Warum die EU scheitert
Tragen die Mitgliedstaaten und ihre Regierungschefs die Hauptschuld am Scheitern der EU? Das meinen viele Berufseuropäer, zuletzt hat Ex-Kommissar Monti diese These vertreten. Doch das Problem liegt tiefer.
[dropcap]Z[/dropcap]um ersten Mal könne er die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die Union zerfällt, sagte Monti dem US-Portal „Politico“. Zwar sei die EU an Krisen bisher immer gewachsen.
Doch diesmal gebe es wohl zu viele Probleme auf einmal. Außerdem verstärke der Rat (die Vertretung der 28 EU-Staaten) den Trend zu Nationalismus und Populismus.
Da ist was dran. Der Rat und insbesondere der Europäische Rat (vulgo: EU-Gipfel) ist seit der Eurokrise übermächtig geworden, zugleich hat er echte Lösungen verhindert.
Doch die eigentliche Ursache für das Scheitern der EU liegt tiefer. Ich sehe dafür drei Gründe, über die man in Brüssel und Berlin nicht so gerne spricht:
- Die EU ist ein Elitenprojekt – doch der Konsens der Eliten ist zerbrochen, und die Bürger machen nicht mehr mit. Das sieht man an der Brexit-Debatte, aber auch am Referendum in den Niederlanden.
- Die EU ist nicht lernfähig – sie kehrt nicht einmal um, wenn sie gegen die Wand fährt oder abgewählt wird. Das hat die Eurokrise gezeigt, aber auch die Wahl in Griechenland, Spanien, Portugal…
- Die EU ist nicht stark genug – sie ist finanziell und politisch viel zu schwach, um sich durchzusetzen. Dafür liefert die Flüchtlingskrise das frappierendste Beispiel, Brüssel ist machtlos und wird irrelevant.
Mit einer Schuldzuweisung an den Rat lassen sich diese Probleme nicht lösen. Auch nicht mit einer stärkeren Kommission oder einem offensiveren Europaparlament, wie die Berufseuropäer hoffen.
Nein, wir müssen Europa vom Kopf auf die Beine stellen – also das Elitenprojekt beenden und durch eine demokratische Alternative ablösen. Doch das ist ein anderes Thema…
Siehe auch: Drei Tests, ob Europa scheitert
hlschmid
27. April 2016 @ 20:50
„Wir müssen Europa vom Kopf auf die Beine stellen – also das Elitenprojekt beenden und durch eine demokratische Alternative ablösen.“
Die Frage ist: wollen die Bürgerinnen und Bürger Europas das Elitenprojekt beenden und durch eine demokratische Alternative ablösen? Sind sie bereit, sich für Europa zu engagieren? Sie könnten sich dazu äussern auf http://www.our-new-europe.eu!
Johannes
27. April 2016 @ 15:54
„Nein, wir müssen Europa vom Kopf auf die Beine stellen – also das Elitenprojekt beenden und durch eine demokratische Alternative ablösen“
Genau so ist es.
Aber CDU, SPD, Grüne, die Banken, die Wall-Street, die Konzerne, die alle wollen das nicht. Na ja, eben Anti-Europäer *hähähähähä
Jürgen Klute
27. April 2016 @ 15:52
@ebo: Nun ja, die nationalen Eliten in Ungarn, etc. rechne ich nicht zu den EU-Eliten. – Bei allem Verständnis für die Wut vieler Bürgerinnen – die Nationalisierung führt sehr schnell erneut zu Ausgrenzung und Rassismus, wie Ungarn, etc. zeigen. Das ist keine Alternative zu den EU-Eliten, so problematisch sie auch sind. Und immerhin muss man die so genannten Wut-Bürger ja auch fragen, wer denn in die jetzt hart kritisierten Parteien gewählt hat. Die Wähler und Wählerinnen kann man ja nicht gänzlich aus ihrer Verantwortung nehmen.
Und welche Alternativen bieten denn die gegenwärtigen Wut-Bürgerinnen und rechten Parteien an außer nationalem Egoismus, Ausgrenzung und Diskriminierung von Minderheiten?
