jemand an Juli 2012? Schon damals stand Griechenland am Abgrund, die Eurogruppe verweigerte Hilfe, Deutschland schrie „Grexit!“. Tsipras war noch nicht da, Merkel und Schäuble schon.
Jetzt wiederholt sich die Geschichte – weil unsere Politiker nichts aus ihr gelernt haben, nichts lernen wollten. Wieder wird ein Exempel an Griechenland statuiert, wieder treiben es die Chefs auf die Spitze.
Hier das – unvollständige – Programm der Züchtigung, wie es sich diese Woche dem staunenden Publikum präsentierte:
- Da ziehen die Gläubiger ihr Memorandum – pardon: ihr „Angebot“ – just in dem Moment zurück, da Athen ein Referendum ansetzt. Merke: Wage es nicht, das Volk zu befragen!
- Da dreht die EZB den Geldhahn zu, obwohl die griechischen Banken Kredite nötiger haben denn je. Merke: Geldpolitik ist POLITIK – Geld gibt es nur gegen Wohlverhalten.
- Da werden Gespräche in dem Moment abgebrochen, da Tsipras wichtige Konzessionen macht und sie in einen Gegenentwurf einbettet. Merke: TINA – There is no alternative.
- Da wird eine Kontaktsperre über eine gewählte Regierung verhängt – auf deutsche Weisung. Merke: Merkels Wunsch ist EUropas Befehl, Frankreich (das weiterreden wollte) kuscht, wenn es ernst wird.
- Da droht ein Niederländer mit dem Grexit, wenn die Griechen nicht brav Ja sagen. Merke: Dieses ist keine WährungsUNION, sondern ein exklusiver Club, in dem nur die Bonität zählt.
- Da fordert ein Karlspreisträger und gescheiterter Spitzenkandidat, den griechischen Premier zu stürzen und eine Technokratenregierung einzusetzen. Merke: Mir fehlen die Worte!
Über all das könnte man achselzuckend hinweggehen, ginge es „nur“ um Griechenland. Doch Griechenland interessiert „uns“ schon gar nicht mehr, wie Merkel in ihrer unvergleichlichen Art deutlich gemacht hat.
Nein, das Exempel gilt nicht oder nur noch am Rande den „Pleite-Griechen“, die nur noch die Wahl zwischen Pest (Memorandum) und Cholera (Grexit) haben sollen, also keine.
Das Exempel wird für „uns alle“ statuiert – damit niemand mehr auf die Idee kommt, die ehernen Regeln im deutschen Europa in Frage zu stellen! Der nächste Test wird übrigens Spanien sein…
Hiermit endet die kleine Sommerserie. Mehr zum deutschen Europa hier.
Peter Nemschak
9. August 2015 @ 11:35
Und wie erklären Sie Venezuela? Schuld sind aus Ihrer Sicht sicher die USA. Mit einer unternehmerfeindlichen Ideologie wie wir sie nicht nur in Griechenland sondern auch in Frankreich derzeit sehen, werden Sie kein Wachstum zusammenbringen, das sie verteilen können. Wer soll denn investieren, wenn nicht die Vermögenden? Nehmen Sie ein anderes positives Beispiel des Kapitalismus: Singapur. Zum weitaus überwiegenden Teil hat sich die Menschheit für Individualismus und Kapitalismus entschieden, selbst im ehemals maoistischen China, offenbar, weil das System unter den möglichen Alternativen die relative beste Alternative darstellt und ungemein anpassungsfähig ist. Was Solidarität, ein Lieblingswort der Linken betrifft, funktioniert sie ungleich besser auf individueller als auf Makroebene. Menschen spenden einerseits großzügig für Bedürftige, andererseits wenn es um das Steuerzahlen geht, bedienen sie sich gerne der Schattenwirtschaft, um Steuern zu vermeiden. Erklären Sie den Menschen in Deutschland, warum sie finanziell für das jahrzehntelange Politikversagen im Süden finanziell aufkommen sollen.
OXIgen
9. August 2015 @ 15:54
@Peter Nemschak
Venezuela könnte man Ihnen durchaus in relativ wenigen, einfachen Sätzen erklären, wenn Sie zu diesem Thema Nachhilfe benötigen. Klar sind die USA Schuld, dass wissen sogar die USA selber. Aber hier geht es um Europa.
Das mit den “unternehmerfeindlichen Ideologien” und dem Wachstum ist etwas schwieriger. Wachstum im Kapitalismus wird immer nur in eine Richtung verteilt, nämlich nach oben. Es nach unten zu verteilen, hieße Sozialismus. Das Wort alleine dürfte Sie schon in Schnappatmung verfallen lassen. Von der Tatsache, dass es in einem endlichen System kein unendliches Wachstum geben kann, will ich, Ihrer Gesundheit zuliebe, gar nicht erst reden.
