Wird von der Leyen “halbe” Spitzenkandidatin?
Was wird aus von der Leyen? In ihrer Rede vor dem Europaparlament hat die scheidende Kommissionschefin keine Antwort gegeben. Nun gibt es neue Spekulationen.
Ausgangspunkt ist die Meldung, dass VDL nicht in ihrer Heimat Hannover bei der Europawahl antreten will. Dennoch könne sie Spitzenkandidatin der EVP werden, schrieb der “Rundblick” aus Niedersachsen.
Danach erschien dieselbe Geschichte auf “Politico”, dann in der “Süddeutschen”. Angeblich haben mehrere EVP-Politiker bestätigt, dass die CDU-Politikerin auch ohne Mandat als “Spitze” antreten darf.
Dies ist mit Vorsicht zu genießen. In der EVP entscheidet einer – M. Weber. Und von ihm haben wir noch nichts gehört. Offiziell ist auch noch immer nicht geklärt, wie das Wahlverfahren 2024 laufen soll.
Klar ist nur eins: Ohne eigenen Wahlkreis und direktes Mandat hätte von der Leyen immer noch keine demokratische Legitimation – niemand könnte sie nach Brüssel bzw. Straßburg wählen, nichtmal in Hannover.
Wenn die EVP sie trotzdem aufs Schild heben sollte, so macht sie sie zur “halben”, ungewählten Spitzenkandidatin. Diese Position wird damit entwertet, das gewählte EU-Parlament würde erneut geschwächt…
P.S. Scharfe Kritik kommt von den Europa-Grünen: “If this confirms, it would be an unacceptable denial of European democracy. As Greens we are fighting for European citizens to have a say in who leads the European Union. But if the scenario described by Politico materialises, von der Leyen will be hiding from the citizens on the days of the European elections in June 2024”. Die deutschen Grünen schweigen…
Kleopatra
18. September 2023 @ 07:53
In den meisten parlamentarischen Systemen wird der Regierungschef vom Staatschef ernannt / vorgeschlagen und benötigt für seine Amtsführung das Vertrauen / die Zustimmung des Parlaments. Das heißt, dass generell der Regierungschef kaum je unmittelbar gewählt wird; gewählt wird normalerweise das Parlament, ohne dessen Zustimmung er nicht regieren kann. (Der Präsident der USA ist das seltene Gegenbeispiel eines Regierungschefs, der von den Wählern, wenn auch indirekt, gewählt wird; dafür braucht er nicht das Vertrauen des Parlaments).
Ungefähr dasselbe geht im Europäischen Parlament vor. Der Rat schlägt einen Kandidaten für die Stelle des Kommissionspräsidenten vor, das Parlament kann ihn bestätigen oder ablehnen. Wenn das Parlament sich Kandidaten gefallen lässt, die ihm gegen den Strich gehen, ist nicht das System daran schuld. UvdL hat im Parlament eine Mehrheit für sich und ihre Kommission bekommen.
Das im Parlament propagierte „Spitzenkandidatensystem“ ist wenig funktional, nicht verbindlich (nicht in en Verträgen verankert) und nicht vollständig durchdacht – was passiert denn, wenn eine Partei die meisten Sitze, aber nicht die meisten Stimmen bekommt? Warum sollte eine Partei, die die meisten Sitze hat, aber weit von einer Mehrheit entfernt ist, den Kommissionsvorsitz bekommen?
ebo
18. September 2023 @ 10:23
In einer parlamentarischen Demokratie bemüht sich der/die Regierungschef/in um einen Wahlkreis. So hat Kanzler Scholz den Wahlkreis 61 in Potsdam gewonnen – witzigerweise gegen seine spätere Außenministerin Baerbock. In Frankreich, einer präsidentiellen Demokratie, wird der Staatschef sogar direkt gewählt. Die EU ist mit beiden Modellen nicht zu vergleichen. Von der Leyen hat sich noch nie dem Votum des Volkes gestellt – und sie hat dies offenbar auch nicht vor. Das beschädigt ihre persönliche Glaubwürdigkeit und die Legitimität des Amtes.
Davon abgesehen haben sie recht: Das Spitzenkanidatensystem ist dysfunktional und 2019 definitiv gescheitert. Es ist jedoch unredlich, weiter mit Spitzenkandidaten aufzutreten, wenn man klammheimlich die Regeln ändert!
KK
16. September 2023 @ 11:48
@ ebo:
“Sie bleibt dann die CDU-Dame, die aus Berlin entfernt und in Brüssel eingesetzt wurde…”
Nicht eher die McKinsey- und Pfizer- als CDU-Dame?
Jedenfalls wenn es darum geht, wem sie sich mehr verpflichtet fühlt… und parteipolitisch sitzt sie doch inzwischen eher auf einem grünen Stuhl, jedenfalls was Umwelt, Bellizismus und Doppelmoral betrifft.
ebo
16. September 2023 @ 12:10
Das schließt sich ja nicht aus…
Kleopatra
16. September 2023 @ 08:43
Wenn die EVP vor der Wahl erklärt, UvdL als Kommissionspräsidenten unterstützen zu wollen, dann kann das durchaus auch gelten, wenn sie nicht für das Parlament kandidiert (d.h. alle Stimmen für die EVP könnten auch dann als Stimmen für UvdL angesehen werden). M.E. dürfte sie als Kommissionsmitglied ohnehin nicht gleichzeitig Abgeordnete sein, warum sollte sie sich also um einen Parlamentssitz bewerben, auf den sie sofort wieder verzichten müsste? Und wenn die EVP für sie als potenzielle Kommissionspräsidentin werben wollte, inwiefern würde sie sich „vor der Öffentlichkeit verstecken“? Die meisten Wähler können ohnehin einem konkreten Kandidaten nie ihre Stimme geben (weil sie nämlich in anderen Mitgliedstaaten wahlberechtigt sind als dem, in dem der Kandidat kandidiert).
ebo
16. September 2023 @ 11:09
Selbstverständlich kann die EVP die von den Staats- und Regierungschefs eingesetzte amtierende Komissionspräsidentin unterstützen und in eine zweite Amtszeit schicken. Doch wenn sich VDL sich weder einer innerparteilichen Wahl noch dem Votum der Bürger stellt, dann fehlt ihr jede demokratische Legitimation. Sie bleibt dann die CDU-Dame, die aus Berlin entfernt und in Brüssel eingesetzt wurde…
Kleopatra
16. September 2023 @ 16:15
@ebo: Wenn das EP ihr das Vertrauen ausspricht (in der dort verwendeten Terminologie: sie “wählt”), verfügt sie über die übliche politische Legitimation eines Regierungschefs in einem parlamentarischen System. Mehr Legitimation sehen die Verträge nicht vor.
KK
15. September 2023 @ 22:11
Sollen sie es doch machen wie die Chinesen: Auf Lebenszeit!
Was soll die Farce mit den teuren Wahlen noch? Die EU hat eh kein Geld mehr für son Scheiss, das geht alles in die Ukraine und in die Rüstung!
Katla
15. September 2023 @ 19:51
„…Herrschaftsgewalt aus eigenem Recht ohne fremde Ermächtigung“.
Diese passenden Worte stammen aus Wikipedia – nur eben nicht aus dem Artikel über „Demokratie“.