Die Sanktionen zielen nicht (nur) auf Russland
Sanktionen, neue Sanktionen, noch mehr Sanktionen: Die USA und die EU strafen Russland gnadenlos ab, mittlerweile ist das Land schon “Sanktions-Weltmeister”, noch vor Iran oder Nordkorea. Doch wozu soll das gut sein?
Ich habe mich in Brüssel umgehört – und keine befriedigenden Antworten bekommen. Man wolle den Preis für Putin hoch treiben, das Land isolieren, die Wirtschaft ruinieren – alles klingt nach Strafe, nichts nach Strategie.
Die einzige Strategie, die der Westen mal hatte – mit Sanktionsdrohungen von einem Krieg abzuschrecken – ist gescheitert. Immer neue Sanktionen werden daran auch nichts mehr ändern und den Krieg nicht stoppen.
Im Gegenteil: Sie tragen zur Eskalation bei, wie die jüngste russische Drohung mit einem Lieferstopp bei Nord Stream 1 zeigt. Gewinnen würde dabei niemand, verlieren würden vor allem Deutschland und die EU.
Warum geht dieses böse Spiel trotzdem immer weiter? Mal abgesehen von emotionalen Motiven wie Rache und Vergeltung gibt es dafür auch sachliche, “gute” Gründe. Sie zielen allerdings nicht auf Russland.
- Ziel Nummer eins: Den Westen zusammenhalten und die EU dauerhaft an die USA binden. Je mehr Russland von EUropa abgeschottet wird, desto weniger kann sich ein eigenständiger, europäischer “Gegenpol” zu den USA bilden.
- Ziel Nummer zwei: Das Ende des deutschen “Sonderwegs”. Die enge Zusammenarbeit zwischen Berlin und Moskau war Amerikanern, Polen und Balten immer schon suspekt. Die erzwungenen Sanktionen bei SWIFT und NS2 haben Schluß damit gemacht.
- Ziel Nummer drei: China. Hier liegt wohl der eigentliche Schlüssel für die harten Wirtschaftssanktionen. Vor allem die USA wollen China zeigen, “wo der Hammer hängt” – und das Reich der Mitte von Krieg (etwa gegen Taiwan) abschrecken.
Allerdings sind sie im Begriff, zu überziehen. Ein unilateral verhängtes Öl-Embargo würde den Westen spalten. Und allzu harte Sanktionen treiben Russland in die Arme Chinas und verhindern einen Iran-Deal – was die Gefahr für den Weltfrieden weiter erhöht…
Siehe auch Die Sanktionen wirken – doch was bewirken sie?
european
10. März 2022 @ 13:52
Russland schlägt zurück:
https://www.russland.capital/iswestija-russland-koennte-59-auslaendische-unternehmen-verstaatlichen
“Nach Angaben der Zeitung umfasste die Liste 59 Unternehmen, die angekündigt hatten, ihre Geschäftstätigkeit in Russland einzustellen, ohne den Verbrauchern Garantien zu geben. Dazu gehören Volkswagen, Apple, IKEA, Microsoft, IBM, Shell, McDonald’s, Porsche, Toyota, H&M und andere.”
und weiter
“Pawlow wies darauf hin, dass sich die Gesamtverpflichtungen dieser Unternehmen gegenüber den Bürgern, dem Staat und den Auftragnehmern auf mehr als 6 Billionen Rubel belaufen. Ihm zufolge entspricht dieser Betrag den Einnahmen, die in den letzten drei Jahren in Russland erzielt wurden.”
european
9. März 2022 @ 16:30
Dazu sollte man auch Michael Lüders zuhören. Sachlich, fundiert und nüchtern analysiert:
Warum wir aus dem Schatten der USA heraustreten müssen:
https://www.youtube.com/watch?v=guvRyvLEiJE
european
9. März 2022 @ 10:16
Sie haben Recht.
Wir Europäer sollten viel mehr kritische Fragen stellen. Leider fehlt uns das qualifizierte Personal dafür.
Thomas Fiedler
9. März 2022 @ 09:36
Makroökonomisch und geopolitisch gut gedacht, aber vielleicht kommen ja die wirklich harten Wirkungen „über Bande gespielt“: Wenn bei Berezovskys, Fridmans, Guzisnkys und tutti quanti die Schweizer Internate dritte Mahnungen wegen ausbleibender Zahlungen schicken, die lange bestellte Gucci-Tasche nicht mehr ausgeliefert werden kann und für den Range Rover am Moskauer Wohnsitz keine Ersatzteile mehr lieferbar sind, könnte es sein, dass im großen Oligarchen-Bärengehege das Knurren ausbricht. Wenn dann die nach „Bling-Bling“ hechelnde Nomenklatura nachgeordneter Ebenen ihre Türkei-Urlaube, Kreuzfahrten und Rolex-Uhren abschreiben kann, könnte auch dem systemtreuesten Kader – anders als dem ideologisch sedierten „Normalbürger“ – auffallen, dass es Wladimir Wladimirowitsch war, der die ganze Malaise verursacht hat, und nicht der böse Westen. Wenn die guten französischen Rotweine, italienischen Blauschimmelkäse und BMWs wirklich unerreichbar werden und sich selbst wohlhabende Russen und ihre Entourage mit russischem Käse und chinesischen Autos begnügen müssen und ihre geldgeile, vergoldete Distinktion vom „einfachen Volk“ austrocknet, dann könnte – und sollte – sich das Bärengehege zusammenraufen, Putin ‘liebevoll’ umarmen und ihm zuflüstern „Wladimir Wladimirowitsch, es reicht, geh!“ Bei der Betrachtung von Autokraten und Diktatoren wird oft vergessen, dass sie keine bloß um sich selbst kreisenden Halbgötter sind, sondern auch Geld, Beziehungen und Handlanger brauchen. Der Spruch des alten Hansemann gilt immer noch: „Beim Gelde hört die Freundschaft auf.“ Vor allem, wenn man es hat und nicht mehr ausgeben kann.