Eine Antwort auf die wirtschaftlichen Probleme der EU und auf die neuen Herausforderungen der Digitalisierung und auf Umweltprobleme habe ich bei all den rechten Wutbürgern noch nicht entdeckt – außer den Rückzug auf’s Nationale. Nur: Umweltprobleme, digitalisierte globale Finanzmärkte und transnationale Konzerne bekommt auf nationaler Ebene nicht in den Griff. Da die BRD noch relativ groß erscheint im Vergleich zu den kleinen EU-Ländern wie Portugal oder Griechenland, kann man sich in der BRD vielleicht noch einbilden, man könne die genannten Probleme politisch steuern. Aber Länder wie Griechenland oder Portugal oder auch die kleinen baltischen Länder haben doch nicht die geringste Chance, auf nationaler Eben auch nur eines der genannten Problemfelder auch nur im Ansatz politisch steuern und regulieren bzw. lösen zu können.
Insofern sehe ich keine Alternative zur EU – außer eben einer tiefgreifenden Reform der EU, wie Du es ja in Deinem Beitrag am Ende sagst.
S.B.
27. April 2016 @ 21:31
@Jürgen Klute: Ich bitte um Mitteilung, warum Sie sich für die Belange von GR, PT, SP etc. zuständig fühlen. Seit dem sich selbst so nennende „überzeugte Europäer“ um diese Länder „kümmern“, läuft es dort schlechter als je zuvor. Es gibt auch keine wirtschaftlichen Probleme der EU, sondern solche ihrer Mitgliedsländer. Diese müssen sie selbst lösen und niemand anderes. Zur Zeit wird das von Ihnen favorisierte Gegenteil per Troika in Endlosschleife praktiziert. Mit verheerenden Folgen, wie man allenthalben sehen kann. Da können Mitmenschen, denen der gesunde Menschenverstand noch nicht abhandengekommen ist, schon mal wütend werden. Es sei denn, man nimmt diese Folgen als Kollateralschaden hin, weil man meint, dass die Probleme, die zu Hause gelöst werden müssten, auf einer „höheren Ebene“ besser aufgehoben sind. Im Angesicht der europäischen Praxis, darf man solche „Gutbürger“ wohl getrost als Realitätsverweigerer begreifen.
winston
28. April 2016 @ 19:00
„Umweltprobleme, digitalisierte globale Finanzmärkte und transnationale Konzerne bekommt auf nationaler Ebene nicht in den Griff. “
Genau, bauen wir die Nationalstaaten ab und lassen uns in Zukunft von Banken und multinationalen Konzernen regieren. Ja dann wird Freude herrschen, siehe Griechenland.
Kapitalismus ohne Staat funktioniert nicht, kann nicht funktionieren. Die Euro-Zone ist kein Staat und wird es auch nie sein. und wie man sieht funktioniert alles wunderbar, oder ? Übrigens wer meint das diese Segnungen nur für Griechenland bestimmt sind, irrt gewaltig. Auch in Frankreich und Finnland fangt es an zu brodeln und die Neoliberalen Segnungen werden sich Schritt für Schritt durchfressen bis sie ganz Europa erfassen. Was danach passiert, Gnade uns Gott.
Der Westen wird sich mit ihrem radikalen Neoliberalismus selber vernichten. Russland und China können sich zurücklehnen und entspannt diesem treiben zuschauen, wie sich der Westen selbst in die Luft jagt. Danach wird geerntet. China erntet eigentlich schon jetzt, indem sie ein Konzern nach dem anderen einverleibt.
Skyjumper
30. April 2016 @ 21:13
@ Jürgen Klute
Bezüglich der Umweltprobleme sehe ich durch eine Rückkehr zu souveränen Nationalstaaten auch keine Lösung die sich auf dem Silbertablett anbieten würde. Was jedoch die anderen beiden von Ihnen genannten Punkte anbelangt ist Kleinstaaterei sehr wohl ein brauchbares Mittel zur Bekämpfung.
Globalisierte Finanzmärkte, mit ihren Teils haarsträubenden Auswüchsen, und transnationale Megakonzerne, wie auch der ganze stinkende Rattenschwanz drumherum, also internationale Handelsabkommen ala TTIP, Ceta, WTO und ähnliches sind doch „nur“ die Folge der durch immer größere Staatenverbünde und Gleichmacherei geschaffenen Möglichkeiten und Gelüste der Großkonzerne.
