Testen, testen, testen – und dann?
Berlin und Brüssel reagieren planlos auf die zweite COVID-Welle, die Außenminister blockieren sich bei Sanktionen gegenseitig – und Ungarn kungelt mit deutschen Autokonzernen: Die Watchlist EUropa vom 21. September 2020.
Erst Spanien, dann Frankreich, nun auch noch Österreich und Deutschland: Überall gehen die Corona-Zahlen in die Höhe, das “Infektions-Geschehen” gerät außer Kontrolle. Das ist zwar noch kein Drama, weil es bisher nur wenige Erkrankungen und noch weniger Tote gibt. Grund zur Sorge gibt es trotzdem.
Denn die auch von der EU propagierte Strategie des “Testen, testen, testen” zeigt keine Wirkung. Die wöchentlichen Infektionszahlen in Europa übersteigen inzwischen die Werte der ersten Hochphase im März.
“Die Zahlen vom September sollten ein Alarmsignal für uns alle sein”, erklärte der Europadirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Hans Kluge. Wenn es so weiter gehe, würden bald auch wieder die Todeszahlen ansteigen.
Doch die EU tut – nichts. Die Bundesregierung hatte zu Beginn des EU-Vorsitzes zwar eine “Corona-Präsidentschaft” versprochen. Doch außer einer Reisewarnung für Brüssel ist wenig passiert. Gesundheitsminister Spahn hat nicht ‘mal eine Sondersitzung einberufen.
Auch die EU-Kommission überschlägt sich nicht. Unter Führung von Dr. Med. von der Leyen – Spezialgebiet: Epidemiologie – hat die Brüsseler Behörde empfohlen, mehr Tempo bei den Corona-Tests zu machen. Binnen 24 Stunden sollen Ergebnisse vorliegen.
Doch das klappt nicht einmal in Brüssel, weshalb Reisen etwa nach Berlin kaum noch möglich sind (dort muß man Testergebnisse aus den letzten 48 Stunden vorweisen, was kaum je klappt). In Frankreich muß man sogar bis zu einer Woche warten.
Dort ist die Teststrategie bereits krachend gescheitert. Weil sich viel zu viele Menschen auf Corona checken lassen und die Zahlen immer mehr ansteigen, kommen weder Labors noch Mediziner hinterher.
Prekär ist die Lage auch in Spanien und UK. In Madrid werden nun ganze Viertel abgeriegelt, in London wird ein zweiter Lockdown erwogen. Derweil bauen deutsche Krankenhäuser die Kapazitäten für Corona-Patienten ab.
Von einer EU-weiten Koordinierung ist nichts zu sehen, von einer gemeinsamen Strategie schon gar nicht. Dabei hatten von der Leyen & Co. doch mehr “Resilienz” versprochen, also Standhaftigkeit und Krisenfestigkeit…
Alles zur Coronakrise hier
Watchlist
Kommen jetzt doch noch EU-Sanktionen? Darüber wollen am Montag die Außenminister diskutieren. Gegen Belarus sollten schon längst Strafen verhängt werden. Doch Zypern hat sein Veto eingelegt, weil es auch Sanktionen gegen die Türkei fordert – die der deutsche EU-Vorsitz nicht will. Und dann ist da noch der Fall Nawalny: Das Europaparlament will Nord Stream 2 kappen, doch auch das will Deutschland nicht… – Mehr hier
Was fehlt
Neue Erkenntnisse zum Mercosur-Abkommen. Nach einer geleakten Studie führt der Freihandelsdeal der EU zu mehr Brandrodung im Amazonas. Berlin und Brüssel versuchen dennoch, das umstrittene Abkommen voranzutreiben – zur Not auch mit Tricks. So könnte der Deal aufgesplittet werden – mit dem Ergebnis, dass einzelne Länder wie Frankreich kein Veto mehr einlegen könnten… – Mehr hier
Das Letzte
Warum schonen Kanzlerin Merkel und die CDU/CSU immer wieder Ungarn und die regierende Fidesz-Partei? Das könnte an den guten Connections der deutschen Autokonzerne nach Budapest liegen, wie ein brisanter Bericht des ungarischen Portals Direkt36 nahelegt. VW & Co. hätten einen direkten Draht zu Regierungschef Orban – und der nutze ihn, um in Berlin und Brüssel dafür zu sorgen, dass nichts anbrennt…
Kleopatra
24. September 2020 @ 19:43
Das erste europäische Land, das mit zu vielen Tests schlechte Erfahrungen machte, ist Luxemburg: die sind anscheinen seit längerem in der Lage, praktisch die gesamte Einwohnerschaft und die Grenzpendler immer wieder zu testen. Ergebnis schon im Frühsommer: hohe “festgestellte Infektionszahlen” und Probleme mit den deutschen Nachbarn. In Deutschland wurde weniger getestet, daher gab es in Deutschland weniger positive Ergebnisse. In Wien hat seit einiger Zeit die rot-güne Stadtregierung füralle heimkehrenden Urlauber (selbst wenn sie in Österreich außerhalb Wiens gewesen waren) kostenose Tests angeboten. Ergebnis: eine Reisewarnung von Deutschland.