In einem muss ich Ihnen zustimmen: Solidarität funktioniert auf der Individualebene tatsächlich besser. Dies aber nicht, weil gute Menschen den Bedürftigen großzügig spenden, sondern weil es auf der Makroebene keine Solidarität gibt
winston
9. August 2015 @ 08:02
Carlo
Das Griechische “Geldsystem” liegt in Frankfurt und heisst EZB. Die EZB ist nichts anderes als eine Kopie der BUBA, das war u.a. eine der Bedingungen Deutschlands für den Euro. Sie verfolgt explizit deutsche Interessen, dies konnte man deutlich in den Jahren 2003-5 beobachten, als Deutschland eine innere Abwertung von 15% durchführte während Spaniens, Griechenlands, Irlands, Portugals Volkswirtschaften völlig überhitzten. Sie brauchten dringend eine deutliche Leitzinserhöhung um die Volkswirtschaft abzukühlen, die EZB tat aber nix um Schröders Agenda nicht zu gefährden. Deutschland profitierte massiv von den überhitzten Volkswirtschaft, den der kollabierende deutsche Binnenmarkt wegen Agenda 2010 konnte mit Exporten in den heutigen Krisenländer gegen bilanziert werden, natürlich alles auf Pump und Kredit. Hätte Deutschland die DM gehabt wäre eine innere Abwertung nicht möglich gewesen, den die anderen Staaten hätten sofort mit einer äusseren Abwertung von 15% reagiert und der ganze Vorteil wäre verpufft.
Die EZB verfolgt ausschliesslich neoliberale Ziele, Abschaffung des Sozialstaates, Privatisierungen, Lohn und Pensionskürzungen und setzt das, wenn es sein muss mit Gewalt und Erpressung durch, siehe Zypern und Griechenland, wenn der Staat nicht spurt, schneidet man kurzerhand die Geldversorgung ab, fertig, das wird sich auch nicht ändern. Es gibt nur eine Möglichkeit dies zu ändern, aus dem Euro austreten und die Zentralbank unter Staatlicher Kontrolle setzen, alles andere führt zu nix. Griechenland hat eine 60% überbewertete Währung und wird innerhalb des Eurosystems niemals auf die Beine kommen, im Gegenteil, die Volkswirtschaft erodiert immer mehr, gilt nicht nur für Griechenland. Die Euro-Zone ist ein abgrundtiefes Neoliberales Konstrukt da die Euro-Zone kein Staat ist. Die Regierungen haben keine Macht, der Markt setzt sich auf ganzer Linie durch, wesentlich schlimmer als Chile der Chicago Boys und wie in Chile wird sich Europa erst erholen wenn man dieses Konstrukt zum Teufel jagt, allen voran die EZB. Entweder wacht die Europäische Linke auf und setzt dem ganzen Wahnsinn ein Ende oder die Europäischen Rechtsradikalen werden in den nächsten 5-10 Jahren massiv an Macht gewinnen.
Die Chilenische Volkswirtschaft rutschte als Hayek und die Chicago Boys dort rumpfuschten in eine tiefe Rezession, Chile erholte sich erst wieder als sie die Chicago Boys zum Teufel jagten, soviel zu Chile.
Übrigens wollte Hayek das Chile Experiment auch in UK anwenden, erhielt aber von Thatcher ein Tritt in den Arsch.
Carlo
9. August 2015 @ 13:52
@ Winston
Ich will es kurz machen. Sie beschreiben die Fehler des europäischen Währungssystem, die ich ebenfalls so sehe. Ich meinte aber tatsächlich eine “Modernisierung” des Geldsystems. Das heißt, die Art und Weise wie Geldzeichen erzeugt werden und wer deren Menge kontrolliert. Das können die Griechen in Athen ändern, aber nicht in Frankfurt.
Ich hoffe, damit sind die Unklarheiten beseitigt.
OXIgen
9. August 2015 @ 15:15
@winston
Ich kann Ihrem Kommentar nur zustimmen. Die Euro-Zone ist in der Tat ein Konstrukt, dass sich jeglicher demokratischen Kontrolle entzieht, ausschließlich Kapitalinteressen dient und deshalb schleunigst aufgelöst werden muss.
Die Europäische Linke befindet sich in einem schweren Dilemma, denn in ihren Reihen geht ein Gespenst namens Nationalismus um. Allein die Vorstellung, dass die EZ-Staaten ihre volle nationale Souveränität und ihre Währungshoheit wieder zurück bekommen könnten oder sollten, löst bei den meisten Linken ideologische Beissreflexe aus. Das wird als Rückfall in die europäische Steinzeit gedeutet, da werden sogar innereuropäische Kriegsgefahren heraufbeschworen, nur um nicht als Anti-Europäer dazustehen. Oskar Lafontaine brachte es auf den Punkt: “Der Euro ist ein Rückschritt im historischen Projekt der europäischen Integration” und wurde dafür von den eigenen Genossen angefeindet.
So lange dieses Euro-Tabu innerhalb der Linken nicht gebrochen ist, werden Sie leider vergeblich auf ein Aufwachen warten müssen. Ich frage mich manchmal, wie wir in einem friedlichen Europa vor dem Euro überhaupt leben konnten.