Handelsschränken, Zölle und komplizierte Nationalvorschriften würden gerade die Megakonzerne schwer treffen und im Gegenzug Klein- und Mittelstandsbetrieben neue Nischen und Möglichkeiten verschaffen. Über künstliche und weltumspannende Regulierungsvorschriften bräuchte man sich dann auch viel weniger Gedanken zu machen. Die Kleinstaaterei würde da für sich genommen kleine Wunder leisten.
Natürlich würde die „Effektivität“ darunter leiden. Nur was heißt eigentlich Effektivität im betriebs- und volkswirtschaftlichen Sinne? Erhöhte Produktivität bei gleichen oder geringeren Einsatz von Ressourcen, meistens Human Ressources = Arbeitskräften.
Es wird nämlich nur zu oft übersehen dass die „Privatisierung von Gewinnen bei Sozialisierung der Verluste“ keine Erfindung der Finanzkrise ist. Die ach so gelobte Steigerung der Effektivität durch den Abbau von Handelshemmnissen und weiteren Globalisierungsmaßnahmen ist in der Hinsicht der wahre Leuchtturm. Die Gewinne der (Groß)Unternehmen stiegen, die arbeitslos gewordenen Synergie- und Effiziensopfer blieben der Gemeinschaft auf der Tasche liegen.
Pique Dame
27. April 2016 @ 09:24
Und hier noch der Link dazu:
https://www.youtube.com/watch?v=vBc4A1HNmPk
Pique Dame
27. April 2016 @ 09:22
A propos Elitenprojekt: ich möchte bei dieser Gelegenheit den neuen Vortrag von Prof. Mausfeld empfehlen (geht um Demokratie und Neoliberalismus). Tontechnisch eine Folter, aber inhaltlich wieder mal unglaublich erhellend und bereichernd.
S.B.
27. April 2016 @ 08:50
Ob der Konsens der Eliten gebrochen ist, würde ich dahinstehen lassen. Auf jeden Fall machen die Bürger nicht mehr mit. Zu Recht, denn ein Elitenprojekt ist aus der Natur der Sache heraus nicht demokratisch. Schlagend wird das undemokratische Treiben der Eliten aber erst in dem Moment, wo die Bürger erkennen, dass sich ihre Interessen in dem Elitenprojekt nicht (mehr) widerspiegeln. Dann ist Schluss mit lustig, denn die Eliten sind letztlich in ihrer Macht vom Bürger abhängig. Was passiert, wenn die Eliten dies nicht rechtzeitig erkennen, haben uns die Österreicher gerade in erstklassiger Manier bei der Bundespräsidentenwahl gezeigt. Herzlichen Glückwunsch noch einmal nach AT zu dieser DEMOKRATISCHEN Entscheidung! Insbesondere die linksgrünen Versager aus dem deutschen Lager speien Gift und Galle und zeigen, was sie unter Demokratie verstehen: Diktatur.
Jürgen Klute
27. April 2016 @ 08:16
Allerdings muss ich sagen, dass mir die heutigen Eliten lieber sind als die von vor 100 Jahren, die kriegsfixiert waren. Trotzdem bleibt das natürlich ein Problem. Für mich ist die Frage, wie bzw. mit wem man die EU vom Kopf auf die Beine stellen kann. Angesichts der Macht des EU-Rates wird das ohne den Rat nicht gehen. Da hat Merkel aber von Beginn an der Krise die völlig falschen Weichenstellungen durchgesetzt. Die Linke in Europa ist kopflos und handlungsunfähig und verliert sich mehr und mehr ebenfalls in Nationalismen, statt den rechten Antworten auf die politische Krise der EU eine linke europäische Antwort entgegenzusetzen. Denn ein Zerfall der EU lässt m.E. auch die Wahrscheinlichkeit steigen, dass es innerhalb einer zerfallenen EU wieder zu bewaffneten Konflikten kommen kann – der Zerfall des Warschauer Paktes mit den schnell auf den Zerfall folgenden Regionalkriegen ist für mich ein warnendes Beispiel. Also muss eine friedenspolitisch verankerte Linke schon aus diesem Grund für den Erhalt der EU eintreten und sich für eine tiefgreifende Reform der EU stark machen. Das ist aber derzeit auch nicht erkennbar.