Das Vernnftigste wäre daher wohl, sowenig wie möglich zu testen. Solange Deutschland für Reisewarnungen das idiotische Kriterium “gemeldete Zahlen durch Einwohner” anlegt, und solange große Teile der EU wirtschaftlich auf ungestören Reiseverkehr mit Deutschland angeiesen sind, ist ein intensives Testwesen ein Luxus, den sich die anderen Mitgliedstaaten der EU nicht leisten können und sollten.
ebo
24. September 2020 @ 20:34
Gute Empfehlung! Belgien sollte auch weniger testen, damit ich endlich wieder nach Deutschland reisen darf 🙂
Übrigens hat Bayern denselben Fehler gemacht. Zu viel getestet – prompt steckt München im Schlamassel. Dagegen Berlin – naja…
Fritz - Ulrich Hein
21. September 2020 @ 10:25
Ich lese und höre immer von Infizierten, kaum von Erkrankten. Wenn von 1.000 Getesteten 100 infiziert, aber niemand erkrankt ist, liegt für mich die Rate bei Null.
hyperlokal
21. September 2020 @ 08:07
Ist die Ursache für die steigenden Infektionszahlen so schwer zu verstehen? Trotz Testen steigen die Infektionszahlen? Nein. Die Infektionszahlen steigen, weil viel getestet wird. Die Tests, auch die geplanten billigen 15 Minuten Tests, haben alle einen “Falsch Positiv”-Fehler zwischen 1 bis 2 Prozent. Wenn ich hundert Männer mit einem Schwangerschaftstest messe und 2 davon sind schwanger, dann beträgt die Falsch-Positiv-Rate 2 Prozent. Und wer behauptet, dass die PCR-Tests keinen Testfehler haben, der lebt hinterm Mond oder will uns was erzählen.
Bei 100.000 Tests pro Tag (hier in D vor etwa 5 Wochen) und einer FP-Rate von 1,4% (Drosten-Test) haben wir 1400 Neuinfizierte. Und was meldete das RKI vor 5 Wochen? ~1400 Neuinfizierte. Z.Z. haben wir ca. 200.000 Tests pro Tag und was meldet das RKI heute? ~2000 Neuinfizierte. Damit dürfte klar sein, dass die vermeldeten absoluten Infiziertenzahlen nur wegen der Zunahme der Tests steigen. Die Infektionsrate sinkt aber tatsächlich (Verhältnis Infektionen / Zahl der Tests). Nur wird die nie verkündet! Das kann man in alle europäischen Ländern ebenfalls beweisen durch simple Mathematik.
Hier wird wohl Ursache und Wirkung miteinander vewechselt und wer mehr billige Tests fordert, der handelt unverantwortlich.
ebo
21. September 2020 @ 08:49
Das mag für Deutschland zutreffen. In Spanien, Frankreich und Belgien ist es leider anders. Hier steigt auch die Infektionsrate, und es gibt wieder mehr Hospitalisierungen…
Holly01
21. September 2020 @ 18:10
@ ebo:
Können Sie denn erkennen, auf welcher Basis die Hospitalisierungen erfolgen?