ebo
27. April 2016 @ 09:19
@Jürgen Nun ja, die heutigen Eliten eifern zunehmend den 30er Jahren nach, siehe Österreich, Ungarn, Polen, aber auch die Austeritäts-Politik in Griechenland, Spanien etc. – Was die EU-Reform betrifft, so mache ich mir mittlerweile keine Hoffnung mehr. Das, was von der Lnken noch übrig ist, hat in Frankreich, Italien, Griechenland, Portugal und Spanien gesiegt, in Deutschland ist die SPD mit an der Macht, im Europaparlament auch. Und was ist passiert? Die einzige Institution, die sich als lernfähig erwiesen hat, ist die EZB – und die steht nun auch mit dem Rücken zur Wand!
kaush
27. April 2016 @ 14:01
Heiner Flassbeck beschreibt das gut:
„…Wenn die bisher die Macht verwaltenden Parteien nicht bereit sind, offensiv die wirtschaftspolitischen Optionen zu diskutieren und ihre ausgetretenen Pfade zu verlassen, wird Europa im Sumpf von Stagnation und Deflation ersticken.
Die extreme Rechte wird Land für Land ihren Siegeszug fortsetzen. Sie wird zwar von Arbeitern gewählt, wird aber die Macht des großen Geldes endgültig zementieren.
Das Ergebnis ist paradox und hat doch seine historische Logik: Gerade weil die Parteien der Mitte und der gemäßigten Linken das große Geld in den letzten dreißig Jahren mit ihrer demokratischen Macht nicht in die Schranken gewiesen haben, werden sie am Ende wie lästige Bettler vom Hof gejagt.“
http://www.flassbeck-economics.de/das-oesterreich-menetekel/
ebo
27. April 2016 @ 14:35
@kaush Stimmt, das ist gut zusammengefasst. Allerdings würde ich ergänzen, dass die EU-Anhänger, also die Konservativen und die „gemäßigten Linken“ (Sozis deutscher Prägung), systematisch jede linke Alternative verhindert und zerstört haben – von Frankreich über Italien und Griechenland bis Portugal und bald wohl auch Spanien. Damit spielen sie der Rechten in die Hände, genau wie in den 30er Jahren…
Peter Nemschak
27. April 2016 @ 09:28
Der Zerfall des Warschauer Pakts ist grosso modo erstaunlich friedlich vor sich gegangen. Jugoslawien, wo viel Blut geflossen ist, war nie Mitglied. Seine Jahrhunderte alten inneren ethnischen Spannungen sind mit dem Ende der Teilung Europas (Ende der Diktaturen sowjetisch inspirierter Prägung) wieder aufgebrochen. Ich bin nicht sicher, ob eine demokratische Alternative zum Elitenprojekt EU eine europäische oder nationalstaatliche sein würde. Die nationalstaatliche Identität der europäischen Bürger ist quer durch alle sozialen Schichten und in allen Altersgruppen, unabhängig davon, ob sie politisch sensibilisiert sind oder nicht, nach wie vor tief verwurzelt. Der Rechtspopulismus hat diese Identität nicht erfunden, sich ihrer aber politisch bedient, als sich durch die Wirtschafts- und Flüchtlingskrise geeignete Auslöser anboten. Dass der mobile „europäische“ oder gar „Weltbürger“ ein Minderheitenprogramm ist, hat R.Dahrendorf lange vor Ausbruch der Finanzkrise in den 1990-iger Jahren festgestellt, als die im Zuge der fortschreitenden Globalisierung (technologisch ermöglichte global vernetzte Wertschöpfungsketten) verstärkte soziale Polarisierung der Gesellschaften in den entwickelten Ländern bereits sichtbar wurde. Ironischerweise hat die Teilung Europas, vermutlich stärker als von der Öffentlichkeit wahrgenommen, zur Bildung einer liberalen europäischen Identität beigetragen.