Sind das Aufnahmen wegen Symptomen?
Wird da zwischen Grippe und Covid-19 unterschieden?
Welche Tests werden denn durchgeführt?
Die Qualität der Testungen ist ja durchaus unterschiedlich.
Kurz und knapp, gibt es denn irgend welche harten Fakten oder ist das nur wieder der verzweifelte Versuch der Politik und des Pharmaorchesters, das Covid-19 Regime Gewinn bringend auszudehnen?
In Deutschland werden gerade die Intensivbetten wieder für “normale” Fälle frei gegeben, nachdem die Monate lang leer standen.
Im Großen und Ganzen kann man einen enormen Privatisierungsschub beobachten und ein Auszehren der Krankenhausfinanzen.
Private überbrücken das, in Erwartung der zukünftigen Gewinne. Der Rest kann den Laden verkaufen …. an eben diese Privaten die sich die Hände reiben.
Was ich vermisse ist Fakten hinter den Zahlen.
vlg
ebo
21. September 2020 @ 18:27
In Marseille sind die Intensivstationen voll. In Brüssel laufen die Leute in die Notaufnahme, um sich testen zu lassen. Bei den Bestattern habe ich noch nicht nachgefragt…
hyperlokal
21. September 2020 @ 20:05
Ich leses jetzt im Mainstream “Marseille, Marseille, Marseille ….” So werden wir tagtäglich bombardiert immer aus den gleichen einschlägigen Quellen. In Frankreich, Spanien, Belgien, GB, … kann sich jetzt fast jeder testen lassen. Das steht auch uns bald bevor. Es werden jetzt die ganz billigen und schlechten Tests rausgebracht (15 min, 3 min). Dadurch steigt die Anzahl der Tests von Leuten OHNE SYMPTOME und damit die Fehlerquote und damit die absoluten Fallzeiten, aber die auf die Tests bezogenen Fallzahlen sinken überall !!!! Bitte nachrechnen und nicht einfach das verkünden, was eine Zeitung schreibt.
https://www.nzz.ch/international/corona-wieso-die-todeszahlen-in-der-zweiten-welle-so-tief-sind-ld.1574841
Folgendes Narrativ wird jetzt verbreitet:
“Es wird befürchtet, dass die jüngere Generation das Virus an ältere Personen und andere Risikopatienten weitergibt. In der Gegend von Marseille lässt sich das schon in gewissem Umfang beobachten. Im Département der Hafenstadt, Bouches-du-Rhône, seien von den 70 für Covid-19-Erkrankte reservierten Intensivbetten 65 bis 67 belegt, hiess es Anfang der Woche aus den Spitälern. ”
Es kommt jetzt die Jahreszeit, wo wieder viele Alte sterben, weil das der Lauf des Lebens ist. Auch hier wird jetzt ganz viel getestet und der eine oder andere ist dann falsch-positiv, manmal auch richtig positiv. Vergleicht man das dann mit den Influenza-Zahlen, sind die Corona-Toten nur eine Teilmenge. Aber um Panik zu machen, kann man immer leicht absolute steigende Zahlen vorweisen.
ebo
21. September 2020 @ 20:10
Deswegen heißt der Blogpost ja auch “Testen, testen, testen – und dann?” Es ist eine Strategie, die uns nirgendwohin führt – außer in noch mehr Angst und Repression. Nötig wäre gezieltes Testen – und dann Nachverfolgung, Isolierung etc. Doch dazu braucht es Personal, und das fehlt in Madrid oder Marseille, wahrscheinlich auch in Athen. Wurde wohl weggespart, auf Empfehlung der EU-Kommission…
Holly01
21. September 2020 @ 20:56
@ ebo:
Danke für Ihre Antwort.
Es sieht nicht so aus, als wenn wir aus dem Schneider wären….
vlg